Bei Marvel hat man fragwürdige Konsequenzen aus der Bankenkrise gezogen. The First Avenger: Civil War, der die dritte und letzte Runde im Avengers-Zyklus einleitet, folgt mit seinem wachsenden Superheldenensemble aus altbekannten und neu eingeführten Cape-Trägern der von der Geschichte längst überholten Maxime too big to fail.
Das vermeintlich robuste Titanic-Konstruktionsprinzip (den Pott nur groß genug bauen, damit er nicht sinkt) hat sich gerade schon beim desaströsen Batman v Superman, dem Celebrity Death Match aus der anderen maßgeblichen Comicfabrik DC, als Trugschluss erwiesen. Doch im Haus Marvel scheint man auf den reichen Erfahrungsschatz zu setzen, der sich in den acht Jahren seit Iron Man bei der sukzessiven Konvergenz ihrer Superhelden-Biografien angesammelt hat.
Offiziell ist The First Avenger: Civil War der dritte Film der Captain-America-Reihe; man könnte ihn, was die Spielanteile angeht, aber auch den vierten Iron Man nennen oder gleich, wie US-Kritiker monierten, The Avengers 2.5. Langsam wird es eng im Marvel Cinematic Universe (MCU): Immer neue Akteure drängen auf den Markt und erheben Anspruch auf eigene Filme. (Civil- War-Neuzugang Black Panther, erster afrikanischer Superheld, bekommt seinen Film 2018.) Dank der Markenexpansion des Konzerns wird die US-Filmindustrie zukünftig wohl noch stärker einer genetisch optimierten Monokultur ähneln.
Nebeneffekte dieser pragmatisch vorangetriebenen Routineübungen sind in The First Avenger: Civil War unübersehbar: viel Variation, wenig Entwicklung, Redundanzen und dramaturgische Ermüdungserscheinungen auf, zugegeben, höchstem technischem Niveau. Die Bedürfnisse der Fans werden auf allen Ebenen bedient. Unter den Bedingungen des kleinsten gemeinsamen Nenners erweist sich Civil War aber als erstaunlich kurzweiliges Spektakel – man wurde mit 3-D-Brille im Gesicht zuletzt schon deutlich idiotischer unterhalten.
Exportschlager Nr. 1
Die Eröffnungssequenz, ein Sondereinsatz der Avengers in Lagos, der schiefgeht und zivile Opfer fordert, erinnert wieder daran, warum man sich als Superhelden-Skeptiker in den Captain-America-Filmen (erneut in den vertrauensvollen Händen des Regie-Duos Joe und Anthony Russo) am besten aufgehoben fühlt. Sie verfügen von allen Marvel-Produktionen über den stärksten Realitätsbezug, schon der pessimistische Vorgänger The Return of the First Avenger orientierte sich mit seinem Verschwörungsplot um die Avengers-Organisation S.H.I.E.L.D. stark am Paranoia-Kino der 70er Jahre. Von dieser realistischen Grundierung leben nicht zuletzt die Actionszenen in Civil War, die noch im irrsten Schlachtenchaos räumliche Kontinuität wahren. Der Müllwagen, der am Anfang einen fulminanten Salto hinlegt, unterliegt trotz nahezu perfekter CGI-Simulation den Gesetzen der Schwerkraft. Die Welt, die sich Menschen und Superhelden teilen, ist kinematografisch hochgradig konsistent.
Erzählerisch verwickeln sich die Handlungsstränge der Marvel-Filme weiter. Die Geschichte von Civil War, basierend auf der siebenteiligen Comicreihe von Mark Millar und Steve McNiven, knüpft an die Konflikte der Vorgängerfilme. Nach der Zerstörung des Kleinstaats Sokovia und dem Lagos-Zwischenfall sind die Avengers ein Fall für den UN-Sicherheitsrat. Sie sollen den Vereinten Nationen unterstellt werden, als Blauhelmtruppe mit Sonderbefugnissen. Das sorgt für ein Zerwürfnis: Während Iron Man Tony Stark einer staatlichen Kontrolle zustimmt, weigert sich Steve „Cap“ Rogers, die Unabhängigkeit der Avengers aufzugeben. Der Konflikt eskaliert, als ein Anschlag auf das Wiener UN-Quartier dem „Winter Soldier“ Bucky in die Schuhe geschoben wird. Um den Kumpel aus Jugendtagen zu schützen, ist Rogers gezwungen, sich mit Mitstreitern (unter anderen Scarlet Witch, The Falcon, Crossbones) gegen die restlichen Avengers um Stark zu stellen – nicht ahnend, dass der „Bürgerkrieg“ unter den Superhelden das eigentliche Ziel des Komplotts ist.
Wie in den besten Marvel-Filmen ist der politische Subtext in Civil War wesentlich interessanter als die persönlichen Konflikte der Superhelden. Die neuen Allianzen vollziehen einen konsequenten Bruch mit den Persönlichkeitsstrukturen der Figuren. Während also der großindustrielle Libertär Stark eine einvernehmliche Lösung unter staatlicher Kontrolle vorzieht, verteidigt Patriot Rogers die politische Deregulierung und bekämpft in bester Carl-Schmitt-Manier die demokratische Gewaltenteilung. Man würde gerne wissen, welche Schlüsse Slavoj Žižek aus Civil War zieht.
Mit den politischen Allegorien ist das im Marvel-Universum allerdings so eine Sache: Sie müssen sich immer an den Schauwerten messen lassen. Und hier verfeuert Civil War sein Pulver mit einem vorgezogenen Doppel-Showdown am Berliner ICC und dem Leipziger Flughafen viel zu früh. Die beiden epischen Action-Wimmelbilder mit einem guten Dutzend Superhelden dürften jedem deutschen Lokalpolitiker das Herz höher schlagen lassen: ein Hoch auf die Standortförderung.
Vermutlich ganz ohne Standortförderung hat es unser Exportschlager Nr. 1, Daniel Brühl (als Marvel-Endgegner ein einziges Missverständnis), in den Film geschafft. Dafür sieht er im Finale ziemlich blass aus. Wo ist Hulk, wenn man ihn braucht?
Info
The First Avenger: Civil War Anthony und Joe Russo USA 2016, 167 Minuten
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