Wenn Kunstkritik sich selbst desavouiert

Biennale in Venedig "Zeit"-Autor Hanno Rauterberg versucht sich in der Kritik der Kunst - dabei brechen sich seltsame Standpunkte Bahn. Sie reichen von der Banalisierung der Kunst des Südens bis hin zu homophoben und rassistischen Untertönen

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Man darf seit jeher den Verdacht haben, dass hinter Kunstkritikern von Neid geplagte verhinderte Künstler stecken. Nicht selten nämlich holen derartige Menschen, die die Feuilletons besiedeln, zu regelrechten Niedermach-Texten aus. Nach einem ersten Lesen mag sich die ein oder andere Niedertracht des Wortes noch nicht so recht offenbaren. Auf den zweiten Blick aber erschließt sich oft schnell ein Feld der Lust am Frust. Die mag in vermeintlich intellektuelle An- und Absätze gekleidet sein. Am Ende kommt sie ebenso nackt wie dumm daher. Und man muss nicht Opfer sein, um mit der Kunst zu leiden. Es reicht eine simple Empathie.

Wie sich der Zeit-Autor Hanno Rauterberg dieser Tage über die gerade eröffnete Biennale in Venedig hermacht, ist ein Paradebeispiel. Was sich anfangs seines Urteils über eine der, wenn nicht der bedeutendsten Kunstausstellung(en) der Welt noch anschleicht wie ein katzenhaftes Betrachten gerade geschnupperter Beute, entpuppt sich am Ende als respektloses Fressen. Was anfangs noch nach einer Art enttäuschter Liebe zur Biennale-Kunst klingt, erweist sich am Ende des Rauterberg’schen Kritiker-Sounds als homophob, ja rassistisch wirkender Erguss. Der Freiheit der Kunst begegnet eine ungezügelt kolonialistische Sichtweise.

Konzidiert Rauterberg dem Kurator der Hauptausstellung, dem Brasilianer Adriano Pedrosa, im Foyers seines Beitrags, freilich süffisant, eine Auswahl von Künstlerinnen und Künstlern, die durch und durch politisch sei, weil ja die Biennale schon immer die Welt ganz dringend erschüttern, verjüngen, erneuern müsse, kommt Satz daraufs offen sarkastisch, dass Pedrosa eine Verjüngung gelungen sei, die verblüffender nicht sein könnte: Das Neue, so Rauterberg, trete im Geist des Alten auf. Womit die Tür vom Vorraum der Kritik ins Treppenhaus, ins Parkett weit aufgestoßen wird. Von da an gibt es dann kein Halten mehr.

Was Rauterberg dem Kurator Pedrosa vorwirft: Dass er der Kunst des Südens, die diesmal die Hauptaustellung der Biennale prägt, im Grunde auch nicht mehr als den musealen, wohl geordneten Platz zuweist, als es ehedem der Kolonialismus tat. Dass all die Kunst, die da zu sehen sein wird in der Lagunenstadt, einer Gediegenheit Raum gibt, die nicht immer frei sei von Kitsch und Klischee. Die Moderne des Nordens, so zitiert Rauterberg Pedrosa, kennen man ja. Nun dürfe die Kunst des Südens, Originaltext Rauterberg, die Säle füllen. Zeigen, was sie könne und lange schon kann. Kunst als Kreislauf, unabhängig von Heute und Gestern.

Worüber sich Rauterberg echauffiert, und da wird es fast komisch, ist, dass vieles an der Kunst im Süden der Kunst im Norden ähnelt. Freilich der der Jahrzehnte des vorangegangenen Jahrhunderts. Auch an Kaufhauskunst, an Kunst der Biederkeit. Pedrosa, so Rauterbergs Anwurf, wolle die Welt der Kunst (und der Künstlerinnen und Künstler) nur um das Unbekannte erweitern. Das sei denn schon der ganze kuratorische Aufwand. Das Preisen des Fremden und der Fremdheit, bei dem sich niemand unwohl fühlen solle. Sinn für Tradition und Familie, kein animistischer Totemkult, keine Talismanisierung. Ein eingehegter Zauberwald.

Keine Provokation, keine Infragestellung, nur mal dort ein rasch hingepinselter Hinweis Viva Palästina. Die Debatten, die nach dem 7. Oktober (Terror-Überfall der Hamas auf Israel) weite Teile der Kunst- und Kulturwelt bestimmen, gar nicht erst auftauchen lassen, so Rauterbergs Urteil zur Biennale. Alles schön friedlich, niemand müsse sich grämen. Das sei die eigentliche Leistung der Biennale 2024. Kunst um der Kunst Willen. Na und? Bei Rauterberg beißt sich die Katze (siehe oben) in den Schwanz. Jahrhunderte hat sich die Kunst des Nordens um sich selbst gedreht. Um freie Formen und Farben. Gerade darin lag die Provokation.

Die Kunstwelt, so Rauterberg habe Defizite erkannt. Museen öffneten sich deshalb schon seit zwei, drei Jahrzehnten für alle jene Künstlerinnen und Künstler, die lange abgedrängt waren, ungewollt ungesehen. Pedrosa freilich betreibe die Öffnung in geradezu radikaler Konsequenz: die weiblichen, die schwulen, die queeren, vor allem aber die indigenen Künstler bekämen einen ungeahnt großen Auftritt. Und weiter? Offenbar betreibt Rauterberg gern eine ihm eigene koloniale Kunstbetrachtung. Hinter der von Rauterberg enttarnten angeblichen Profanität der Biennale tauchen unübersehbar ziemlich heikle Ressentiments auf.

auf der Biennale des Adriano Pedrosa…ist alles auf Ein- und Rückbindung bedacht, nicht zählt mehr als Abstammung und Herkunft. Wer als Indigener zur Welt kommt, wer als Autodidakt das Kunstfeld betritt, wer sich als schwul oder queer zu erkennen gibt, mag auf vielfältige Weise benachteiligt sein; in der Kunst öffnet sich ein ungeahnter Freiraum. Noch die schlimmste Ethnofolklore gilt als gerechtfertigt und gut, solange sie von indigener Hand gefertigt wurde. Und egal wie altbacken ein Stillleben mit Blumenstrauß auch sein mag, solange es von einem schwulen Maler stammt, hat es seine Berechtigung und wird auf der Biennale präsentiert.

So heißt es am Ende von Rauterbergs – Pamphlet? Man kann es so zusammenfassen: Die Kunst des Südens, die bei der Biennale gezeigt wird, ist meist banaler bullshit. Eine Ansammlung zumeist autodidaktischer Künstlerinnen und Künstler, die nur, weil sie homosexuell etc sind, von Kurator Pedrosa (der selbst schwul ist) zur Geltung gebracht werden. Es gehe nur darum zu zeigen, dass der Süden auch ein bisschen Formen und Farbe kann, notfalls für übers Sofa. Es fehlt die Provokation (außer die der Biederkeit) und die politische Kunst, auf die Rauterberg womöglich gern draufhauen würde, wäre sie nicht auf der ihm genehmen Seite.

Das hat allesamt nicht nur homophobe und rassistische Anklänge, das ist genau der Stil, der in kolonialen Zeiten mit Blick auf die Kunst des Südens gepflegt wurde. Was Rauterberg als Mangel der Biennale darstellt, die fehlende Moderne, ist ihm im Grunde zuwider. Wer so schreibt, ist der Herausforderung der Moderne und der ihr oft eigenen emanzipatorischen Antriebskräfte eigentlich nicht gewachsen. Weil es diese Moderne nicht nötig hat, Kunst zu diffamieren. Weil sie den souveränen Diskurs über das, was Kunst in jedweder Richtung ausmacht, schätzt. Weil sie Kritik nicht mag, die die Freiheit der Kunst unterminiert.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Mijic

think-tank aus hamburg & bale (Istrien)

Andreas Mijic

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