Ausgerechnet am 26. April, dem 32. Jahrestag von Tschernobyl, hält der Energiekonzern RWE in der Essener Grugahalle seine Jahreshauptversammlung ab. Allein das empfinden viele Umweltaktivist_innen als Provokation. „Zeig RWE die rote Karte“, heißt das Motto unter dem der Protest gegen den Stromriesen und dessen Vorstand in Essen laufen wird. In vielen Bereichen, so sehen es die Atomkraft- und Braunkohlegegner_innen, begeht der Konzern bewusste Fouls: Die umstrittenen und zunehmend störanfälligen Atommeiler Gundremmingen C und Lingen 2 will er trotz des Stromüberangebots bis zum bitteren Ende betreiben, als Miteigentümer des Global Players und Uranverarbeiters Urenco ist er mitverantwortlich für die Belieferung besonders gefährlicher Reaktoren in Reichweite zu Deutschland. Das Rheinische Braunkohlerevier, in Besitz von RWE, stößt so viel CO2 und Schadstoffe aus wie kaum eine andere Region in Europa. Im Zuge der rücksichtslosen Ausweitung seines Tagebaus ließ der Konzern den schützenswerten Hambacher Wald fast vollständig roden und zahlreiche Ortschaften umsiedeln, wodurch Menschen ihre Heimat verloren.
Man nennt es Greenwashing
Von all dem will RWE nichts wissen, schon gar nicht zu einer Zeit, in der der Konzern versucht, sich der Öffentlichkeit als zukunftsträchtiges, innovatives und den Erneuerbaren Energien zugewandtes Unternehmen zu präsentieren. Sofern die Kartellbehörde in Brüssel dem geplante Deal mit dem Erzkonkurrenten E.ON zustimmt, verhilft dies beiden Konzernen zu einer größeren Marktmacht – so viel ist unstrittig. Den einen bereitet das Sorgen, die anderen, auch Gewerkschaften, bejubeln es – trotz der 5.000 Arbeitsplätze, die dadurch gefährdet sind. Wieder andere glauben, es werde RWE nur mittelfristig stabilisieren. Ob der Energieriese mit der Konzentration auf die Stromerzeugung seine rückwärtsgewandte Firmenpolitik aufgibt, muss allerdings bezweifelt werden. Allzu gerne lässt er sich als künftig größter Ökostromanbieter in Deutschland feiern. Tatsächlich wird mit der Transaktion sein Anteil an Ökostrom-Anlagen auf eine Kapazität von 8,3 Gigawatt anwachsen. Doch das allein rechtfertigt noch kein grünes Image. Auf Investitionen in die Energiewende wird es ankommen. Dass solche in großem Umfang getätigt werden, ist nicht zu erwarten. Sogar die allseits gerühmte Firmentochter Innogy, die nun zerschlagen werden soll, hielt lediglich ein Fünftel ihrer jährlichen Gesamtinvestitionen für Erneuerbare Energien bereit. Die Endkunden werden nur zu einem Bruchteil mit hauseigenem grünen Strom versorgt. Wirklich innovativ waren Pläne, das Verteilnetz durch Digitalisierung für die dezentrale Energiewende aufzubereiten. Den Netzbereich jedoch hat sich nun jedoch E.ON gesichert.
Erst recht nicht ins Bild passen die Neubaupläne von RWE für den Braunkohleblock „BoAplus“. Überfällige Maßnahmen wie die Schließung des dann ausgekohlten Tagebaus „Inden“ stellt der Vorstandsvorsitzende Rolf Martin Schmitz im Geschäftsbericht 2017 als großen Beitrag zum Klimaschutz dar. Ein angemessener Beitrag wäre, den Bestand an Braunkohlekraftwerken zügig abzuschmelzen. Doch das ist etwas, dem sich die Führungsriege des Konzerns vehement verweigert. Für die Versorgungssicherheit werde die Braunkohle noch lange gebraucht, behauptet Schmitz. Dass dies nicht der Realität entspricht, müsste er wissen. Auch ohne die Atom- und Braunkohlemeiler der RWE gibt es genügend stromerzeugende Anlagen, die 'grundlastfähig' sind. Laut einem Papier aus dem Wirtschaftsministerium, das während der Jamaika-Sondierungen kursierte, sind alte, unflexible Kohlemeiler eine Belastung für die Netze. Ihre Stilllegung würde die Versorgungssicherheit erhöhen statt sie zu gefährden.
Klimaschutz geht anders
Was eigentlich auf dem Spiel steht, zeigt eine Studie des Ökoinstituts, die vier Szenarien eines machbaren, mehr oder weniger schnellen Kohleausstiegs vorstellt: Nur wenn mindestens die Hälfte alle Braunkohlemeiler bis 2020 vom Netz genommen wird (bei gleichzeitiger Stilllegung der meisten Steinkohleblöcke), lässt sich irgendeines der Klimaziele erreichen. Zu behaupten, das Klimaziel 2030 einhalten zu wollen, während man das von 2020 aufgibt, ist deshalb eine Farce. Im Grunde verletzt Deutschland den Pariser Klimavertrag schon jetzt, denn der Kohleausstieg hätte längst eingeleitet werden müssen. Mehr noch: In Paris wurde nicht nur vereinbart, global unter der Marke von zwei Grad Erwärmung zu bleiben, sondern deutlich darunter. Überträgt man das Ziel von 1,8 Grad auf den deutschen Stromsektor, ergibt sich ein CO2-Budget von 3000 Millionen Tonnen. Dieses würde selbst mit einem Kohleausstieg bis 2025 überschritten werden.
Bei aller Kritik an RWE darf nicht vergessen werden, dass in letzter Konsequenz die Politik für das Desaster verantwortlich ist. Sie kapitulierte immer wieder vor der Energie-Lobby. Eine rühmliche Ausnahme war die Einführung des Gesetzes für den Ausbau Erneuerbarer Energien (EEG) im Jahr 2000. Mit dem unerwartet schnellen Beginn einer bürgernahen Energiewende wurde deutlich, dass im Gesetz der Gegenpart fehlt, nämlich der Anreiz, unflexible Kraftwerke in dem Maße herunterzufahren, in dem sie nicht mehr gebraucht werden. Doch die schwarz-rote Regierung förderte 2009 den gegenteiligen Trend: Mit einer Verordnung wurde der Vorrang der Erneuerbaren unterhöhlt. Trotz steigendem Anteil grünen Stroms werden konventionelle Kraftwerke seitdem kaum noch gedrosselt, es sei denn, sie überfordern die Stromnetze. Immerhin: Acht Atommeiler gingen mit dem sogenannten Atomausstieg 2011 gleichzeitig vom Netz, den restlichen Reaktoren wurde aber eine längere Betriebszeit zugestanden als im rot-grünen Atomkonsens vorgesehen war. Beim AKW Gundremmingen, dem gefährlichsten in Deutschland, schlägt das besonders zu Buche: Während Block B – 33-jährig – Ende 2017 per Gesetz abgeschaltet werden musste, darf der gleichaltrige Zwillingsblock C noch bis Ende 2021 und damit fünf Jahre länger laufen.
Subventionen und Steuervergünstigungen
Ohne Frage, es gab gute Ansätze – immer wieder. Im Hinblick auf das Klimaziel 2020 erarbeitete Rainer Baake (Grüne), damals Staatssekretär im Wirtschaftsministerium, ein kluges Konzept zur Drosselung von Braunkohlestrom. Es enthielt eine Strafabgabe, die besonders ineffiziente Meiler unrentabel gemacht hätte. Die IG Bergbau, Chemie und Energie lief dagegen Sturm, doch nicht nur sie: Auch Verdi-Chef Frank Bsirske, der im Aufsichtsrat von RWE sitzt, beschwor das Gespenst einer massiven Entlassungswelle herauf. Das Ende vom Lied war, dass SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel 2015 vor RWE einknickte. Gegen eine üppige Vergütung werden bis 2019 wenige Meiler, deren Abschaltung ohnehin bevorstand, in die „Sicherheitsbereitschaft" überführt.
Auch beim sogenannten Atomdeal von 2017 wurden sämtliche Chancen verpasst. Dass sich die Stromkonzerne einmalig und viel zu günstig von der Verantwortung der Atommüllentsorgung freikaufen konnten, ist fatal. Die Regierung hätte auf einer Zuschusspflicht bestehen müssen. Atommüll zu produzieren hätte für die Verursacher nicht folgenlos werden dürfen. Mit dem Deal verpflichteten sich die Konzerne immerhin, alle Klagen gegen den Staat fallen zu lassen. Sie hielten sich nur nicht daran. Die entscheidende Klage zur Brennelementesteuer zogen sie bis zum Ende durch, was im Ergebnis bedeutete, dass der Staat die Steuer zurückerstatten musste. Es wäre nur konsequent, den Wortbruch von RWE und Co. damit zu beantworten, die Brennelementesteuer – dieses Mal rechtssicher – wieder einzuführen. Davon jedoch ist die Bundesregierung weit entfernt.
Dabei hat sie es – wie kaum eine Vorgängerregierung – in der Hand, den Energiemarkt ohne viel Aufwand zu bereinigen. Inzwischen sind alte Braunkohlekraftwerke kaum noch rentabel. Sie bleiben oft nur am Netz, weil man auf einen höheren Strompreis in der Zukunft spekuliert. Die Brennelementesteuer hatte vor zwei Jahren einen ähnlichen Effekt auf einige Atomkraftwerke. Ihr Weiterbetrieb hätte sich kaum noch gelohnt, wäre die Steuer verlängert oder erhöht worden. Seit jeher gewährt der Staat den Energiekonzerne besondere Vorteile, nicht nur durch Subventionen, auch durch Abgaben und Steuern, die sie nicht zahlen müssen oder Haftpflichten, von denen sie entbunden sind. Von derartigen Verstrickungen muss sich die Politik endlich lösen.
Dier Artikel erschien in gekürzter Form in der Printausgabe 17/2018
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