Kretschmanns Märchenstunde

Fremdsprachen in Schulen Der baden-württembergische Ministerpräsident hält das Erlernen einer zweiten Fremdsprache in der Schule für überflüssig - und erklärt den Rückschritt mit digitalem Fortschritt. Der MP verirrt sich in Absurdistan!

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Man muss schon sehr tief durchatmen, wenn man liest, was der baden-württembergische Ministerpräsident Kretschmann zum Fremdsprachen-Unterricht an Schulen von sich gibt. Da hat einer so richtig viel von den Einsichten verstanden, die seit der französischen Aufklärung mehr oder weniger haltbar über die Grenzen geschwappt ist. Nämlich durch rationales Denken alle den Fortschritt behindernden Strukturen zu überwinden. Kretschmann schafft es – pardon! – par excellance die digitale Moderne derart mit geistigem Rückschritt zu koppeln, dass man es einfach gut finden muss, dass der Mann der Grünen demnächst aus dem Amt scheidet.

Der Ministerpräsident findet, dass es heute überflüssig ist, eine zweite Fremdsprache an Schulen zu lernen. Warum? Weil man sich, etwa in zehn Jahren, so ließ er bei einem deutsch-französischen Gedankenaustausch wissen, einen Knopf ins Ohr stecken könne und Sprachbarrieren damit überwunden seien. Eine super Entwicklung, so der grüne Vorzeigepolitiker. Mit Verweis auf ChatGPT, KI und wie die Dinge noch so heißen, die das Leben leichter machen würden. Was solle das, meinte der weise und weiße alte Mann, wenn man in der Schule ein paar Brocken Französisch lerne und sich dann im Urlaub noch nicht mal ein Eis bestellen kann.

Fremdsprachen-Unterricht, so der Tenor, sei, bis auf Englisch, so mag man einschränkend wähnen, wenn man Kretschmanns Worte wiegt, nicht mehr zeitgemäß. Und weil er, als Senior-Brain-Stormer ja ein bisschen avantgardistisch daherkommen mag, habe er s’opposer à l’enseignement des langues étrangères gewagt. Nur mal so, um einen Stein ins Wasser von Loire oder Rhein zu werfen. Mir geht‘s darum, dass wir uns verändern. Das verändert einfach die Welt, das wird den Unterricht verändern, das wird Bildung verändern, das wird jede Branche verändern, so O-Ton Kretschmann. Dass genau das das Problem ist? Egal.

Äbbes Domms isch schnell rausgschwäddzd! Das ist die Erkenntnis, die einem aus den Einlassungen des in Stuttgart residierenden Landeshäuptlings entgegenfliegt. Wenn der Unsinn nicht so eine bittre Note hätte. Note sechs, möchte man meinen. Auf Kritik erwiderte er, „ich gehe doch nicht auf ein Podium, um mir von meinen Beamten vorher aufschreiben zu lassen, was ich sagen darf und was nicht. Das werde ich in Zukunft noch weniger machen, als ich es schon immer gemacht habe, solche Anstöße sind notwendig, Ende der Durchsage.“ Das klingt nach Courage. Ist aber nicht mehr als die Trotzigkeit eines enfant terrible auf der Strafschulbank.

Bisweilen brüsten sich Menschen mit diesem Markenzeichen. Und bisweilen ist es ja prima, die Menschheit, zumindest im Ländle, aufzuschrecken. Und aufzurütteln, damit die welken Blätter alter Ratschläge für internationale Wetterfestigkeit hinweggeweht werden. Dass aber, wenn man durch Großstädte wandelt, genau das: nämlich sich im wahren Wortsinne verständigen zu können, durch falsche provinzieller Obhut preisgegeben werden soll, dafür bedarf es schon einer Menge Bildungs- und schließlich Weltfeindlichkeit. Vielleicht weil Kretschmann außer Lateinisch und Altgriechisch weder Englisch noch Französisch spricht.

Da kommt es gut, wenn der Grüne den Anschein erweckt, es würde reichen, wenn man als zweite Fremdsprache Schwäbisch beherrschen lernt. Wenn man aus Hessen kommt oder aus Sachsen, wo fatalerweise bis heute statt Schwäbisch Französisch oder Spanisch in den Schulen angeboten wird. Kretschmann macht vor, wie es geht, fürs Leben zu lernen. Brücken zu bauen. Und dabei nicht mehr auf eigene Sprach-Weiterung zu setzen, sondern auf den Knopf im Ohr zu schwören. Fragt sich nur, ob das im Sinne der Aufklärung überkommene Strukturen überwinden hilft – oder eher fauler Zauber ist. Unglückliche Magie à la Kretschmann.

Im Ernst: Wer 2024 salopp das Lernen einer zweiten (oder dritten…) Fremdsprache in der Schule hinterfragt, der befindet sich tief in der Mottenkiste. Viele junge Menschen wünschen sich, hinaus in die Welt zu gehen, dort gar zu studieren und – sollte es so sein – auch im Ausland zu bleiben. Je mehr Sprachen da jemand beherrscht, desto leichter kann er sich solche Wünsche erfüllen. Kommunizieren, eine akademische Laufbahn ansteuern undsoweiter. Dass das gestrig sein soll, ist selbst angesichts umfassender digitaler Fortschritte, die der Grüne gegen den bisherigen Lern-Kanon stellt, nichts weiter als grober Unfug.

Dieser Unfug ist kaum anders zu erklären, als dass dem Ministerpräsidenten, der die Schulzeit schon Jahrzehnte hinter sich hat, die Fähigkeit verloren gegangen ist, Zukunft und Gegenwart sinnvoll zu verknüpfen. Und Istzustand mit Perspektiven auf eine halbwegs gescheite Weise zusammenzuführen. Fremdsprachen öffnen, zumal, wenn sie nicht vergänglich daherkommen, die Sicht auf anderes Denken, andere Kulturen, Mentalitäten, auf Politik und dem, was daraus resultiert, auf die Welt. Es ist absurd, in Zeiten komplexer Entwicklungen mit Verweis genau darauf den Strang der Sprache(n) beschneiden zu wollen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Mijic

think-tank aus hamburg & bale (Istrien)

Andreas Mijic

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