UNRWA, eine Terror-Organisation?

Angriffe gegen UN-Organisation Die UNRWA gilt manchen bereits als verlängerter Arm der Hamas und ihres Terrors - die Beweislage freilich ist dünn und zielt auf Sippenhaft. Ein allzu offensichtliches Kalkül, die UN insgesamt zu diskreditieren und zu schwächen

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Der Konflikt zwischen der israelischen Regierung (sic!) und Palästinensern ist so alt wie der Staat Israel existiert und die Palästinenser im Grunde nicht mehr als den ihnen von Anfang an zugesprochenen Flüchtlingsstatus haben. Wenige Monate nach der Staatsgründung und als Folge des Palästinakriegs wurde im September 1948 der Sonderfonds United Nations Relief for Palestine Refugees eingerichtet. Seine Aufgabe: Hilfsmaßnahmen koordinieren. Nur wenig später stellte sich heraus, dass der Sonderfonds der schwierigen Situation nicht gerecht wurde – nicht gerecht werden konnte.

Deswegen wurde nur ein Jahr später die UNRWA (United Nations Relief and Works Agency for Palestine Refugees in the Near East) ins Leben gerufen. Sie steht seitdem vor der Herausforderung, den mittlerweile mehr als fünf Millionen Palästina-Flüchtlingen umfassend Hilfe und Schutz zu gewähren. Die UNRWA war über die Jahrzehnte immer wieder politischer Spielball internationaler Akteure. Das Spiel wurde vielfach über Finanzierungsfragen ausgetragen. Je nach Perspektive für eine Lösung des Nahost-Konflikts. Stets waren freilich die Palästinenser, vor allem im Gaza-Streifen, Leidtragende.

Dass die UNRWA überhaupt ihre Arbeit machen konnte, obschon in Abständen immer wieder an den Rand ihrer Existenz getrieben, war vor allem zigtausenden Palästinensern zu verdanken, die Schutz und Hilfe organisierten. Unter Umständen, die im Westen niemand auch nur einen Tag ertragen möchte. Wie bei vielen Hilfsorganisationen, die in Kriegs- und Krisengebieten ihre Arbeit machen, hängt diese Arbeit auch vom Wohlwollen der politischen Kräfte ab, die in diesen Gebieten das Sagen haben. Sudan, Syrien, Afghanistan – wo auch immer Hilfe ansteht, ist diese ohne Kooperation nicht zu leisten.

Kooperation darf und sollte aber nicht heißen, sich mit denen gemein zu machen, mit denen man kooperieren muss. Und schon gar nicht ist es erträglich, sich mehr oder weniger direkt in den Dienst von Machthabern und Machtgruppen zu stellen, die im Aktionsbereich von Hilfsorganisationen das Sagen haben. Vor allem dann, wenn es darauf hinausläuft, Teil eines Unterdrückungs- oder Terror-Systems zu sein. Das gilt auch für die UNRWA. Insofern ist es unerträglich, wenn Mitarbeiter der Organisation in den Hamas-Terror verwickelt waren oder sind. Soweit Konsens.

Was aber auch unerträglich ist: Wenn eine Organisation wie die UNRWA, ohne die es die Jahrzehnte währende Hilfe für Palästinenser in Gaza und im Westjordland nicht gäbe, in Gänze und aus niederem politischen Kalkül in Haft genommen wird. Das aber geschieht derzeit. Die UNRWA scheint, wenn man schäumende Kommentare wie den des Tagesspiegel-Journalisten Stephan-Andreas Casdorff nimmt, zu einer Hamas-treuen eigenen Terror-Einheit gewachsen zu sein. Zu einem, wie er schreibt, Hilfswerk für Terroristen. Vielleicht gar, so ließe sich anfügen, zu einer Terror-Bewegung?

Grundlage derartiger Kommentare sind Erkenntnisse des israelischen Geheimdienstes. Nicht veröffentlicht, nicht überprüfbar. Aber das schert Journalisten nicht – nicht mehr. Der Hamas-Terror rechtfertigt, alle, die sich in der Nähe des Terrors bewegten, allein, weil sich in Gaza alles drängte: das Leid, der Hunger, die Gewalt, zu diskreditieren. Einige Mitarbeiter der UNRWA wurden über die Kooperation hinaus der Kollaboration beschuldigt. Und aussortiert. Aber das reicht nicht. Es geht darum – endlich! – die ganze UN-Organisation der Mittäterschaft zu überführen.

Die Vereinten Nationen, vor allem ihre Hilfsorganisationen, sind vielen politischen Akteuren schon lange ein Dorn im Auge. Viel zu sehr haben sie sich in politische Verhältnisse eingemischt. So etwa in der Flüchtlingspolitik. Weil der Erfolg ihrer Arbeit nun einmal von solchen Verhältnissen abhängt. Und die Verhältnisse ihre Arbeit stets eher erschweren als erleichtern. Auch in Gaza. Seit 2007 sitzt dort die Hamas fest im Sattel und gibt den Ton an. Die israelische Regierung versuchte mehrfach, die Terror-Organisation auszuhungern. Es hungerten freilich vor allem Millionen Menschen.

Die UNRWA monierte vielfach den teils massiven Einfluss der Hamas. Und wurde vielfach bezichtigt, selbst der Hamas und ihrer politischen Agenda Vorschub zu leisten. Letzteres war nicht von der Hand zu weisen. Die Frage aber ist, wer sonst, vor allem in Gaza, je geholfen hat, den zivilen Einfluss der UNRWA zu stärken und den der Terroristen zurückzudrängen. Nach dem Angriff der Hamas auf Israelis und ihre körperliche und seelische Integrität wird die UNRWA zum Abschuss freigeben. Unter dem Eindruck des Terrors wiegt alle erbrachte humanitäre Unterstützung nicht mehr.

Stets taten die finanziellen Unterstützer der UNRWA so, als sei dies eine Art Ablasshandel. Wer zahlt, braucht sich um das politische Dilemma im Nahen Osten nicht mehr zu kümmern. Ob in Gaza oder im Westjordanland: Wirkliche Hilfe, in einem Alltag ohne eigenen staatliche Rückendeckung, wurde Hilfsorganisationen überlassen – dabei nicht nur der UNRWA. Wachsender Druck auf alle politischen Akteure war nicht wirklich erkennbar. Der Glaube an Geld und Wunder, so schien es, würde alles schon richten. In solcher Atmosphäre müssen Hilfsorganisationen agieren.

Geld wurde überwiesen, wieder einbehalten, wieder überwiesen. Wunder haben sich nicht eingestellt. Statt dessen versinkt das Leben von Palästinensern und Israelis in einer Hölle aus Blut, Zerstörung und politischen Kalkülen. Ideen, wie man aus dieser Finsternis herausfinden könnte, gibt es – theoretisch. Praktisch scheint es kaum Auswege zu geben. Dahinein kracht die Kritik ausgerechnet gegen jene, die jetzt überhaupt noch den Menschen Hilfe sind. Die in Trümmern gegen Durst und Hunger kämpfen. Gegen die UNRWA. Das ist schon ein starkes Stück Verachtung! Und Unmenschlichkeit.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Mijic

think-tank aus hamburg & bale (Istrien)

Andreas Mijic

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