Nachdem die Verteidiger der Angeklagten monatelang mit immer unsinnigeren Befangenheitsanträgen den Fortgang des Münchner NSU-Prozesses zu torpedieren versuchten, konnten in der vergangenen Woche nun endlich die Nebenkläger und deren Anwälte mit den Schlussvorträgen beginnen. In ihren Plädoyers griffen sie aber nicht nur die Täter an, sondern übten auch scharfe Kritik an den Ermittlern. In dieser Woche kommen weitere Nebenkläger und deren Anwälte in München zu Wort.
Besonders der Schlussvortrag, den Elif Kubaşık, Witwe des am 4. April 2006 in Dortmund vom NSU erschossenen Mehmet Kubaşık, vorige Woche hielt, geriet zu einer sehr emotionalen Anklage – die die Behörden nicht aussparte. „Zu diesem Prozess zu kommen, war niemals leicht für mich“, sagte sie an Beate Zschäpe gewandt. „Besonders schwer ist es für mich, den Anblick dieser Frau auszuhalten. Ekelhaft, einfach ekelhaft war ihre Aussage. Es ist alles Lüge, was sie sagte.“ Doch denen, die diese Taten begangen haben, wolle sie auch sagen, „dass wir dieses Land nicht verlassen werden. Wir sind ein Teil dieses Landes und wir werden hier weiter leben.“ Klare Worte fand Elif Kubaşık auch für das Versagen der Ermittler, die nach dem Tod des Mannes lange Zeit die Familie ins Visier nahmen. „Uns wurde sehr großes Unrecht angetan, als behauptet wurde, dass wir mit Rauschgift zu tun haben“, sagte Elif Kubaşık. „Bekannte, die uns kannten, die glaubten uns, aber die uns nicht kannten, fragten sich natürlich, wenn es nicht zutreffend wäre, würde die Polizei nicht mit Suchhunden zu uns kommen und bis zum Keller alles durchsuchen.“
Verfahrensziel verfehlt
Der Anwalt von Elif Kubaşık, Carsten Ilius, griff in seinem Plädoyer die Vorwürfe seiner Mandantin gegen die Ermittler auf. „Als (Bundesanwalt) Dr. Diemer in seinem Plädoyer von Deutschland als diesem freien, freundlichen Land sprach, ‚in dem wir leben, das der NSU durch seine Taten aufgrund der rechtsextremistischen Ideologie, dem Wahn von einem ausländerfreien Land, erschüttern wollte, um einem widerwärtigen Naziregime den Boden zu bereiten‘, sprach er dabei sicher nicht für die Angehörigen und anderen Betroffenen der Taten des NSU. Denn für diese stellte sich nach den Morden und Anschlägen dieses Land mit seinen Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften als feindlich heraus“, sagte Ilius.
Es habe den Zielen des NSU entsprochen, dass die Opfer der Anschläge und ihr Umfeld auch noch Opfer der Ermittlungen der Polizei und Staatsanwaltschaft wurden und mit der Stigmatisierung zu leben hatten, so der Anwalt weiter. Tatsächlich hätten die Behörden durch ihre „einseitigen, strukturell rassistischen Ermittlungen“ die NSU-Strategie umgesetzt, weil sie damit nicht nur die Hinterbliebenen der Opfer verunsichert, sondern gerade deren Vertrauen in den deutschen Rechtsstaat erschüttert haben, betonte Anwalt Ilius. So seien die Ermittlungsbehörden „aufgrund ihrer rassistischen Voreingenommenheit“ dabei geblieben, dass es irgendwelche „abstammungsbezogenen“ Hintergründe der Ceska-Serie geben müsste. „Erst die Mordermittlungen zur Ceska-Serie homogenisierten die Opfer und ihre Familien, stellten einen ethnischen Verbindungshintergrund her, der dann zu dem Bündel an Motiven führte, das schablonenhaft allen Familien vorgehalten wurde“, sagte Ilius.
Dabei habe es auch unter den Ermittlern Einschätzungen gegeben, dass ein rassistisches Motiv hinter der Ceska-Mordserie stecken könnte, ohne dass man diesem Verdacht aber konsequent nachgegangen wäre. Hinzu komme, dass Verfassungsschutz und Staatsschutz sogar die Existenz einer „Combat 18“-Zelle in Dortmund zum Zeitpunkt des Mordes an Mehmet Kubaşık bekannt war. „Combat 18“ gilt als der terroristische Arm der militanten „Blood & Honour“-Bewegung. „Ermittlungen in der extrem gewalttätigen Nazi-Szene in Dortmund hätten damit also auf die Spur des NSU führen können“, ist sich Ilius sicher. Weil dies jedoch unterblieb, dränge sich der Verdacht auf, dass Ermittlungen gegen die rechte Szene damals auch aufgrund der 2006 in Deutschland anstehenden Fußball-Weltmeisterschaft unterlassen wurden. „Deutschland hätte bei Bekanntwerden des Verdachts rassistischer Serientäter, die seit sieben Jahren unentdeckt geblieben waren, wohl nicht als ganz so sicherer WM-Gastgeber oder nicht mehr als ein so ‚freundliches Land‘ dagestanden“, sagte der Anwalt.
Sein Kollege Sebastian Scharmer ging in seinem Plädoyer auf die Rolle der V-Leute und des Verfassungsschutzes ein. Dazu präsentierte er 15 Schaubilder, auf denen die Nähe einer großen Zahl von Informanten und V-Personen im direkten Umfeld des Zwickauer NSU-Kerntrios dokumentiert war. Diese Schaubilder machen aus Sicht Scharmers deutlich, dass im Prozess zahlreiche Chancen der Aufklärung ungenutzt geblieben seien. „Dies wäre von erheblicher Bedeutung gewesen, weil dadurch hätte geklärt werden können, warum die Taten nicht rechtzeitig verhindert worden sind und welche staatliche Mitverantwortung dies bedeutet“, sagte der Berliner Anwalt.
Der Bundesanwaltschaft warf Scharmer vor, einen Schlussstrich ziehen und „eine Käseglocke über die fünf Angeklagten“ stülpen zu wollen. Dadurch solle der rechte Terror als das Werk isolierter Einzeltäter, einer elitären Kleingruppe erscheinen. „Das hätten Sie vielleicht gern, meine Damen und Herren von der Bundesanwaltschaft, denn das würde im Nachhinein einen Persilschein für die über 13 Jahre konsequent in die falsche Richtung ermittelnden Behörden, die tief in die rechte Szene involvierten Verfassungsschutzämter und letztlich auch für Ihr eigenes Versagen nach dem 4. November 2011 ausstellen“, sagte Scharmer.
Auf die offensichtlich ungewollten Ermittlungen gegen rechts hatte zuvor auch schon die Rechtsanwältin Edith Lunnebach in ihrem Schlussvortrag hingewiesen. Sie vertritt die iranische Familie, in deren Kölner Lebensmittelladen am 19. Januar 2001 eine dort vom NSU platzierte Bombe explodiert war. Die damals 19-jährige Tochter war dabei schwer verletzt worden. Anwältin Lunnebach wies auf die wenig exponierte Lage des Geschäfts hin, was aus ihrer Sicht dafür sprechen würde, dass der NSU Mittäter vor Ort hatte. „Aus unserer Sicht gibt es nur eine Erklärung: Ein in den Tatplan eingeweihter und mit Ortskenntnissen in Köln versehener unerkannter Mittäter aus den Reihen des NSU muss den Anschlagsort ausgesucht haben und die Sprengfalle deponiert haben“, sagte sie in ihrem Plädoyer. Tatsächlich wies ein von den Ladenbesitzern damals gefertigtes Phantombild des mutmaßlichen Bombenlegers große Ähnlichkeit auf mit einem führenden Kölner Neonazi, der zur Tatzeit V-Mann des Landesamtes war. Dennoch sei diese Spur nur unzureichend verfolgt worden, sagte Anwältin Lunnebach.
Der Berliner Rechtsanwalt Mehmet Daimagüler unterstützte seine Kollegen: Niemand, der den NSU-Prozess begleitet hat, könne ernsthaft behaupten, dass die Behörden wirklich alles getan hätten, um die Aufklärung der Taten und des NSU-Umfeldes voranzubringen, sagte er in seinem Plädoyer. Daimagüler vertritt die Angehörigen der vom NSU in Nürnberg erschossenen türkischen Einzelhändler Abdurrahim Özüdoğru und İsmail Yaşar. Statt die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken, versuche die Bundesanwaltschaft mit aller Macht, ihre These von der isolierten Dreier-Zelle NSU durchzusetzen, sagte der Anwalt und griff direkt Bundesanwalt Herbert Diemer an, der in seinem Plädoyer Kritiker der Ermittler verächtlich gemacht hatte. „Stimmen, die die These von der isolierten Zelle aber in Zweifel ziehen, werden als ,Fliegengesumme‘ diffamiert, wie hier in beschämender Weise durch Dr. Diemer geschehen“, sagte Daimagüler. „Was haben wir eigentlich vom NSU gelernt, wenn die oberste Strafverfolgungsbehörde dieses Landes mit einer solchen Wortwahl jene Menschen abtut, die eine andere Sicht und eine andere rechtliche und politische Bewertung des NSU-Komplexes haben?“
Der Anwalt nannte drei Fragenkomplexe, die von den Anklägern bis heute „unzureichend oder gar nicht beantwortet“ worden seien: „Wie groß war oder ist der NSU wirklich? Welche Rollen hat der Verfassungsschutz gespielt? Wie groß ist das Problem des Rassismus in deutschen Sicherheitsbehörden?“ Aus seiner Sicht, so Daimagüler, habe die Bundesanwaltschaft etwas Entscheidendes verkannt: Das Verfahrensziel – die Wiederherstellung des Rechtsfriedens – hätte nur erreicht werden können, wenn die zahlreichen Unklarheiten im NSU-Komplex so umfassend wie möglich aufgeklärt worden wären. „Denn der Rechtsfrieden ist nicht nur durch die in der Anklageschrift aufgeführten Tathandlungen aufs Schwerste erschüttert worden“, sagte Daimagüler, „sondern auch durch das ungeheuerliche Versagen des Staates.“
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