Moralphobie? Ist das wirklich das das Problem?

Gutmenschen, Moral, Ethik Ich lese öfter die Formulierung "Gutmenschen-Bashing". Geht es dabei wirklich um so etwas wie ein problematisches "Bashing" liebevoller, warmherziger Menschen?Ist ein Gutmensch denn überhaupt das selbe wie ein "guter Mensch"? Nein.

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Moralphobie? Ist das wirklich das Problem?

Gutmenschen, Moral, Ethik. Ich lese öfter die Formulierung "Gutmenschen-Bashing". Geht es dabei wirklich um so etwas wie ein problematisches "Bashing" liebevoller, warmherziger Menschen? Ist ein Gutmensch denn überhaupt das selbe wie ein "guter Mensch"? Nein.

Ich erkläre es mal so:

Ein guter Mensch ist jemand mit Tiefgang, der liebevoll, achtsam, freundlich, besonnen, interessiert und empathisch ist, auch wenn niemand ihm/ihr dabei gerade zuguckt. Andersdenkende erklärt er nicht sofort für böse, sondern versucht ihnen ruhig zu erklären, warum er/sie so denkt wie er/sie denkt.

Er kann auch eigene Fehler erkennen und einräumen und Vorzüge bei jenen anerkennen, die in Teilaspekten nicht immer exakt seiner Meinung sind. Ein guter Mensch ist nicht zwangsläufig Altruist und muss auch kein Helfersyndrom haben. Er greift beherzt dort ein, wo es in seiner Macht steht und hilft, wo es ihm möglich ist, darf aber auch in einem gesunden Maße Selbstfürsorge betreiben.

Ein Gutmensch hingegen ist jemand, der überall dort Betroffenheit vorturnt, wo eine Kamera, ein Publikum oder ein Journalist Zeuge seiner - in Wahrheit nur oberflächlichen - Anteilnahme sind, wobei er/sie nur daran interessiert ist, Applaus für inszenierte Emotionalität zu bekommen, oft auch in der Intention von eigenen charakterlichen Abgründen abzulenken...

Dabei nimmt er sich zusätzlich heraus, Andersdenkende moralisierend zu maßregeln, für grundsätzlich böse zu erklären und manchmal sogar deren Meinungsfreiheit einzuschränken, nur weil eine andere Sicht der Dinge kognitive Dissonanz bei ihm auslöst.

Er verwechselt in seinem neurotischen Übereifer seinen oft dramatisch inszenierten Pseudo-Altruismus mit allen Formen echter Hilfsbereitschaft und verkennt die gesunde Selbstfürsorge als Egoismus.

Für ihn/sie gibt es nur noch Schwarz und Weiß und nichts dazwischen. Wer zum einen Lager gehört, ist für ihn böse und verdient kein Erbarmen mehr, wer zum anderen (seinem/guten) Lager gehört, dem räumt er oft on top auch noch einen erschreckenden Freibrief für Gewalt, Lügen, ethisch fragwürdige Maßnahmen beim "Kampf für das Gute" ein.

Solchen Menschen möchte ich nicht die Entscheidung darüber überlassen, was ethisch/moralisch vertretbar ist und was nicht.

Auch versteht der Gutmensch weder die langfristigen Folgen und Dynamiken gesellschaftlicher Vorgänge, noch die entsprechenden Eskalationsspiralen.

Er/sie ist unfähig zur Selbstkritik und ist von einem religiös anmutendem Eifer besessen, anderen zu beweisen, dass nur Seinesgleichen zu den "Guten" gehört.

Ein guter Mensch ist daher kein Gutmensch.

Den Ausdruck "Gutmensch" gibt es speziell für diese Art der oben beschriebenen Heuchelei und darüber darf man sich gerne mokieren, während es tatsächlich keinen einzigen guten Grund gibt, sich über Menschen mit einem Herz aus Gold lustig zu machen.

(P.S. Selbstverständlich wird der Ausdruck "Gutmensch" je nach Kontext häufig völlig falsch verwendet. Mal als eine Art "Auszeichnung", mal als Ressentiment. Wer es also verwendet, sollte es doch bitte präzise dann zum Einsatz bringen, wenn es auch wirklich angemessen ist!)

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Geschrieben von

Anja Gsottschneider

Ich male, schreibe, fotografiere und koche auch mal was.

Anja Gsottschneider

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