Kunst als Kondom

Freitag-Salon Ist ein Grundeinkommen für Künstler ein Ausweg? Der Freitag-Salon im Berliner Ballhaus Ost hatte das Motto „Geld oder Leben: Wer zahlt für die Kulturarbeit von morgen?“

"Ich muss auch gleich wieder los, richtiges Geld verdienen. Hier kann ich gar nicht lange bleiben." Hektisches Sortieren einiger Zettel, nervöses Rutschen auf dem roten Ledersessel. "Vorher brauche ich noch ein Lifting und eine Hochsteckfrisur, ich seh grad nämlich echt scheiße aus, das geht so nicht, wenn man Geld verdienen will. Helft mir doch mal!"

Als Rahel Savoldelli die Diskussionsrunde des 6. Freitag-Salon im Ballhaus Ost in Berlin betritt, ist sie auch schon fast wieder weg. Schnelle Zeilen an das Publikum, während sie sich schminken lässt, jemand zupft an ihren Haaren, taucht sie in eine Wolke von Parfum, ein Helfer hält ihr das Konzept ihres Vortrags vor die Nase, Savoldelli muss nur noch ablesen. Eilig beschreibt sie die Kulturszene in Deutschland aus Sicht einer Künstlerin und kommt zur immer wieder auftauchenden Frage: Wer bezahlt eigentlich für die Kunst, wenn das Geld fehlt?

Im Moment unterstützt der Bund durch den Hauptstadtkulturfond ausgewählte Künstler bei ihren Projekten. Dafür ist ein Antrag erforderlich, viele davon werden jährlich abgelehnt, die Projekte müssen sich selbst finanzieren oder verlaufen im Sande. Und schon prasseln weitere Fragen auf das Publikum ein: "Was sind die Auswahlkriterien für eine Förderung, wer bestimmt, was Kunst ist und kann der Wert eines kulturellen Ereignisses überhaupt bestimmt werden?"

Die Wurzeln des Finanzierungsproblems

Diesen Fragen widmeten sich am Samstagabend neben der Künstlerin, die dann nach ihrer Performance doch noch ein bisschen Zeit hatte und blieb, auch Adrienne Goehler, ehemalige Senatorin für Wissenschaft, Forschung und Kultur des Landes Berlin und Philip Grassmann, Chefredakteur des Freitag.

Auch Goehler kritisierte die von Savoldelli beschriebene Situation der Berliner Kunstförderung: "Wir produzieren eigentlich Auftragskünstler und fördern nicht wirklich Kunst". Die Geförderten treten in ein Abhängigkeitsverhältnis zum Geld und der staatlichen Förderung und verlieren ihre Freiheit für die Kunst. "Leistungsdruck und Individualität können nicht miteinander harmonieren", fasste Grassmann zusammen. Savoldelli formuliere das Problem da schon ein wenig alltagsnäher: "Kunst muss sein wie Voltaren bei Zerrungen, wie das Kondom beim Sex! Unverzichtbar."

Doch die Wurzeln des Finanzierungsproblems reichen tiefer. Laut Goehler müssen die meisten Kulturschaffenden ohne die zusätzliche Förderung ihrer Projekte unter dem Existenzminimum leben. Ein Zustand, da waren sich die Diskutanten einig, der nicht weiter gehalten werden kann. "Die größte Gegenspielerin der Kreativität ist die Existenzangst", charakterisierte Goehler das Dilemma.

Grundeinkommen für Künstler

Eine Lösung könnte, so stellte die Runde heraus, ein bedingungsloses Grundeinkommen für Künstler sein. Wenn somit zunächst die Existenz jedes Einzelnen gesichert sei, bliebe wieder mehr Freiraum für die Individualität und eine Kunst "für die Gemeinschaft". Ein Vorschlag, der zunächst für breite Zustimmung im Publikum sorgte, dann jedoch schnell weitere Fragen aufkommen ließ. Wie reagiert ein Mensch, dessen Existenz gesichert ist? Macht er aus Leidenschaft an der Kunst weiter wie bisher und freut sich über den Zugewinn an Lebensqualität oder ruht er sich auf seinem gesponserten Leben aus, bleibt die Kunst dabei auf der Strecke?

Sollte es wirklich ein bedingungsloses Grundeinkommen geben, käme es vor allem darauf an, "dass die Kunst dieses Projekt zu ihrem eigenen macht und die Künstler sich fragen: Was können wir für uns selber tun?", appellierte Goehler an die Interessen der Kulturschaffenden. Dabei könne ein bedingungsloses Grundeinkommen aber auch kein Allheilmittel sein, es helfe lediglich eine Basis zu schaffen, auf der jeder Künstler für sich aufbauen müsse. Ein Gedanke, der im Publikum weitere Fragen aufkommen ließ. Kann ein Grundeinkommen, das ohne Bedingungen gewährt wird, Forderungen an den Geförderten stellen? Hat der Künstler die Pflicht, sich mit seiner neu gewonnenen Freiheit weiterhin der Kunst zu verschreiben?

Zwingen kann man im Rahmen eines bedingungslosen Grundeinkommens wohl niemanden, weshalb Publikumsappelle an die Moral zunächst den Schlusspunkt des 6. Freitag-Salons in Berlin bildeten. Nach ihrer Hauruck-Schminkaktion zu Beginn verließ Savoldelli das Podium mit zerzausten Haaren und verschmiertem Lippenstift. Die Hilfe der anderen hat sie nicht schöner gemacht, verändert aber allemal.

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