Kunst der Provokation

Debattenkultur Die Angriffslust des Mittelmaßes provoziert das Einfordern des Intellekts - Wir dürfen uns mit dem Opportunismus in den derzeit herrschenden "Diskussionen" nicht zufrieden geben!

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In diesen Zeiten neigt man dazu, sich als kritisch-linker Geist zu verkriechen. Mainstream und ein schleichender Opportunismus wollen einem die Sicht auf Realitäten versperren. Wer sich nicht zufrieden gibt mit schlichten Erklärungen, wird stigmatisiert. Das Komplexe weicht dem Einfachen. Das Vielseitige dem Einseitigen. Die Herausforderung der Bequemlichkeit. Der Diskurs der Ausgrenzung. Weltoffenheit verwandelt sich in politische Blindheit. Wer Steine verrückt, wird gesteinigt. Worte werden einem im Munde herumgedreht. Das Abwägende wird schnell zum Verhängnis. Und von dort zum Strick.

Ich habe mir überlegt, ob das der Punkt ist, an dem sich alter Kampfgeist zunehmend in Resignation verwandeln muss. Ob man, wenn angesichts wachsender Selbstgewissheiten kaum mehr jemand in der Lage oder bereit ist, zuzuhören, abschalten sollte. Ob man, wenn man schon nicht Friede anderen oder woanders mitschaffen kann, wenigstens den biederen Frieden in sich suchen muss. Und hatte schon, der eigenen Seele zuliebe, den inneren Rückzug angetreten. Bis ich merkte, das bekommt mir weniger, als mich aufzureiben. Mir an der wuchernden Mediokratie den Schnabel zu wetzen.

Wer noch denkt, sucht Felder, auf denen sich die Provokation leben lässt. Wenn es nicht das Wort ist, das ich als stumpfe Waffe erleben muss. Wenn es nicht das Argument ist, das im Strom von Dogmen und Rechthabereien verloren geht. Wenn es nicht die Bilder der Wirklichkeiten sind, die in den fotogeshoppten Ansichten der Politik verschwimmen. Wenn es nicht die Ruhe ist, die dem lautstarken Getöse Einhalt gebieten könnte. Was hilft dann? In jungen Jahren half, erst recht nach draußen zu gehen, wachzurütteln, herauszufordern. Der Courage Gewicht zu geben. Wir sind zu zahm geworden.

Gerade wenn gebeugte Mehrheiten glauben, sich in ihrer Haltung wegducken oder zumindest gut einrichten zu können, ist es an der Provokation, das Schild der Einfalt zu brechen. Wenn das Nette der Aggression weicht, bedarf es aggressiver Nettigkeit. Die Kunst der Provokation ist es, nicht aufzustacheln, nicht anzugreifen, nicht mit hässlicher Rede oder beredter Hässlichkeit das Mittelmaß aufzuwühlen. Sondern streitlustig einzufordern, was verloren zu gehen droht: Toleranz, Demokratie, Diskursfähigkeit. Abseits pseudo-liberaler, rechtskonservativer oder rechtsextremer Verblendungen.

Es ist mehr als überfällig, sich durch freundliche Provokation unfreundlicher Einengungen zu entledigen. Abseits durchsichtiger rechter Forderungen nach Meinungsfreiheit um der Menschenfeindlichkeit Willen muss wieder offener menschenfreundlicher Meinungsaustausch eingefordert werden. In dem Maße, wie gegen jene, die nicht so denken, wie vermeintlich alle, müssen im Rahmen demokratischer Spielregeln Spielräume zurückgewonnen werden. Und sei es, dass man durch ungestümes Beharren provoziert. Das ist das Mindeste. In diesem Sinne kann die Kunst der Provokation gar nicht weit genug gehen.

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Geschrieben von

Andreas Mijic

think-tank aus hamburg & bale (Istrien)

Andreas Mijic

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