Aus bekanntem Mund

Klitschko-Interview Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko ist nicht unumstritten in der Ukraine und seit langem politischer Gegner von Präsident Selenskyi - in einem tagesschau.de-Interview legt er die Finger in die Wunden des Krieges, eine Mahnung

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Sogar im Krieg müssen demokratische Grundsteine bleiben, sonst wird der Unterschied zu unserem östlichen Nachbarn nicht mehr groß sein. Worte aus bekanntem Mund. Es sind die Worte von Kiews Bürgermeister Vitali Klitschko. In einem Interview auf tageschau.de. Gesprochen mit Klitschko hat Sabine Adler. Ein Gespräch, das einmal nicht darauf abhob, Präsident Selenskyi Honig ums Maul zu schmieren. Sondern kritische Aspekte der Art und Weise, wie er das Land und wie er Krieg führt, zu betrachten. Bemerkenswert, auch wenn man weiß, dass Klitschko und Selenskyi eher Feinde, als Freunde sind.

Was das Interview deutlich macht: Dass die Politik des ukrainischen Staatschefs in seinem Land zunehmend beunruhigend wirkt. Klitschkos Einlassungen zeigen das eindringlich. Was die vielen Männer betrifft, die sich offenbar nicht in den Krieg stürzen wollen, den Russland der Ukraine aufgezwungen hat. Den Selenskyi seitdem freilich mit immer mehr Ehrgeiz führt. Was eine Militär-Administration betrifft, die offenbar immer stärker in die Geschäfte der städtischen Verwaltungen eingreift. Sie freilich seien, spricht Klitschko, in jedem demokratischen Land eine Basis, ein Grundstein der Demokratie.

Klitschko weicht Fragen nicht aus. Er sieht die besondere Situation in seinem Land, einem Land im Krieg. Und verleiht zugleich seinen Vorbehalten Ausdruck. Etwa gegen die Tendenz zur Zentralisierung von Medien. Gegen eine Zentralisierung, was die (politischen) Entscheidungen anbelangt. Eine gefährliche Tendenz, die, wenn man darüber nicht spreche, bedeute, damit einverstanden zu sein. Und einverstanden ist das Kiewer Stadtoberhaupt damit nicht. Und postuliert durchaus überzeugend: Wir müssen demokratisch bleiben. Sogar im Krieg. Eine Thema, über das zu sprechen sein sollte.

Wer, wenn nicht der Bürgermeister der ukrainischen Hauptstadt, der im Land, aber auch jenseits der Grenzen, eine gewisse Reputation genießt, sollte da reden, am Besten mit Selenskyi. Der aber und Klitschko pflegen eine lange politische Gegnerschaft. Klitschko hat nach eigenem Bekunden seit zwei Jahren nicht mit dem Präsidenten geredet. Seit Beginn des Krieges haben wir uns nicht einmal getroffen. Auch nicht telefoniert haben die beiden miteinander. Alle, so Klitschko, spüren Druck. Journalisten, die Wirtschaft. Ein Fehler. Man nimmt Klitschko, auch wenn er streitbar ist, das Gesagte glaubhaft ab.

Klitschko macht kein Hehl daraus, dass er zu dem derzeit wohl größten Dorn im Auge Selenskyis, dem Generalstabschef Saluschnyi, der sich offen gegen die gespielte Zuversicht des Präsidenten stellt, ein gutes Verhältnis hat. Von Saluschnyi hängt ein Bild in Klitschkos Büro. Von Selensky? Nicht. Noch will Klitschko nicht über Wahlen sprechen, auch nicht über die des nächsten Präsidenten. Gleichwohl wird deutlich, dass Selenskyi in Klitschko und dem im Volk angesehenen Generalstabschef ernstzunehmende Konkurrenten hat. Vielleicht auch deswegen zieht Selenskyi weiter die Zügel an.

Er weiß, die Zeit spielt nicht ohne Weiteres für ihn. Weder, was den Kriegsverlauf angeht. Noch die politische Entwicklung im Land. Seine Darstellungskraft lässt spürbar nach. Auch wenn ihm allerlei westliche Medien noch immer nahezu kritiklos den Hof machen. Und Interviews, wie das von Sabine Adler, eine auffallende Ausnahme sind. Klitschko, das ist nicht zu überhören, weiß um die Halbwertzeit Selenskyis als Präsident, um die abnehmende Fürsprache durch die Menschen. Er weiß, einen Krieg kann man nicht ewig führen. Auch wenn der Feind noch so widerlich ist.

Eines Tages, das ist gegenwärtig auch an der Debatte in den USA abzulesen, wird eine Alternative zu Tod und Zerstörung eingefordert werden. Eine geopolitische Perspektive. Unter Betrachtung aller Interessen in der Region. Über die Ukraine hinaus. Noch sind in Washington die Stimmen Mehrheit, die mit der Unterstützung der Ukraine Russland zeigen wollen, wer der weltweit Stärkere ist. Doch die USA haben nicht nur einmal in der Geschichte eine Kehrtwende vollzogen, wenn es darum ging, die eigenen Kräfte zu schonen. Und sich mehr um sich selbst zu kümmern.

Vielleicht geht das beim Kriegstreiber Russland nicht so schnell. Aber auch Putin ist ja beileibe nicht der unangefochtene Diktator. Weder international noch in seiner Heimat selbst. Früher oder später werden sich auch seine Freunde überlegen, ob das Ziel eines neuen alten großrussischen Reiches ihnen so gut schmeckt. China, Indien, wer auch immer, haben durchaus Interesse, die gewohnten Vormächte der Welt zu brechen. Die sortiert sich unterhalb des russisch-ukrainischen Kriegsradars auf längere Sicht neu. Und anders, als auch Putin und andere das glauben.

Insofern liegt Vitali Klitschko nicht so falsch, wenn er dem kriegerischen und politischen Gebaren seines Präsidenten ein bisschen die Luft rauslässt. Und darüber nachdenkt, dass die Errungenschaften der Demokratie, die Selenskyi auf dem Schlachtfeld verteidigen möchte, nicht zugleich geopfert werden können und dürfen. Weil es nicht das erste Mal wäre, dass auf diese Weise aus einem Freiheitskampf eine unangenehme Autokratie hervorgeht. Und dann wären alle Milliarden, die in die Ukraine fließen, wohinein investiert? Selenskyi sollte nicht glauben, dass er der einzige Schlaue ist.

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Geschrieben von

Andreas Mijic

think-tank aus hamburg & bale (Istrien)

Andreas Mijic