Voß' Feiger Irrtum

Medien ohne Haltung? Der ehemalige Frontmann von ARD und ZDF verlangt, Öffentlich-Rechtliche müssten sich im Kampf gegen rechts raushalten - eine "Neutralität", die den Gegnern unserer Demokratie und unseres Rechtsstaates die Steigbügel hält

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Deutschland steht auf gegen den Rechtsextremismus –das war kürzlich ein Satz in der ZDF-Nachrichtensendung heute, der die Proteste gegen rechts und die AfD meinte. Intonierte, wie Peter Voß, ehemals allerlei führende Positionen bei ARD und ZDF bekleidend, in einem FAZ-Beitrag knapp und scharf tadelte. Um darauf hinzuweisen, dass der Satz inhaltlich nicht tragbar, sondern reines Wunschdenken derer gewesen sei, die ihn verfasst haben. Denn, so ließ Voß sinngemäß wissen, es sei bei Weitem nicht Deutschland, also ganz Deutschland, auf die Straße gegangen. Womit er – allerdings – nicht den Protest der Hunderttausenden in diesem Land diskreditieren wolle.

Peter Voß zeichnet sich neuerdings dadurch aus, dass er immer häufiger aus unterschiedlichen Anlässen über die Öffentlich-Rechtlichen herzieht. Seine Kritik an der Kluft zwischen Worten und, hier, Zähl-Realitäten in Ehren, macht Voß vor allem seiner Ansicht Luft, wonach das Öffentlich-Rechtliche Programm, besonders die Nachrichten, nicht Haltung zu zeigen habe. Wofür die Mahnung des ehrwürdigen Tagesthemen-Anchors Hajo Friedrichs herhalten muss, dass man sich niemals mit einer Sache (der Berichterstattung) gemein machen sollte, nicht mal mit einer Guten. Ob er das auch für die Proteste gegen die AfD geltend gemacht hätte?

Wohl kaum! Wie man annehmen darf, ohne Hajo F. zu nahe zu treten. Denn wozu ist das ÖR da, in Zeiten, da die freiheitlich-demokratische Grundordnung durch AfD und andere rechtsextreme Kräfte bedroht wird? Wie ja nicht nur linke Polit-Sprenkel feststellen, sondern mittlerweile die ganze Republik abzüglich der AfD-Anhänger erkannt hat. Inklusive aller demokratischen Parteien. Und vieler zivilgesellschaftlicher Organisationen, auch jüdische, die ahnen, was auf Deutschland zukommt, wenn AfD&Co nicht gestoppt werden. Auch und gerade mit Hilfe der öffentlich-rechtlichen Medien. Die ein Pfeiler von Demokratie und Rechtsstaat sein sollten.

Peter Voß vertritt, was nicht ganz Deutschland, aber zumindest eine nicht mehr zu marginalisierende Menge seiner Bevölkerung für eher feige, als aus- und abgewogen hält. Dass man nämlich auch im Moment größter politischer Gefahren eher den Beobachter spielen soll. Spricht man vermeintlich kluge Menschen wie Voß darauf an, kommen sie einem, quasi als last exit, mit dem Hinweis auf das Bundesverfassungsgericht. Das als einzige Institution urteilen dürfe (und könne), wo die roten Linien eines Rechtsstaates überschritten werden. Fühlen sich Voß&Co tatsächlich so wenig selbstbewusst, dass sie nicht aus eigenem politischen Verstand urteilen können/wollen?

Ich hatte mal einen Kollegen, der doch wahrhaftig mit der Nummer kam, dass das ÖR nicht dazu da sei, Haltung zu zeigen. Ich sprach ihn darauf an, ob denn seine Überzeugung, sich einen eigene, offene Haltung mit Rücksicht auf eine Art Neutralitätsgebot zu verkneifen, keine Haltung sei. Ob es denn haltungsneutral sei, die Nutzer des ÖR im Unklaren darüber zu lassen, inwieweit man bereit ist, die Grundfesten des Landes, in dem man lebe, erschüttern zu lassen? Oder ob man nicht deutlich machen müsse, dass der Auftrag der ÖR genau darin liegt, diese Grundfesten notfalls zu verteidigen? Ob Neutralität denn politische Wurschtigkeit meine?

Wenn das ÖR inklusive seiner Protagonisten, wie ehedem Peter Voß, nicht ein Sammelbecken haltungsloser Angsthasen sein soll, sondern eine Ansammlung von Journalisten, die im Zweifel gewillt und in der Lage sind, Demokratie und Rechtsstaat zu schützen, dann sind diese Medien geradezu aufgefordert, Flagge zu zeigen. Gegen rechts, gegen Antisemitismus, gegen Demokratiefeindlichkeit und -feinde, gegen jene, die den Rechtsstaat aushebeln und alte unsägliche Zeiten wiederbeleben wollen. Wenn Neutralität meint, hier nicht intonieren zu dürfen, dann wird sie zur Parteinahme. Für die Gegner unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung.

In Zeiten wie diesen, die alles andere als harmlos sind, stinken Ansichten wie die von Peter Voß zum Himmel. Sie haben etwas Schreibtischtäterhaftes. Sie verstecken sich vor der Courage, die auch auf Seiten der ÖR nötig ist, um das, was man derzeit allen im Lande abverlangt, zu garantieren. Nämlich Haltung einzunehmen und zu bewahren, offen, öffentlich und unzweifelhaft: Dass bei uns Menschenfeinde keinen Platz haben (dürfen). Dass wir das Geschwätz von Ausgrenzung und Deportationen, verkleidet in das Unwort Remigration nicht dulden. Im Namen unseres Grundgsetzes und im Namen derer, die es bewahren helfen: also auch der ÖR!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Andreas Mijic

think-tank aus hamburg & bale (Istrien)

Andreas Mijic