Militarisierung und Stigmatisierung

Krieg und Krisen Die Militarisierung der Politik nimmt in atemberaubender Geschwindigkeit ihren Lauf - wer auf Alternativen dringt, wird abgestempelt. Nachdenken würde vielleicht lohnen.

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Selbst dem, der über den vielfachen Verdacht erhaben ist, sich allzu gern auf theologisch-gefärbte Konfliktlösungen zu werfen, kann es bisweilen nicht schaden, sich mal auf diesem Feld umzusehen. Eine Besichtigung war dieser Tage bei ntv-online möglich. Dort äußerte sich in einem Interview der Psychologe und Theologe Stefan Seidel zur Frage von Feindschaft und wie man ihr begegnen könnte. Auch, wenn man Teil dieser Feindschaft ist. Und wie sich Wege aus Feindschaften hinaus finden lassen könnten. Gegen Argumente, solche Wege führten von den Realitäten weg, seien naiv und bedürften deswegen keiner weiteren Beachtung.

Seidel, der unter anderem in Jerusalem studiert hat, verwies – entgegen aller momentanen, offenbaren Hoffnungslosigkeit im Nahost-Konflikt – darauf, dass es entlang der Jahrzehnte alten Feindschaften von Israelis und Palästinensern auch immer wieder Ansätze gegeben habe und gibt, sich auf den Pfad der Versöhnung, der Annäherung, der Brückenbildung zu begeben. Er verwies unter anderem auf die Initiative Parents Circle, in der Eltern zusammengefunden haben, israelische und palästinensiche, die ihre Kinder in dem Konflikt verloren haben. Und die gemeinsam darum trauerten. Die forderten, das Blutvergießen auf beiden Seiten schnellstmöglich zu beenden.

Wäre ein solcher Ansatz Utopie, es gäbe ihn nicht. Auch nicht im kleinsten privaten Raum. Aber wenn es Räume gibt, warum dann nicht auch dort, wo Politik in größerem Rahmen über Wege aus dem Konflikt und damit über die Zukunft von Millionen Menschen entscheidet? Ist dieser Gedanke so absurd? Für die, die derzeit über Politik entscheiden, offenbar schon. Ob Israel und die Palästinensergebiete, ob Russland und die Ukraine, die Debatte und die Konsequenzen daraus, sind derart militaristisch aufgeladen, dass der Sinn für andere Wege anscheinend völlig verloren gegangen ist. Das zivile Leben wird da hineingezogen und kann sich kaum wehren.

Zugleich mit dem Interview erschien bei ntv ein Bericht, der auf etwas hinwies, das sonst kaum Beachtung in der Öffentlichkeit findet. In dem Bericht wird darauf hingewiesen, dass – trotz Krieg und Krisen – sich immer mehr Minderjährige für einen Dienst bei der Bundeswehr bewerben. Wenn sie unter 18 sind, für einen Dienst nicht unmittelbar an der Waffe. Gleichwohl dürfte es den minderjährigen Rekruten nicht entgehen, in welchem Um- und Vorfeld sie sich da bewegen. Der Dienst bei der Bundeswehr erscheint als eine langfristig stabile Perspektive. Denn Krieg und Krisen nehmen an Fahrt auf. Und geben einen sicheren Arbeitsplatz her.

In dieses Bild passt auch, dass Politiker verstärkt Wehrkunde im Unterricht fordern. Früher war es das Praktikum in einer Tischlerei, das den jungen Menschen die Arbeitswelt schmackhaft machen sollte. Heute kann man ja schonmal in die Bewaffnung reinschnuppern, und sei es zur Verteidigung in Konflikten, die man mit guten Beziehungen zu Autokraten und Diktatoren zunächst gefördert, deren friedliche Beilegung man dann versäumt hat und vor deren Folgen man nun nicht die Augen verschließen könne. So sieht das aus, was man, in Anlehnung an das, was Stefan Seidel zu sagen hat, den Weg in Blindheit und Wahn nennen könnte.

Der Militarisierung der Politik folgt auf dem Fuße die Stigmatisierung derer, die aus der Kritik daran andere Vorschläge machen. Entweder man wird ins Lager der Putin-Freunde und naiven Friedensschwurbler gesteckt oder ins Lager derer, die wegen ihrer Empörung über das Vorgehen der israelischen Regierung in Gaza selbstverständlich nur Antisemiten sein können, die Israel das Existenzrecht abstreiten. Dass jene, die andere Vorschläge machen, zugleich Putins verbrecherischen und völkerrechtswidrigen Überfall auf die Ukraine oder auch den Terror der Hamas so benennen und verurteilen, wird überhört. Absichtlich. Es passt nicht ins Stigma.

Warum schwierige Wege beschreiten, wenn es auch einfach möglich scheint. Warum nach Wegen zwischen den Fronten suchen, nach Möglichkeiten, das Schlimmste abzuwehren, wenn das Beschwören des Schlimmsten die Lösungsmodelle doch, wenn auch zähneknirschend, auf das Einfachste herunterbricht. Zigtausende Menschenleben, die Kriege und Krisen gekostet haben und kosten, scheinen die Mühe nicht wert, sich abseits fast noch archaischen Denkens auf die Suche zu machen. Es wird so getan, als sei es dafür zu spät. Als sei das Kind derart tief in den Brunnen gefallen, dass jede Rettungsaktion aussichtslos sei.

Die Politik nimmt sich selbst gefangen. Sie hat weder ein Gespür dafür, wo die Probleme beginnen, wo sie die Probleme frühzeitig mit schafft, noch wo sie enden könnten. Die Politik ist zunehmend zu einer Art Tagesgeschäft geworden, zu einer betriebswirtschaftlichen Größe. Die auf kurzfristigen Profit setzt, ohne die langfristigen Ausmaße abzuschätzen. Deswegen erst konnte Russland die Ukraine überfallen, deswegen klafft seit Jahrzehnten die Feindschaft im Nahen Osten. Man hat den Kern der Konflikte ignoriert, die in immer schlimmere Gewalt münden. Jetzt herrschen Ratlosigkeit und Übersprungshandlungen. Ohne eine belastbare Aussicht auf Frieden.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Mijic

think-tank aus hamburg & bale (Istrien)

Andreas Mijic

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