Geflochtene Freiheit

Kolumbien Mit Graffitis arbeitet die Künstlerin Teca an schwarzer Identität. Die Zöpfe in ihren Bildern erzählen auch die Geschichte der Sklaverei
Ausgabe 42/2019
Einst dienten Zöpfe als Landkarte oder Versteck. Heute sind sie ein Symbol für Gemeinschaft
Einst dienten Zöpfe als Landkarte oder Versteck. Heute sind sie ein Symbol für Gemeinschaft

Foto: Luis Robayo/AFP/Getty Images

Auf das Pflaster knallt die Sonne, der Schweiß läuft über die Stirn, Lärm von vorbeifahrenden Lastern und Bussen erstickt jedes Gespräch, eine ganze Gruppe Frauen bemalt mit Sprühdosen und Pinseln eine Lärmschutzwand inmitten der südkolumbianischen Millionenstadt Santiago de Cali. Unter ihnen eine zierliche Frau mit einem großen Afro. Sie malt geschwungene Linien, verflicht diese zu bunten Mustern, schließlich lässt sich erkennen, dass sie Zöpfe malt. Diana Tenorio Caicedo unterzeichnet das riesige Wandbild mit Teca, ihrem Künstlernamen in der Szene. Für Teca, die 28-jährige Frau aus Cali, sind Zöpfe ein mystisches Symbol, eine perfekte Verbindung von zwei Themen, die ihr Leben prägen: Frausein und Schwarzsein. Beides hat eine lange Geschichte in Kolumbien. Eine Geschichte des Widerstands, wie Teca meint: „Frau- und Schwarzsein hat immer bedeutet, sich verteidigen zu müssen. Der Zopf ist eine Metapher für beides.“

Das gilt nicht nur für sie, sondern für die Geschichte der Schwarzen in Kolumbien. Erst jetzt finden viele Nachforschungen zur Herkunft der afrokolumbianischen Bevölkerung statt. Der größte Verband der schwarzen Gemeinschaften PCN („Proceso de Comunidades Negras en Colombia“) gräbt in Archiven der Städte Dokumente über den Verkauf ihrer Vorfahren aus, über den Erhalt der Freiheit in wenigen Fällen. So konnte die PCN belegen, dass von den 1,5 Millionen Sklaven, die von den Kolonialmächten nach Lateinamerika importiert wurden, in Kolumbien etwa 800.000 landeten. In der Karibikstadt Cartagena machten Sklaven um 1600 bis zu 15 Prozent der Bevölkerung aus. Sie wurden nicht nur zur harten Arbeit im Bergbau und der Landwirtschaft genötigt. In den reichen spanischen und portugiesischen Familien wurden schwarze Frauen als Sklavinnen im Haushalt und als Köchinnen eingesetzt – sie galten sogar als Statussymbol.

Flucht und Widerstand

Seit dem 16. Jahrhundert verzeichnet der PCN starken Widerstand, als die Schwarzen begannen zu fliehen und eigene Dörfer gründeten, hauptsächlich an der Pazifikküste, wo sie sich dem Bergbau, der Landwirtschaft und der Fischerei widmeten. Aber nicht nur die Flucht war eine Form des Widerstands. Die Stadt Santa Marta wurde mehrfach von protestierenden Sklaven zerstört, viele dieser Aufstände endeten in Verhandlungen und zumindest kleinen Verbesserungen der Lebensbedingungen. Der erfolgreichste Aufstand Südamerikas, angeführt von Benkos Biohó, endete in der ersten freien schwarzen Siedlung San Basilio de Palenque. Erst 1851 wurde die Sklaverei in Kolumbien offiziell abgeschafft – 41 Jahre nach der Unabhängigkeit Kolumbiens und der Gründung der Republik. Jedoch ging der Abschaffung der Sklaverei ein langer Prozess voraus, der nicht zuletzt einen Bürgerkrieg zwischen Sklavenhaltern und Liberalen auslöste. Letztendlich wurden die versklavten Männer und Frauen nicht aus humanistischen Motiven, sondern aus Angst vor weiteren Gewaltausbrüchen freigelassen.

Bis heute leben die meisten Schwarzen Kolumbiens in der Pazifikregion. Und bis heute existieren unterschiedliche Bewegungen innerhalb der afrokolumbianischen Bevölkerung. Es gibt schwarze Gemeinschaften, „comunidades negras“, mit eigenen Regierungsstrukturen. Die „Raizales“, eine schwarze ethnische Gemeinschaft in der Karibik, erhalten bis heute das Kreol als eigene Sprache. „Palenques“ oder „quilombos“ sind aus der Kolonialzeit stammende freie schwarze Dorfgemeinschaften. Die BewohnerInnen beziehen sich noch immer auf ihre rebellischen Vorfahren, „negros cimarrones“, die vor den Sklavenhaltern geflohen waren oder Aufstände gegen sie angezettelt hatten.

Bis heute gelten in diesen Autonomieregionen andere Gesetze als im Rest des Landes, zum Beispiel gibt es Gemeinschaftsbesitz und der Rat ist die höchste Autorität. Auch in den Städten spielt die Afrokultur eine wichtige Rolle – durch Personen wie Teca, die sich über die Kunst Aufmerksamkeit verschafft.

Diana Tenorio Caicedo alias Teca

Foto: Anna-Lena Dießelmann

Cali ist eine der am stärksten von der Afrokultur geprägten Städte Lateinamerikas, über die Hälfte der EinwohnerInnen sind schwarz. Mehr Schwarze leben in Lateinamerika nur in der brasilianischen Stadt Salvador de Bahia. Trotzdem sind sie in den wichtigen Positionen der Gesellschaft unterrepräsentiert, rund 40 Prozent der Schwarzen in Cali sind arbeitslos. Rassismus, postkoloniale Strukturen und soziale Segregation haben in den vergangenen Jahrzehnten dazu beigetragen, dass viele schwarze Menschen sich selbst nicht als AfrokolumbianierIn, sondern lieber als „mestizo“ beschreiben – als Mischling. Die PCN will gegensteuern und schwarzes Selbstbewusstsein schaffen.

Die Kunst ist vielleicht einen Schritt voraus, denn in der Afrokultur erkennen sich viele wieder. In der Musik, im Tanz, in der Sprache. Dabei gibt es nicht nur eine schwarze Identität, sondern eine große Diversität. So vielfältig wie die verschiedenen Regionen Afrikas, aus denen Menschen verschleppt wurden, so vielfältig wie die unterschiedlichsten Bedingungen in Kolumbien. Daraus hat sich etwas Neues entwickelt, eine neue Kultur. In dieser Kultur spielen Zöpfe eine wichtige Rolle. Sie sind ein Element der Identität. „Während der Sklavenzeit wurden Zöpfe als Landkarten auf die Köpfe geflochten. Darin konnten Schwarze, die ihren Herren entflohen waren, Berge, Flüsse und Küsten identifizieren und so in den „palenques“ zusammenfinden“, erzählt Teca.

Straßenkunst ist politisch

Zöpfe verbinden nicht nur Haare, sondern stehen symbolisch für Gemeinschaft, für den kollektiven Widerstand der Schwarzen. „Außerdem wurden darin Samen oder sogar kleine Goldklumpen versteckt und so von den weißen Kolonialherren geklaut“, beschreibt Teca und deutet sie daher als Symbol für Freiheit. Auch sie trägt die Haare oft geflochten – wenn sie ihre schwarzen Locken nicht gerade als offenen Afro trägt.

Teca ist Teil des Künstlerinnenkollektivs MalaJuntaKlan, einer Gruppe von Mädchen und Frauen aus der Graffiti-Szene. Vor drei Jahren hat eine Freundin Teca das erste Mal eingeladen, draußen auf der Straße zu malen. Sie hat sich nicht getraut. Nachdem sie von Freunden motiviert und überzeugt wurde ist, hat sie schließlich ihre Angst überwunden. „Ich kannte keine Frauen, die das machen“, erklärt sie im Rückblick: „Dann war ich total begeistert und konnte nicht mehr aufhören.“ Straßenkunst ist an sich schon politisch, finden die Frauen vom MalaJuntaKlan: „Wir hinterlassen Botschaften in der Stadt.“ Dabei muss diese Botschaft aber nicht unbedingt eindeutig und „mit dem Holzhammer“ sein. Sie haben sich zusammengetan und ein Kollektiv gegründet. Die Materialien für ihre Kunst finanzieren sie privat, etwa durch Sachspenden. Murals haben in Kolumbien Tradition und werden nicht verfolgt. „Wir sind nur Frauen. Aber das bedeutet nicht, dass wir nur Frauenthemen malen.“ Sie wollen als Künstlerinnen anerkannt werden – gleichberechtigt mit ihren männlichen Freunden. Als würde es sie immer noch ein bisschen selbst überraschen, sagt Teca heute: „Wir Frauen können das auch.“

„Feminismus hatte für mich immer den Beigeschmack von weißen Frauen aus Europa,“ erzählt sie über ihre politische Auseinandersetzung mit der Kunst. Deswegen konnte sie sich mit dem Begriff nicht identifizieren. Wenn sie die politische Botschaft ihrer Bilder zusammenfasst, klingt das allerdings ein wenig feministisch: „Es geht mir darum, als Frau zu kämpfen, aber dabei die Unterschiedlichkeiten aller Frauen einzuschließen. Damit das kleine Mädchen und die alte Greisin friedlich leben können. Egal, ob du dich schminkst oder nicht, ob du dich rausputzt oder nicht, das bedeutet nicht, dass wir nicht alle dieselben Unsicherheiten haben.“ Den Namen – MalaJuntaKlan (spanisch: „mala“ = schlecht, „junta“ = Versammlung) – versteht das Kollektiv in Anlehnung an die typischen Namen in der Graffiti- und Streetart-Szene. „Nur weil wir Mädchen und Frauen sind, ist nicht alles hübsch, was wir machen“, sind sich die heute 15 Mitglieder der Gruppe einig.

Ihre Graffitis sind zwar individuell oder in der Gruppe gemalte Bilder, erzählen aber auch die Geschichte jeweils eines ganz konkreten Ortes, einer tropischen Stadt und nicht zuletzt die Geschichte eines Landes, das seit mehreren Generationen einen dramatischen Bürgerkrieg erlebt. „Graffiti gibt Auskunft über den Zustand einer Gesellschaft“, erklärt Teca. Ihren Beitrag für diese Gesellschaft leistet sie auf sehr anregende Art: „Ich beobachte, höre, rieche was in der Stadt passiert und lasse mich davon inspirieren.“ Ihre bunten Bilder in der Stadt sind wie kleine Oasen. Sie malt Zöpfe, lässt daraus Figuren wie Tiere und Menschen entstehen, aber auch abstrakte Muster. Die Bilder wirken mysteriös, viele zeigen Frauen, schwarze Frauen und oft nackte Frauen. „Das allein ist schon eine politische Botschaft, gegen den Konflikt, für eine freie Art zu leben“, lacht sie.

Anna-Lena Dießelmann ist assoziiertes Mitglied im bilateralen Forschungsprojekt der Universidad del Valle und der Universität Bayreuth. Sie lebt und forscht in Kolumbien zur Konfliktsoziologie

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