Tagesschau? Machst du 20!

Fernsehsprache Beim Hochamt der deutschen Nachrichten will man die Sprache alltagstauglicher machen - quasi Ukraine-News wie über den Gartenzaun erzählt. Daumen drücken, dass das gut geht!

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Dieser Tage hat die ARD-aktuell-Chefredaktion ihre Vision von der Zukunft skizziert. Näher an den Menschen ran, ist die Devise. Die „Neue Züricher Zeitung“ nahm den Ball auf.

Die Chefetage von ARD-aktuell, die für die Tagesschau verantwortlich ist, möchte die Sprache der Sendung verändern. Mehr Gartenzaun-Sprech. Mehr Mümmelmann-Atmo. Kurze Sätze. Keine fremden Wörter. Sprechsprache, wie es heißt. Nicht so akademisch. Und weil das mit dem nicht so akademisch ernst gemeint ist, liegt es natürlich nahe, mit Akademikern zusammenzuarbeiten. Hier die Universität Hildesheim. Weil die, die da brüten in ihrem, früher hieß das Elfenbeinturm, ganz nah dran sind am Volk. Und genau wissen, was abgeht da draußen. In Kleingärten, beim Abendbrot, über grüne Hecken hinweg.

Man sieht sie schon ausschwärmen. Die Redakteurinnen und Redakteure, denen die Akademiker der Universität Feldforschung verordnet haben. Mit Handys bewaffnet. In Kneipen, auf Spielplätzen, in Fast-Food-Tempeln, der Fitness-Umkleide. Oder, wahlweise, auf englisch gemähten Golfanlagen, beim Drei-Sterne-Dinner oder Verkaufsgesprächen beim Auto-Händler lauschend. Denn irgend wie muss das ja eingefangen werden an Worten, die um 20 Uhr in die Nachrichten fließen sollen. Von denen ja bislang keiner wirklich Ahnung hatte, kaum jedenfalls. Hey, da tun sich ganz neue Welten auf.

Wird natürlich echt heftig mit der ganzen Bandbreite an Alltagssprache. Aber man kann es ja so machen: Kultur-Texte im Blankenese-Style, Ukraine-News im Altona-Look und, nun gut, sagen wir: Sex and Crime im Hammerbrock-Slang. Denn Sex and Crime müssen sein, wenn man nah an der Zuschauerin, am Zuschauer dran sein will. Man verzeihe den Hamburg-Flash. Da sitzen nun aber die Nachrichten-Fuzzis und schauen, wie sie ’n bisschen was für die Kundschaft tun können. Außer einfach nur blöde berichten, mit Sinn und Verstand. Mal Ranschmeißen kann ja nicht schaden, oder?

Is schon voll crazy, wie die Tagesschau-Granden drauf sind. Hätte man früher drauf kommen können. Wenn alles viel more easy verständlich gewesen wäre, wäre es vielleicht gar nicht zu Kriegen und Krisen gekommen. Die ja nur aufblitzen, weil keiner kapiert hat, was da wirklich abgeht. Mit dem ganzen Rumballern, Toten, Schutt und Asche und so. Und wer da was im Kopf hat. Alles klingt kompliziert im TV. Der Mega-Sound der Politiker. Wo jeder Satz ein Irrgarten ist. Voll Absicht. Voll Kanzel. Oder Kanzler. Alles verquer und null capisco. Da muss die Tagesschau ja reingrätschen. Wer sonst?

Bislang, so ließ der Tagesschau-Chef durchblicken, war so gar nicht Alltag. Die Zuschauerin, der Zuschauer müssten mehr abgeholt werden. Und weil man nicht bei jedem der (noch) Millionen vorm Bildschirm vorfahren und ihn persönlich einladen kann, muss auch der Sprecher ran. Der muss zeigen: Mädels und Jungs, zwischen uns passt schon sprachlich kein Blatt Papier. Ich bin einer von euch! Also reißen wir auch den dämlichen Tisch weg, an dem ich zu sehen bin. Ist eh zu wenig Stammtisch. Eher Hürde. Hürden freilich gibt es im echten Leben genug. Auch Nachrichten erfordern Barrierefreiheit.

Ein wichtiges Argument, die Sprache umzukrempeln, sei auch, so ist bei der NZZ zu lesen, Menschen für Nachrichten zu gewinnen, für die Deutsch nicht die Muttersprache ist. Wow, das ist krass vornehm ausgedrückt. Aber mal andersrum: Sind es nicht viele Muttersprachler – also Politiker, Unternehmer etc. -, denen es bislang schwerfällt, ganze Sätze, dazu noch grammatikalisch richtig und in ihrer Kürze sinnhaft über die Bühne zu bringen? Ohne Äääähs. Könnte sein, dass die Headline, sorry, Kopfzeile, über diesem Beitrag eher ihr Ding ist. Sprachliche Inklusion ist halt ein weites Feld.

Aber da, so gibt es Hoffnung, wird die Tagesschau schon die richtige Spur finden. Neue Sprache geknüpft an brandheiße Inhalte. Jüngst erst habe man im Hochamt der Nachrichten über die Rolling Stones und einen neuen Asterix-Comic berichtet. Und sich im YouTube-Format akkurat sexuell ansteckende Krankheiten vorgenommen. Niemand würde denken, dass die Tagesschau sowas mache. Aber das ziehe bei den U-30. Echt jetzt? Aber klar! Ne Grufti-Gruppe, Sprechblasen-Stories und Syphillis, das ist ne aufregende Mischung. Das jetzt noch in Sprechsprache. Da kann kommen, was will, die Tageschau bleibt!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Mijic

think-tank aus hamburg & bale (Istrien)

Andreas Mijic

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