Ein Opfer der Liebe

NSU Weil die ermittelnden Behörden versagt haben, könnte Beate Zschäpe beim Münchner Terrorprozess glimpflich davonkommen
Ausgabe 19/2018
Dieser Spuk scheint kein Ende zu finden
Dieser Spuk scheint kein Ende zu finden

Foto: Sebastian Widmann/Imago

Sein Mandant Carsten S. sei kein überzeugter Neonazi gewesen, beteuerte Anwalt Jacob Hösl vorige Woche in seinem Plädoyer im Münchner NSU-Prozess. Die Hinwendung zur rechten Szene im Jena der späten 1990er Jahre sei vielmehr „in einer häuslichen Situation der mangelnden Orientierung und Wärme“ begründet gewesen. Eine Woche zuvor hatte Hermann Borchert im Gericht um Verständnis für Beate Zschäpe geworben: Seine Mandantin sei nur aus Liebe zu Uwe Böhnhardt mit ihm und Uwe Mundlos in den Untergrund gegangen. Wegen einer tiefen Angst vor Bindungsverlust und Einsamkeit und einer „pathologischen Abhängigkeit“ von Böhnhardt habe sie die beiden Männer nicht zu verlassen vermocht, auch wenn sie deren Taten deutlich missbilligte, so Borchert.

Liegt es an nichts mehr als einer Verwirrung der Gefühle, dass eine brutale Bande von ihren Kameraden gestützt und unterstützt wurde, um mehr als 13 Jahre lang mordend und raubend durchs Land zu ziehen? Muss man Carsten S. – er hatte die Ceska mit Schalldämpfer besorgt, eine ausgesprochene Killerwaffe – straflos davonkommen lassen, weil rassistische Morde damals völlig außerhalb seiner naiven Vorstellungswelt lagen, wie seine Verteidiger behaupten? Und muss man sich an den Gedanken gewöhnen, dass Zschäpe vielleicht in absehbarer Zeit wegen guter Führung und günstiger Sozialprognose in Freiheit kommt, weil sie ja – wie ihre Anwälte Borchert und Mathias Grasel beteuern – nur ein Haus angezündet und Beihilfe zu Raubüberfällen geleistet habe, was mit nicht mehr als zehn Jahren Haft bestraft werden darf? Sind Ralf Wohlleben, Holger G. und André E. nicht sowieso unschuldig, weil sie ja nur ein paar Freundschaftsdienste leisteten für die alten Kumpels, ohne von deren Taten auch nur etwas geahnt zu haben? Nach über fünf Jahren Prozess und weit mehr als 400 Verhandlungstagen kommt man aus dem Kopfschütteln nicht mehr heraus, wenn man den Plädoyers der Verteidiger lauscht. Und dennoch beschleicht den Zuhörer die leise Ahnung, dass am Ende des Mammutverfahrens der populäre Wunsch nach einer harten Strafe für die fünf Mordkomplizen auf der Münchner Anklagebank mit den juristischen Grenzen des Rechtsstaates kollidieren könnte.

Selbst der Terrorvorwurf wankt

Den Weg dorthin zu ebnen versucht hat Zschäpes Anwalt Grasel. Denn anders als sein älterer Kollege Borchert hob er in seinem Plädoyer nicht auf eine mögliche Persönlichkeitsstörung seiner Mandantin ab; Grasel richtete sein Augenmerk vielmehr auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Mittäterschaft, und die könnte in der Tat auch in Zschäpes Fall eine Rolle spielen. So hatte der Bundesgerichtshof im Jahr 2015 eine Angeklagte vom Vorwurf der Mittäterschaft bei einem Tankstellenüberfall freigesprochen. Und das, obwohl die Frau nicht nur das Fluchtauto angemietet und gefahren, sondern auch die Tatwaffe mitbesorgt hatte. Weil sie aber nicht mit in der Tankstelle war, habe sie nicht als Mittäterin gehandelt, erklärte der Dritte Strafsenat. Denn allein ein Interesse am Gelingen der Tat reiche nicht zu einer Verurteilung als Mittäterin aus. Die BGH-Entscheidung ist deshalb von Bedeutung, weil sie jener Strafsenat traf, der auch bei einer möglichen Revision für die Überprüfung des Urteils gegen Zschäpe zuständig wäre. Und auch ein Verurteilung Zschäpes wegen des schwächer wiegenden Vorwurfs der Beihilfe zum Mord wäre schwer zu halten – meint jedenfalls Anwalt Grasel. Und verweist dabei erneut auf den BGH, der die Grenzen für eine „psychische Beihilfe“ – und nur darum könnte es bei Zschäpe gehen – in früheren Urteilen sehr eng gezogen hat. Die Angeklagte war nachweislich an keinem der Tatorte, auch konnten keine Spuren von ihr an den Tatwaffen und Tatmitteln nachgewiesen werden. Allerdings hatte sie eingeräumt, jeweils nach den Morden und Bombenanschlägen davon erfahren und darüber mit ihren Lebensgefährten gesprochen zu haben. Das aber könne – so sieht es Grasel – laut BGH ebenso wenig als Beihilfe gelten wie „neutrale Handlungen“, zu denen er etwa das Führen einer Haushaltskasse zählt. Weil die Todesschützen Mundlos und Böhnhardt nicht mehr am Leben sind und einzig Zschäpe vom Trio übrig sei, dürfe nun nicht nach dem Motto „Den letzten beißen die Hunde“ Recht gesprochen werden, mahnte Grasel und sagte dann den ungeheuerlich klingenden, aber juristisch korrekten Satz: „Der Rechtsstaat wird es aushalten müssen, dass es Verbrechen gibt, für die die eigentlichen Täter nicht mehr belangt werden können.“

Führt man Grasels Argumentation weiter, ist noch eine zweite Ungeheuerlichkeit denkbar: Ohne die Vorwürfe der Mittäterschaft und Beihilfe würde für Zschäpe auch der Straftatbestand der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung entfallen – mit der Folge, dass der NSU plötzlich keine Terrorgruppe mehr ist, weil es dafür laut Rechtsprechung mindestens drei Mitglieder bräuchte. Und die Bundesanwaltschaft hatte sich ja von Beginn an und zuletzt in ihrem Plädoyer darauf festgelegt, dass außer dem Zwickauer Trio niemand weiter dem NSU angehört habe.

Es ist gut möglich, dass die bis Anfang Juni noch zu Wort kommenden restlichen Verteidiger auf das Gleis einschwenken werden, für das Grasel in seinem Plädoyer die Weichen gestellt hat. Denn auch Ralf Wohlleben und André E. wird Beihilfe zum Mord beziehungsweise versuchten Mord vorgeworfen. Wohlleben hatte Mundlos und Böhnhardt die Ceska-Mordwaffe beschafft und über Carsten S. liefern lassen; und E. soll die Fahrzeuge angemietet haben, mit denen Mundlos und Böhnhardt zu den Tatorten zweier Raubüberfälle und eines Bombenanschlags gefahren sind.

Ob die Indizien für die Vorwürfe der Ankläger bei beiden ausreichen, um gegen sie ein revisionssicheres Urteil zu sprechen, wird man sehen. Denn ob E. tatsächlich die Fahrzeuge angemietet hat, wird am Ende schwer zu beweisen sein. Und Wohllebens Anwälte reiten ohnehin seit jeher die Linie, dass ihr Mandant zwar eine Waffe für Mundlos und Böhnhardt beschafft habe – ob es sich bei dieser jedoch tatsächlich um die Mordwaffe gehandelt habe, sei nicht nachgewiesen. Vor ein paar Wochen erst hatten sie – vergeblich – versucht, die Aussagen zweier Zeugen ins Verfahren einzuführen, die im Sommer 2000 bei einem Thüringer Neonazi aus dem NSU-Umfeld ebenfalls eine aus der Schweiz stammende Ceska mit Schalldämpfer gesehen haben wollen. Wenn aber zur gleichen Zeit zwei Waffen desselben Typs in der Nähe von Mundlos und Böhnhardt existierten, so das Kalkül der Wohlleben-Verteidiger, könne man nicht mit Sicherheit wissen, welche der beiden schließlich die Mordwaffe war.

Der NSU-Prozess bleibt spannend, bis vermutlich in der letzten Juni-Dekade das Urteil gesprochen wird. Fest steht aber schon jetzt: Sollte der Rechtsstaat am Ende eines der größten Terroristenprozesse der bundesdeutschen Geschichte blamiert dastehen, weil kein der Mordtaten angemessenes Urteil gefällt werden kann, wäre das nicht die Schuld des Gerichts. Die Verantwortung hierfür würden Ermittlungsbehörden und Geheimdienste tragen, die eine für den gesellschaftlichen Rechtsfrieden nötige umfassende Sachverhaltsaufklärung blockiert haben, um staatliche Verstrickungen in die Mordserie des NSU zu vertuschen.

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