Klassenkampf gegen die Kurven

Fußball Fans schmähen den milliardenschweren Mäzen Dietmar Hopp. Ein Fall von „Diskriminierung“?
Ausgabe 10/2020

Historisch war dieser Fußball-Spieltag allemal: Nicht nur in der 1. Bundesliga unterbrachen Schiedsrichter Partien, Funktionäre entrüsteten sich über den „Hass“ von Fans; der Ultra-Vereinigung „Schickeria“ – mehrfach geehrt für ihr antirassistisches Engagement wie die Erinnerung an von den Nazis verfolgte Vereinsmitglieder – droht der Ausschluss von Spielen ihres Klubs Bayern München. Bei dessen Partie im Kraichgau gegen Hoffenheim vergangenen Samstag verließen die Teams zeitweise den Platz – und kickten hernach den Ball mehr als zehn Minuten lang nur hin und her, um „ein Zeichen zu setzen“. Was war passiert?

Zum Einsatz gekommen war der Drei-Stufen-Plan des Weltfußballverbands FIFA, der bei „schwerwiegenden diskriminierenden Vorfällen“ im Stadion erst eine kurze, dann eine längere Unterbrechung vorsieht, schließlich den Abbruch einer Partie. Der schwerwiegende diskriminierende Vorfall in Hoffenheim? „Hurensohn“-Plakate und -Schmähgesänge gegen den milliardenschweren Mäzen der Hoffenheimer, Dietmar Hopp, Mitgründer des SAP-Konzerns und republikweit ein Feindbild vieler Fußballfans, die ihn häufig auf Bannern in einem Fadenkreuz zeigen. Weil sie Hopp wiederholt geschmäht hatten, waren gerade erst Dortmunder Fans kollektiv für zwei Jahre von Auswärtsspielen gegen Hoffenheim ausgeschlossen worden – obwohl der Deutsche Fußball-Bund (DFB) von solchen Kollektivstrafen Abstand zu nehmen versprochen hatte. Die Proteste in den Stadien am Wochenende sollten Solidarität mit den Dortmundern demonstrieren. Die Liga antwortete mit der großflächigen Premiere des „Anti-Diskriminierungs“-Plans.

„Diskriminierung“ kann es laut den FIFA-Regeln „aufgrund der ethnischen, nationalen oder sozialen Herkunft, des Geschlechts, einer Behinderung, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, des Reichtums, der Geburt oder eines anderen Status, der sexuellen Orientierung oder aus anderen Gründen“ geben. „Hurensohn“ ist in deutschen Stadien eine omnipräsente Beleidigung, oft eingesetzt gegen Dortmunder Fans oder den Leipziger Stürmer Timo Werner. Man mag dies moralisch verwerflich finden – nirgendwo aber war bisher deswegen ein Spiel der höheren Ligen unterbrochen worden. Die Abwertung qua Zugehörigkeit zu einer Gruppe, in diesem Fall also der gesellschaftlich marginalisierten Gruppe der Prostituierten, brachten die Funktionäre auch gar nicht erst in Stellung, um ihr Vorgehen zu rechtfertigen. Ihnen ging es um Hopp, der den Begriff „Diskriminierung“ einst selbst in den Diskurs um den Umgang mit ihm eingespeist hatte.

Es geht gegen den Kommerz

Doch nur ein Diskriminierungsbegriff, der gesellschaftliche Machtposition nicht reflektiert, kann auf die Idee kommen, dass auch ein extrem einflussreicher Milliardär ausgegrenzt sein könnte. Dafür fehlt jeglicher materielle Anhaltspunkt: Dietmar Hopp wird nicht diskriminiert, er wird – im Gegenteil – von Verbänden, Politik und Journalismus mehrheitlich hofiert.

Die Auseinandersetzung mit Hopp ist für die Kurven keine persönliche: Sie haben europaweit den „modernen Fußball“ als Feindbild ausgemacht, eine aus ihrer Sicht weichgespülte Kommerzveranstaltung der oberen Mittelschicht mit Klatschpappen und Stadien als Shopping-Center. Der Vorwurf der Ultras an die Fußball-Bosse ist der Ausverkauf des Sports zugunsten globaler Geldströme von Investoren und Mäzenen.

Klassenverhältnisse werden in Deutschland traditionell wenig diskutiert – häufig ist die ökonomische Position eines Sprechers im öffentlichen Diskurs kein Thema, oder sie wird als irrelevant abgetan. Der Fall Hopp widerlegt dies: Gerade mit den Wohltätigkeitsaktionen, die gern zu seiner Verteidigung aufgerufen werden, festigt Hopp eigene Machtpositionen durch die Schaffung von Abhängigkeiten. Faktisch gehören ihm 96 Prozent der Betreibergesellschaft der TSG Hoffenheim; zudem ist SAP „Premiumpartner“ des DFB und Bayern Münchens. Eine große Nähe illustrierte auch die Behandlung der Vorfälle durch Sportschau (ARD), aktuelles sportstudio (ZDF) und den Sender Sky – für viel Geld haben sie sich TV-Rechte gesichert; nun hofierten sie Verbands- und Liga-Funktionäre; Kritik an deren Umgang mit den Fans gab es nicht.

Auch Polizei und Justiz legen sich für Hopp ins Zeug: Die Mannheimer Polizei gab die Gründung einer „Ermittlungsgruppe“ zur Überführung der Verantwortlichen für die Beleidigungen bekannt. Beleidigungen aber stellen hierzulande ein „absolutes Antragsdelikt“ dar – strafrechtlich werden sie nur verfolgt, wenn der Geschädigte selbst Strafantrag stellt. Eine Ermittlung von Amts wegen gibt es ausdrücklich nicht. Laut der Strafverteidigerin Gloria Holborn, die auch Fußballfans vor Gericht vertritt, existiert auch hier eine Lex Hopp: Die zuständige Dienststelle fragte ihr zufolge bei Hopps Anwälten nach, ob Interesse an einer Strafanzeige bestehe: „Eine Serviceleistung“, so Holborn auf Twitter, „die sonst keinem Geschädigten zugutekommt und darüber hinaus auch den Sinn des Antragsdeliktes aushebelt.“ Schon in einem früheren Verfahren war laut t-online.de aufgefallen, dass Hopp nie den nötigen Strafantrag gestellt hatte. Nach einer „Krisensitzung“ hätten Staatsanwaltschaft und Polizei dann „festgehalten, was zu tun sei, um die Prozesse zu retten“. Es kam zu Verurteilungen zu Geldstrafen, Berufungsverfahren laufen. Hopps Anwalt Christoph Schickhardt fordert „die harte Hand“ des Staates, der zeigen müsse, „wer Herr im Hause ist“. „Es muss zu Hausdurchsuchungen kommen. Da muss man auch mal ein paar abgreifen und auch mal einen Tag in der Zelle lassen. Das hat sich immer bewährt.“

Ultras als Sündenböcke

Dass man in einem Rechtsstaat Hausdurchsuchungen nicht als Strafe einsetzen kann und Menschen nicht grundlos mal in der Zelle behalten kann, dürfte Schickhardt bewusst sein. Wie sich seine Forderungen damit in Einklang bringen lassen, bleibt offen.

Investoren wie Hopp, seinen Unterstützern wie Bayern-Vorstandschef Karl-Heinz Rummenigge und ihren medialen Helfern geht es um Abstrafung der unbequemen, vorlauten, teils gewalttätigen Kurven, die das Hochglanzprodukt Fußball stören, indem sie Pyrotechnik zünden, sich prügeln oder politische Forderungen erheben; sie sollen aus den Stadien verschwinden. Die „Diskriminierung“ soll der Hebel sein, um die Ultras zu den Sündenböcken aller Missstände im „modernen Fußball“ zu machen.

Tatsächlich sehen sich Verbände wie FIFA und DFB seit Jahren mit massiven Korruptionsvorwürfen konfrontiert. Sie sind es, die Weltmeisterschaften nach Katar und Russland vergeben, ohne sich um Klimapolitik oder Menschenrechte zu scheren. Bayerns Ex-Präsident Ulrich Hoeneß und Rummenigge sind wegen Steuerhinterziehung vorbestraft; Franz Beckenbauer spielt im dieser Tage beginnenden Prozess wegen der Zahlungen für die Vergabe der WM 2006 nach Deutschland eine zentrale Rolle.

Derweil tun die Ligen seit Jahrzehnten zu wenig gegen Rassismus, Antisemitismus, Sexismus und Homophobie, drängen auf die lukrative Austragung von Spielen in Asien oder auf der Arabischen Halbinsel. Organisierte Fans, die dies über ihre Mitbestimmungsrechte in den Vereinen teils verhindern, sollen nun den Preis bezahlen. Wer über diese Art des Klassenkampfs von oben nicht reden will, sollte über die „Diskriminierung“ schwerreicher Fußball-Bosse schweigen.

Andrej Reisin arbeitet als freier Journalist, u. a. für das Politik-Magazin Panorama. Er war einer der ersten, der mit einem Twitter-Thread versuchte, die Hintergründe der „Causa Hopp“ zu beleuchten

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