„Ich mag viszerale Klänge“

Interview Der Musiker Jóhann Jóhannsson beschreibt seine Arbeit als Komponist an Denis Villeneuves großem Film „Arrival“
Ausgabe 47/2016

der Freitag: Herr Jóhannsson, „Arrival“ ist die dritte Zusammenarbeit mit Denis Villeneuve. Hilft es, Stil und Vorlieben eines Regisseurs zu kennen?

Jóhann Jóhannsson: Die Zusammenarbeit zwischen Denis und mir verbessert sich definitiv von Film zu Film. Wir haben aus unseren Fehlern gelernt. Das Besondere an unserer Arbeitsweise ist, dass ich in einem frühen Stadium involviert bin. Denis versteht die Bedeutung von Sound für einen Film, für einen Komponisten sind das ideale Voraussetzungen. Bei Arrival gab er mir Carte blanche.

Wo beginnt die Arbeit eines Komponisten, wenn man vom Regisseur freie Hand bekommt?

Zur Vorbereitung auf unseren letzten gemeinsamen Film Sicario verbrachte ich einige Tage bei den Dreharbeiten in Mexiko, um ein Gefühl für den Ort, das Licht und die Landschaft zu entwickeln. Mit dem Komponieren begann ich erst, nachdem ich die erste Schnittfassung des Films gesehen hatte. Bei Arrival war das anders. Ich kannte vorab nur die Kurzgeschichte, auf der der Film basiert, und das Skript; zusätzlich bekam ich einige Entwürfe, von den Raumschiffen und den Logogrammen, der Zeichensprache der Aliens. Mehr Inspiration hatte ich nicht, da ich etwa zeitgleich zu den Dreharbeiten am Score schrieb.

Zur Person

Der isländische Komponist Jóhann Jóhannsson, geboren 1969, pendelt zwischen elektronischer und klassischer Musik. Neben Arbeiten für Theater und Tanz ist er für den Film tätig, etwa für Denis Villeneuves Prisoners, Sicario und Arrival. Für den Soundtrack zu Die Entdeckung der Unendlichkeit gewann er 2015 den Golden Globe

Foto: Jónatan Grétarsson

Waren für die Konzeption der Musik die Themen Sprache und Zeit von Bedeutung?

Ich hatte als Ausgangspunkt zwei Motive: Stimme und Loops. Der Loop, der Kreis, ist die zentrale Metapher des Films. Sie verweist auf das zeitliche Konzept der Außerirdischen sowie auf die Logogramme. Das zweite Thema des Films, Sprache, legte die Arbeit mit Stimmen nahe. Ich wollte die Stimme als eigenständiges Instrument benutzen. Grundlage der Loops waren sustains, ausklingende Schwingungen von Piano-Anschlägen, die ich auf analogem Magnetband aufnahm und in unterschiedlicher Geschwindigkeit wieder und wieder überspielte, bis ein dichter, an Harmonien und Dynamiken reicher Sound entstand. Die Idee ist simpel, der Methode haben sich Pioniere wie Karlheinz Stockhausen und Pierre Schaeffer bedient.

Wie setzten Sie die menschliche Stimme ein?

An den Gesangsaufnahmen arbeitete ich wie schon bei Sicario mit Robert Lowe. Robert besitzt ein einzigartiges Stimmvolumen. Ich gab ihm nur einige Noten, die er über die präparierten Piano-Loops sang. Die dröhnenden Bass-Glissandi im Film basieren auf Roberts heruntergepitchter Stimme. Meine ersten Entwürfe bestanden also aus diesen beiden Elementen. Ich schickte Denis eine krude iPhone-Aufnahme, und der war sofort begeistert. Diese Skizze, die später Grundlage für das zentrale musikalische Thema sein sollte, hörte er während der Dreharbeiten ständig. Der establishing shot aus dem Helikopter auf das Raumschiff ist mit dieser Musik unterlegt.

Ist die Arbeit mit „analogem“ Ausgangsmaterial eine rein methodische oder eine bewusste ästhetische Entscheidung?

Beides. Ich arbeite gerne mit Musikern, die sehr kontrolliert spielen können und deren Spiel dadurch eine fast mechanische Qualität bekommt. Gleichzeitig sind sie nicht vor Fehlern gefeit. Ein bestimmtes Timbre lässt sich auf digitalem Weg einfach nicht erzeugen. Im Vergleich mit meinen anderen Projekten ist der Soundtrack von Arrival schon sehr konzeptuell. Die Themen des Films sind so präsent, dass sie sich zwangsläufig in der Musik wiederfinden.

Film der Stunde

Mit Superlativen soll man sparsam umgehen, hier sind sie angebracht: Arrival (USA, 116 Minuten)ist einer der herausragenden Filme des Jahres, der Film der Stunde. Ein zarter Globalversöhnungskitsch für eine zerrissene Welt, ein eigenartiger Liebesfilm, der den ganz großen Umweg macht über außerirdische Besucher, die an zwölf Orten der Erde zugleich auftauchen, um der Menschheit aufzugeben, dass Einigkeit besser ist als Krieg. Herausgelesen werden muss diese Botschaft von der Übersetzerin Louis Banks (Amy Adams), aus dumpfen Geräuschen und abstrakten Bildern, mittels derer die Heptapods, die siebenfüßigen Außerirdischen, sich mitteilen. „Sprache ist das Fundament der Zivilisation“, heißt es einmal; Regisseur Denis Villeneuve verwendet seine prozessurale Präzision geduldig auf die Herstellung von Kontakt. Arrival betreibt Sprachphilosophie, diskutiert linguistische Probleme und guckt fasziniert auf Tintenkleckse. Die Musik von Jóhann Jóhannsson spielt eine so besondere Rolle, dass wir den Komponisten dazu befragt haben. Matthias Dell

Bestand Ihr Konzept also darin, mit klassischen Instrumenten einen Score zu produzieren, der auf vertraute Weise fremdartig und außerweltlich klingt?

Ganz ehrlich, die meiste Filmmusik ist doch voller Klischees. Mir geht es darum, neue Sounds zu kreieren. Ich arbeite weniger im traditionellen Sinne mit Melodien und stattdessen mit Texturen, Klangfarben, Formen, Schichten. Mich interessiert die Interaktion zwischen diesen Elementen. Meine wichtigsten Einflüsse kommen aus der Spektralmusik, von Komponisten wie Gérard Grisey oder Georg Friedrich Haas.

Faszinierend an der Tonspur von „Arrival“ finde ich, wie die Grenzen zwischen Musik, Atmosphäre, (Alien-)Sprache und Umweltgeräuschen verwischen. Der Score geht vollkommen im Sounddesign auf.

Ich arbeite beim Komponieren eng mit den Sounddesignern zusammen, weil die Musik in demselben Spektrum einen Raum finden muss. Das gilt besonders für einen Film wie Arrival. Die Szenen, in denen die Aliens mit den Menschen kommunizieren, waren die größte Herausforderung, weil die phonetische „Sprache“ der Außerirdischen und der Score zusammen funktionieren müssen. Es ist also von Vorteil, wenn man sich ständig austauscht. So konnte Olivier Calvert, der Sounddesigner des Films, auf meine Musik reagieren – oder ich konzentrierte mich beim Komponieren auf einen anderen Bereich des Klangspektrums.

Der Score erzeugt durch das Frequenzspektrum, das Ihre Sounds besetzen, eine fast körperliche Reaktion.

Das liegt wohl an meiner Sozialisation mit Industrial-Musik. Ich mag viszerale, körperliche Klänge. Aber dieses tiefe Frequenzspektrum erzeugt auch ein Raumgefühl.

Welche Rolle spielen Interieurs für Sie? Ich denke an das Innere des Raumschiffs.

Die Musik für die Szenen im Raumschiff konnte ich erst schreiben, als ich wusste, wie es von innen beschaffen ist. Ich benötige beim Komponieren eine visuelle Qualität. Aber ich überanalysiere meine Arbeitsweise auch nicht, der Zugang ist eher intuitiv. Ich suche nach Themen und Ideen, das ist der schwierigere Teil. Erst im zweiten Schritt gehe ich analytisch vor, dann geht es um die Struktur und um Formen. Die beiden Ansätze beanspruchen unterschiedliche Bereiche meines Gehirns.

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