Über Maxim Billermöchte man am liebsten fast gar nichts mehr schreiben, um nicht seine eigene Schreibkrankheit weiter zu befeuern. Kürzlich durfte er auf zwei ganzen Seiten im Zeit-Feuilleton in gnadenloser Selbstblindheit und mimosenhafter Hybris mit der deutschen Literaturkritik ins Gericht gehen: Als Nazi-Nachfahren hätten sie praktisch alle seine genial „jüdische“ (real unlesbare) Schwarte Biografie nicht gecheckt. Biller kam so ungefiltert eitel-beleidigt rüber, dass den Leser kalter Ekel befiel, wie sich da einer seinen größten Feinden, den narzisstischen alten Männern der deutschen Literatur, anverwandelte.
Dabei hatte das Frühjahr gut begonnen: Nur wenige Wochen nach seinem Abgang aus dem Literarischen Quartett avancierte Biller kurz zum bedeutendsten literarischen Player im deutschen Magazin-Journalismus. Große Modestrecke im Zeit-Magazin (Titel: „Literarisches Solo“). Eine Mutter- Kurzgeschichte im Frauenheft der SZ (nicht gelesen). Eine Vater-Kurzgeschichte im Männerheft der SZ (nicht gelesen). Und eine etwas längere Erzählung in der wiederbelebten Retro-Zeitschrift Die Dame (komplett gelesen): „Das falsche Spiel der Margarete Bloch“, eine ziemlich gute und ein bisschen billige Kafka-Verarschung, in der Biller den „klugen, hübschen, verlogenen František“ ein wenig zu absichtsvoll auf der jüdischen Sex-Schiene erledigen will (sein postkoitales Gequatsche erinnere an einen „verwirrten, verirrten Jeschiwaschüler“).
Und jetzt spendiert Hoffmann & Campe Biller auch noch eine große Werkschau seiner gesammelten „Hundert-Zeilen-Hass“-Kolumnen. Wenn man diese stilprägenden Klartexte aus Tempo der 1980er und 1990er Jahre heute wiederliest, überkommt einen Wehmut. Was waren das für Zeiten, als der Hass auf so gemütliche Sachen wie Sommer (widerspricht dem deutschen Wesen), Berlin (Hauptstadt der Kanaille) oder Woody Allen (Cordhose) noch frisch genug wirkte, um daraus eine super Borderline-Karriere zwischen sensiblem Schnösel und launischem Lautsprecher zu stricken. Heute, da der Hass nicht mal mehr für Trump, AfD oder Denis Scheck reicht, bleibt es Billers historisches Verdienst, die innerdeutsche Feuilleton-Grenze zwischen der DDR der Literatur und der BRD des Journalismus überquert zu haben. Vielleicht hat er es ein paar Mal zu oft getan: Leider fühlen sich diese alten Kolumnen nach Billers jüngster Entgleisung auch wie Vorboten seines jetzigen Zustands an.
Rasch zu Roberto Bolaño. Aus dem labyrinthischen Nachlass des „ersten wirklichen Autors des 21. Jahrhunderts“ (Patti Smith) hat Hanser jetzt auch noch die Gedichte geplündert. Die sind größtenteils grottenschlecht und trotzdem tröstlich. Dazu muss man wissen, dass der große Chilene sich bis zu seinem Welterfolg mit Die wilden Detektive und 2666 zwanzig Jahre lang vor allem erfolglos als Lyriker sah – und es absolut nicht draufhatte. Mit dem Romane-Schreiben begann er laut Eigenauskunft nur, weil mit den Gedichten berechtigterweise absolut nichts zu verdienen war, aber er dringend Geld brauchte. Zum Glück für uns: Die romantischen Hunde enthalten alles, was seine Prosa später ausmachen wird – coole Detektive („im großen Kühlschrank von Los Angeles / Im großen Kühlschrank von Mexiko DF“), träumende Detektive, verirrte Detektive. Liebe, Nutten, Lateinamerika, Literatur. Oder die Liebe zu Nutten, Lateinamerika oder der Literatur. Vor allem der Wille, durchzuhalten, weiterzuschreiben, auf die Reise zu gehen, zu den Autoren, die man bewundert und verachtet, bis man einer von ihnen geworden ist.
Auch für Daniel Clowes’ neues Werk braucht man gute Nerven. Patience ist eine wunderbar aufgemachte Graphic Novel, die nach dem Auspacken mit hardcore Farbgeruch genauso Kopfschmerzen verursacht wie die Story. Daniel Clowes, der David Lynch der amerikanischen Comic-Szene (am bekanntesten Ghostworld, am besten David Boring), schickt seinen Helden Jack Barlow auf eine High-Speed-Action-Zeitreise, mindestens so schlechtgelaunt wie Biller, und so detektivisch verrückt wie Bolaño:
Im Zentrum steht der Mord an Patience, der schwangeren Ehefrau und großen Liebe des US-Niedriglohnarbeiters Jack Barlow. Jack hat nichts mehr zu verlieren und setzt alles daran, den Mord aufzuklären beziehungsweise zu verhindern: Im Jahr 2029 stößt er auf eine Zeitmaschine, mit der er fortan wild zwischen 1985, 2006 und dem Mord-Jahr 2012 hin- und herspringt, um sich immer abstruseren Rache- und Rettungsszenarien auszuliefern. So mutig wie sein Antiheld begegnet Daniel Clowes den genrespezifischen Problemen mit der Erzähllogik in Sci-Fi-Plots: Der fühlt sich, „als wäre ein Teil meiner Seele noch irgendwo da draußen im Nichts und ich nur so ’ne chinesische Billigkopie aus dem allerletzten Schrott“. Wenn das kein Gefühlsangebot für die Gegenwart ist!
Info
Hundert Zeilen Hass Maxim Biller Hoffmann & Campe 2017, 400 S., 25 €
Die romantischen Hunde Roberto Bolaño Heinrich von Berenberg, Christian Hansen (Übers.), Hanser 2017, 176 S., 20 €
Patience Daniel Clowes, Reprodukt 2017, 180 S., 29 €
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