Das neue Buch von Kat Kaufmann nervt leider so, dass man es eigentlich schnell abhaken könnte. Der Titel trabt hoch ins Leere: Die Nacht ist laut, der Tag ist finster – sorry, aber da müssen dann schon entweder tausend Seiten Niemandsbucht oder hundert Seiten superverdichtete Alltagspoesie kommen. Eine komplett uninteressante Isch-hab-Herkunft-Handlung (Kaputtnik in kaputter Welt sucht via Großvater seinen Vater in Moskau). Die schlecht gekonnte Hip-Hop-Sprache voller schmerzender Semi-Gedanken („Terror. Hört mit Error auf. Ist schon lange alles Error“). Und schließlich eine prätentiöse Autorinnen-Inszenierung im Klappentext („… lebt als Schriftstellerin, Komponistin und Fotografin …“). Und dennoch sind Auftritt und Buch zumindest für eine Erkenntnis über unser ZDF-Deutschland gut: Denn die Kaufmann steht für eine ganze Kat-Generation von Katty Salié bis Katrin Bauerfeind. Alle derselbe Typ Mähne, Lachen, Schmollmund; alle nur so’n bisschen edgy, bisschen sexy, bisschen forsch-frech; und alle brutal okay und super eloquent die innere Langweiligkeit überspielend. Wie konnte es so weit kommen?
2015 legte die 1981 in St. Petersburg geborene Kaufmann ihr Debüt Superposition vor: gekonnt bis handelsüblich frech, was vielleicht Autobiografisches über Jungsein bei Nacht (Drogen, Pop, Sex). Das Motto der Veranstaltung war mehr oder weniger klug bei David Shields’ Reality Hunger zusammengeklaut: „Alle Personen in diesem Buch haben sich selbst frei erfunden oder wurden von Mutter, Vatter, Schulkameraden, Arschlöchern und Wichsern zu dem gemacht, was sie sind. Und der Jude ist nicht reich. Und der Russe ist nicht kalt. Und Berlin ist nicht Berlin.“ – Das deutsche Betriebsproblem ist halt nur, dass diese schöne Rebellen-Pose nur bis zum aspekte-Preis hält, bei dem man dann für 10.000 hart verdiente Kröten zehn Minuten vor laufender Kamera von Wolfgang Herles auf dem blauen Sofa runtergelabert wird. Talentvernichtung made in Germany, – oder was ist eigentlich aus Thomas Bernhards schöner Tradition geworden, Preise auch mal nicht anzunehmen?
Jeden Literaturpreis der Welt annehmen darf Emmanuel Carrère. Er folge immer lieber einem offenen Ich als einer geschlossenen Fiktion in die weite Welt, meinte Carrère in seinem Religions-Bestseller Das Reich Gottes über seinen Lese- und Schreibimpuls. Schon Jahre vor Knausgårds Kampf begann der französische Filmemacher und Autor (Alles ist wahr, Limonow), sich mit einem ähnlichen Aufrichtigkeits-Pathos mit seiner eigenen Biografie zu beschäftigen – allerdings noch verdichteter, lebenshungriger und gefährdeter, als das in Skandinavien vielleicht möglich ist.
Ein russischer Roman erschien im Original bereits 2007, jetzt ist es endlich auf Deutsch zu haben und erzählt kunstvoll kunstlos drei „Geschichten“, die alle um ein Ich kreisen, das mehr reinhaut, als es jede Romanfigur mangels Fallhöhe je könnte: In der ersten Geschichte reist Carrère mit einem Filmteam ins russische Provinznest Kotelnitsch, um einen artehaften Dokumentarfilm über einen ungarischen Kriegsgefangenen zu drehen, der dort nach 1945 einfach in der Psychiatrie vergessen und erst ein halbes Jahrhundert später in die Heimat zurückgebracht wurde. In der zweiten Geschichte geht es um die leidenschaftliche Beziehung zu der jungen blonden Sophie, die Carrère währenddessen um eine erotische Shortstory bittet, welche er ihr (man bewegt sich in diesem Milieu) dann einfach mal als Reiseerzählung in Le Monde veröffentlicht: ein monströs scheiternder Akt performativer Literatur im Zentrum dieses Buches (es handelt sich um eine Anleitung für Masturbation im Zug, die Sophie für ihn ausagieren soll). Und in der dritten Geschichte geht es um das Tabu, das die Mutter, die Académie-française-Generalsekretärin Hélène Carrère d’Encausse, über seinen georgischen Großvater verhängt, der einst als gescheiterte Dostojewski-Figur ins Frankreich der Besatzungszeit immigrierte und spurlos verschwand, in dessen Wahnsinn und Outsidertum sich Carrère aber schreibend wiedererkennt. Herausgekommen ist eine spektakuläre, schonungslose Selbstsuche – My Life as a Russian Novel, wie das beste Buch dieses Frühjahrs treffend im Englischen heißt!
Zum Schluss schnell noch ein düsterer Blick auf ein American ego, das allerdings nicht gefeit ist vor hochliterarischen Ambitionen. Mit Der Vergewaltiger hat der Ex-Soldat, Ex-Knacki und jetzige Creative-Writing-Konvertit Les Edgerton aus Texas einen kleinen, gemeinen Noir-Gefängnisthriller um den Topos des gebildeten Amoralisten geschrieben, den der Verlag Pulp Master nun auf Deutsch bringt. Der unzuverlässige Ich-Erzähler und Täter – die Anklage lautet auf Vergewaltigung und Mord – muss allerdings tatsächlich Truman Ferris Pinter heißen und seine Tat im Todestrakt unter Zuhilfenahme von Borges- und Bibel-Zitaten immer ein wenig zu wortmächtig verteidigen. „Ich sag Ihnen, wer in dieser Zelle lebt: Jemand Perfides – sein Name ist Heimtücke … Lügner, Frevler, Wahrheitsschänder, Heuchler.“
Mir persönlich hätte Hase oder Jesus gereicht. Und leider bleibt auch im Knast ein belesenes Arschloch immer noch ein Arschloch.
Info
Die Nacht ist laut, der Tag ist finster Kat Kaufmann TEMPO bei Hoffmann und Campe 2017, 272 S., 20 €
Ein russischer Roman Emmanuel Carrère, Claudia Hamm (Übers.) Matthes & Seitz 2017, 282 S., 22 €
Der Vergewaltiger Les Edgerton Ango Laina, Angelika Müller (Übers.) Pulp Master 2017, 158 S., 12,80 €
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