Kunst-Leder

Sportplatz Kolumne

Fußball ist mehr als ein Spiel mit Ball. Fußball ist alles mögliche, unter anderem eine Leidenschaft, eine Heldenproduktionsmaschine, ein Millionengeschäft. Da die WM ins deutsche Haus steht, soll es bei alledem auch noch kultiviert zugehen. Die Ausstellung Rundlederwelten, die am 8. Januar im Berliner Martin-Gropius-Bau zu Ende geht, trat daher an, um dem Sport die höheren Weihen zu verleihen. Im Katalog fachsimpeln Durs Grünbein und Markus Lüpertz im Doppelinterview über die Kunst am Ball. Grünbein bekennt sein gebrochenes Verhältnis zum Fußball und sagt sonst nicht viel. Der Fan und Spieler Lüpertz, der die Mannschaft Lok Lüpertz finanziert und viele (gute) Ratschläge für das Nationalteam in petto hat, erklärt rund heraus: "Ich finde den Versuch, Sport und Kunst miteinander in Verbindung zu bringen, fast immer falsch." Sein 1966 gemalter Ball - damals tatsächlich noch ledern -, sei eher eine Reminiszenz an seine Jugend als ein Stück zum Sport. Die Furcht vor der Blamage scheint den Machern der Ausstellung in den Gliedern gesteckt zu haben. Fand sich doch neben jedem Exponat ein Schildchen, das dem Besucher nicht nur Titel und Künstler nannte, sondern gleich noch das Kunstwerk erklärte. Jörg Boströms Schwarz-Weiß-Foto eines erbärmlichen Bolzplatzes, aufgenommen in einer von Sinti bewohnten Obdachlosen-Siedlung bei Gelsenkirchen, heißt Fußball-Halde. Der nebenstehende Kommentar lehrt: "Eine solche Fotografie ist neben allen Bildern, die den Fußball der Weltbühne zeigen und zelebrieren, ein Beleg dafür, dass auf unebener Wiese, hartem Asphalt und im Hinterhof genauso wie in den überdimensionierten Stadien der Großstädte Fußball gelebt wird." Ach. Als wäre solch einfühlsame Text-Didaktik noch nicht genug, waren etliche der Schildchen in unsäglich verquastem Postmodernsch gehalten. Hart traf es in dieser Hinsicht den Tischkicker aus Uruguay, dessen Figuren über einem himmlischen schäfchenbewölkten Feld schweben, Jesus im Tor, Maria, Heilige und einige Engel im Feld. Der Kommentar ließ wissen: "Die aus Enttäuschung verheerten Altäre, aus denen viele Werke Federico Arnauds bestehen, haben den Zustand des intimen Meditationsraums verlassen und das Drama gesellschaftlicher Netzwerke in ihrer gesamten Einflusskraft zum Thema. Arnaud spricht vom Häuslichen, von der Haut der Tage, um seine zwiespältigen Gewissheiten zu vermitteln. Dem ›Futbolito‹ ... eignet genau diese Charakteristik. Etwa die Möglichkeiten der Vermischung formaler Texturen. Nichts schmückt ohne Sinn, alles hat Gültigkeit und narrative Dichte."

Die Ausstellung machte dennoch Spaß, dank der vielen guten Ideen zum Thema Fußball, die über 70 Künstler aus 20 Ländern zeigten. Da wurden typische Elemente gefeiert, Randaspekte betont und schräge Perspektiven eingenommen, der Rundgang bot dem Fan oder Interessierten jede Menge Anstöße zum Gucken und Gedankenspielen. Ingeborg Lüschers Video Fusion zeigt ein spezielles Spiel: die Künstlerin ließ die Mannschaften Grasshoppers Zürich und FC St. Gallen in Maßanzügen gegeneinander antreten. Anstelle eines Balles fliegt schon mal ein Laptop oder Aktenkoffer durch die Luft. Stephen Deans Video Volta, das sehr eindrucksvoll im Treppenhaus des Gropius-Baus zu sehen war, zeigt gar kein Spiel. Stattdessen sind nur die Fanränge brasilianischer Stadien im Bild, der Betrachter sieht die Farb- und Bewegungskompositionen der Zuschauer, den Rhythmus des Stadions, der einfängt und dem sich zu entziehen schwer fällt. Oliver Siebers 11 Freundinnen porträtiert Mädchen, die Fußball spielen. Es handelt sich um elf großformatige Aufnahmen, deren seltsame Wirkung vielleicht mit dem Geschlecht der Dargestellten zu tun. Nicht selbstverständlich und deshalb erfreulich fiel die Präsenz des Weiblichen in den Hallen auf, denn sowohl Künstlerinnen als auch Fußballerinnen waren in eindrucksvoller Zahl vertreten.

Die Rundlederwelten waren schließlich eine ganz normale Ausstellung zeitgenössischer Kunst, die sich einem für sie eher ungewöhnlichen Gegenstand widmete. Die Verbindung von Sport und Kunst gelang hier zwangloser als jene von Ball und Buch, die auf der Frankfurter Buchmesse wenig überzeugte. Wenn die WM schon von einem Kunst- und Kulturprogramm begleitet werden soll - woran allerdings Events wie die peinliche Show um die Gruppenauslosung zweifeln lassen - dann befand sich die Ausstellung Rundlederwelten trotz aller Unsicherheiten auf dem richtigen Weg.


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