Zeit der Hasardeure

Die Welt ertrinkt im Irrsinn Wir haben die stark gemacht, die uns heute unsere Schwächen offenbaren - die Reaktionen darauf sind von Hilflosigkeit und zunehmender Militarisierung der Politik gekennzeichnet

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Trump, Putin, Selenskyi, Netanyahu, Erdogan und westliche Polit-Strategen – sie haben, ob man will oder nicht, etwas gemeinsam: Sie richten sich offenbar auf andauernde Krisen- und Kriegszeiten ein. Manche sind leidenschaftlich auf Aggression und Sturm gebürstet und scheren sich einen Dreck um das Gleichgewicht der Welt (Trump, Putin). Manche haben den Pfad realistischer, für alle Menschen tragfähiger Lösungen verlassen (Selenskyi) oder nie ernsthaft erwogen (Netanyahu). Manche entbehren jeder verlässlichen demokratischen und rechtstaatlichen Contenance und suchen sich je nach Bedarf Freunde und Freundschaften (Erdogan).

Und viele haben nach dem hoffnungsvollen Ende des Kalten Kriegs, nach Wiedervereinigung und Bemühen um Zusammenhalt (die EU und ihre Mitglieder) allem Anschein nach beschlossen, sich dem Irrsinn zu fügen. Sie heizen ihn an. Indem sie zuerst die Nähe zu allerlei windigen Protagonisten pflegen, sich dann schütteln – und einen Ausweg in militärischer Wehrhaftigkeit suchen. Erst fördern sie den Horror (Trump, Putin), dann munitionieren sie nach Kräften die kriegerische Gegenwehr (Selenskyi). Sie dulden den Antisemtismus von Nato-Freunden (Erdogan). Und wagen es nicht, die israelische Regierung (Netanyahu) zu Menschlichkeit zu zwingen.

Heraus kommt nicht das Eingeständnis von Hilflosigkeit angesichts des selbst angerichteten Schadens. Das wäre noch etwas, das man unendlich großzügig ehrenhaft nennen könnte. Heraus kommt, von Medien angefeuert, ein Weltuntergangsszenario. Vor dessen angenommenem Hintergrund wird gerechtfertigt, was angeblich Not tut. Ein Bollwerk zu errichten. Gegen ein Heer von Feinden, die uns nach dem Leben trachten. Gegen Staaten, die kurz davor stehen, uns anzugreifen und kleinzuhechseln. Gegen Hacker, die uns digital vernichten wollen. Kurzum gegen alle, die wir groß werden ließen und groß machen. Ein Bollwerk gegen uns selbst.

Es ist absurd, wie plötzlich alles, was wir an Friedens-, Antikriegs- und Antikrisenstrategien erarbeitet und gelernt haben, wie alles, was nach Einsicht in politische Notwendigkeiten ausgesehen hat, unter unseren Füßen wegrutscht. Wir fördern oder dulden Irrsinnige und Irrsinn. Wir munitionieren das Böse, um es dann zu bekämpfen. Wir setzen auf zweifelhafte Gewinne und nehmen nachhaltige Verluste in Kauf. Wir benehmen uns wie die Hasardeure, die uns ehedem die internationale Finanzkatastrophe brachten. Wir setzen auf windige Polit-Fonds, die sich als ungedeckte Schecks auf die Zukunft erweisen.

Wir stecken Milliarden in den Schutz vor Krisen und Kriegen, sozialem Desaster und Klimawandel. Ein kostspieliges (und nicht absehbar gelingendes) Unternehmen, das nicht nötig gewesen wäre, hätten wir den Niedergang nicht sehenden Auges gesponsert. Und statt an diesem Punkt kurz innezuhalten und zu schauen, ob sich die Spirale nicht irgendwie stoppen lässt, machen wir immer weiter. Wir setzen nicht auf Vernunft, sondern auf Kamikaze. Nach dem Motto, wenn die Welt verloren ist, dann bereiten wir ihr besser ein frühzeitiges Ende. Lieber ein Ende mit Schrecken, als ein Schrecken ohne Ende. Die Welt dreht gerade komplett durch!

Wer denkt, alles, was schlecht ist, sei Vergangenheit, alles was kommt, sei gut; man müsse die Welt im Licht dessen sehen, was ist, man müsse sich nur ein bisschen wappnen. Der verkennt, dass man sich am ehesten vor seinem eigenen weiteren Versagen in Acht nehmen muss. Und sich erinnern muss an Zeiten, da es wirklich zum Besseren stand. Als abrüsten klüger war als aufrüsten. In jedweder Hinsicht. Als es sinnhafter war, nachzugeben als unnachgiebig zu sein. Nur weil Unnachgiebigkeit nach Sieg schmecken mochte. Der Gewinn, den das politische Abrüsten brachte, verhieß vielen ein Terrain, auf dem es sich – endlich – zu leben lohnte.

Dass es für einen kurzen Augenblick so aussah, als hätte man begriffen, verdeckte, dass man in der Euphorie die Vorsicht vergaß. Nicht mehr die Augen und den Geist offen hielt. Perestroika verkleisterte das Wiedererwachen russischer Hybris. Der Gegenpart Selenskyi, dass die Ukraine kämpft UND leidet. Das Osloer Friedensabkommen die Rückkehr derer, die nie das Wohl der Palästinenser wollten. Obama, dass das Sicherheitsrisiko Trump heranwuchs. Die Flüchtlings"lösung" Erdogan, dass der NATO-Partner sein Land in ein Gefängnis verwandelte. Wir setzen auf die falschen Pferde, reißen die Hürden der Zuversicht und gehen in Wassergräben unter.

Wer nach Berlin blickt, der mag unschwer erkennen, dass sich durchaus spürbar die Doktrin verschiebt. Alles, was uns wichtig schien, wird panikartig und eilends zurückgeschraubt. Oder larmoyant vermeintlichen Zwängen der prekären Weltlage geopfert. Den Attacken, die wir mit zu verantworten haben. Weil wir wie ein Staat der Blinden die stark gemacht haben, die uns nun schwach machen. Wir kommen, wie so oft, zu spät. Wir sitzen in Zügen, die wir kaum noch richtig steuern können. Es würde helfen, die Notbremse zu ziehen. Stattdessen packen wir in unseren Abteilen die Butterbrote aus und hoffen, dass wir irgendwie irgendwo heil ankommen.

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Geschrieben von

Andreas Mijic

think-tank aus hamburg & bale (Istrien)

Andreas Mijic