Sein erstes größeres Projekt setzte der hoch gehandelte franko-algerische Künstler Mohamed Bourouissa in den Außenbezirken von Paris um: die großformatigen Fotografien der Serie Périphérique, die zwischen 2005 und 2009 entstanden und immer noch sehr aktuell sind. Zurzeit werden sie im Rahmen einer Bourouissa-Werkschau bei basis e. V. in Frankfurt am Main präsentiert.
Frankreich-Spezial
Wir beschäftigen uns diesmal ausführlich mit Frankreich, dem Gastgeberland der Fußball-EM – aber dabei geht es eben nicht um die altbekannten Klischees der (vermeintlichen) Grande Nation. Mit Reportagen, Essays und Interviews wollen wir das „andere Frankeich“ zeigen. Ein Land zwischen Aufbruch und Aufruhr: Eine Sonderausgabe über unser Nachbarland
der Freitag: Mohamed, wie ist dein Verhältnis zu diesem Land?
Mohamed Bourouissa: Die Frage hat man mir, glaube ich, noch nie gestellt. Hm. Schwierig.
Ich meine: Ist deine bikulturelle, franko-algerische Prägung für dich problematisch?
Ehrlich gesagt, nein. Man redet uns in Frankreich immer ein, das müsse ein Problem sein, eine Zerreißprobe, aber für mich ist es das nicht. Natürlich ist das Verhältnis der französischen und der algerischen Gesellschaft von dieser tragischen Geschichte, der schweren kolonialen Vergangenheit, von Verletzungen und auch Bitterkeit geprägt, das kann man nicht leugnen. Nur glaube ich, dass man sich davon als Individuum befreien muss. Ich habe das getan, ich habe mich quasi selbst dekolonisiert.
Zur Person
Mohamed Bourouissa wurde 1978 in Algerien geboren. Mit fünf Jahren kam er nach Frankreich, aufgewachsen ist er am nordwestlichen Rand von Paris, in Courbevoie
Also war es einmal ein Problem für dich?
Natürlich. Als ich jünger war, da war es schwierig. In Frankreich bin ich Algerier, in Algerien bin ich Franzose. Aber das habe ich recht schnell für mich geregelt. Ich denke, dass Identitäten anders funktionieren: Sie sind transversal, sie nähren sich aus dem Austausch, den verschiedenen Einflüssen, sie sind eine Überlappung von Orten, Kulturen. Die Identität ist ein luftiger geistiger Raum, kein geografisch umzäunter.
Du hast mal eine Arbeit für das „SZ-Magazin“ gemacht, in der es um eine nostalgische Identität ging. Du zeigst Algerier, die ihr Leben lang in Frankreich leben, aber in ihrer alten Heimat Häuser bauen, in die sie zur Rente zurückkehren wollen. Sie denken, ihre wahre Identität, ihr Zuhause, liegt auf der anderen Seite des Mittelmeers.
Ja, das ist ein Phänomen unter Nordafrikanern. Nur merken sie dann auch, dass es gar nicht so einfach ist mit der Rückkehr. Ihre Kinder sind in Frankreich aufgewachsen und wollen nicht nach Afrika. Und auch sie selbst haben sich verändert, ohne es zu merken. Am Ende stehen viele dieser Häuser leer. Diese Identität ist die Utopie. Sie wünschen sich die Rückkehr zur Tradition.
Können sie die in Frankreich nicht ausleben?
Doch, in einem bestimmten Rahmen schon. Wobei es mich sehr wütend macht, wie Frankreich mit seinen Muslimen umgeht, was für falsche Debatten man führt. Zum Beispiel über das Kopftuch. Meine Mutter ist Muslimin, sie trägt ein Kopftuch, na und? Sie hat einen Sohn erzogen, der integriert ist. Überhaupt würde ich sagen, obwohl ich Frankreich sehr schätze und ihm viel verdanke, dass es gerade ein beschissenes Land ist.
Warum?
Weil man zugelassen hat, dass sich Fronten bilden, weil sich ein großer Teil der Bevölkerung ausgegrenzt fühlt, weil das Misstrauen wächst. Nach den Anschlägen von Charlie Hebdo zum Beispiel habe ich mich wahnsinnig unwohl in Paris gefühlt, ich war froh, nicht dort zu leben.
Du bist ein erfolgreicher Künstler, deine Fotografien und Filme werden in der Galerie Kamel Mennour im 6. Arrondissement ausgestellt, aber du lebst weiterhin in der Banlieue.
Natürlich. Ich habe auch überhaupt keine Lust, in Paname (Slangwort für Paris) zu leben.
Warum nicht?
Ich mag Paname wegen der Museen und der Bars, ich mag es, um Freunde zu treffen. All das ist schön für einen Abend, aber ansonsten ist die Stadt vollkommen tot und das Leben ist viel zu anonym. In Paris kann man Monate, Jahre in einem Viertel verbringen und keinen Menschen kennen, keiner grüßt einen, die Leute leben in ihrer Ecke für sich.
Es ziehen ja auch immer mehr Künstler in die Banlieues, allerdings sind wenige wie du dort aufgewachsen.
Sicher, aber sie erkennen, dass man dort noch etwas bewegen kann. In Montreuil zum Beispiel sind mittlerweile extrem viele Ateliers. Hier kann man sich noch ausprobieren. In Paris ist es unmöglich, zu experimentieren, da muss alles perfekt sitzen, sonst hast du keine Chance.
Eine deiner frühen Arbeiten, die Fotoserie „Périphériques“, zeigt die tatsächliche Banlieue, dein Umfeld. Du hast deine Freunde, das Leben dort über mehrere Jahre fotografiert. Wie kam es dazu?
Ich habe als Kind immer viel gezeichnet, ich wollte immer Künstler werden. Als ich nach meinem Kunststudium an der Universität mit meinem Fotografie-Diplom begonnen habe, ist mir aufgefallen, dass ich mich und meine Generation nirgendwo repräsentiert sehe. Ich habe dann die Bilder von Jamel Shabazz entdeckt, der das Leben der Afroamerikaner in den USA dokumentiert hat. Das wollte ich auch: unser Leben zeigen, das der Jungs in Lacoste-Hemden, die Rap von Booba hören, die manchmal auch krumme Dinger drehen und wie mein Freund, mit dem ich die Arbeit Temps mort gemacht habe, im Gefängnis landen. Für mich war das natürlich auch ein Weg, meine eigene Geschichte zu erzählen und festzuhalten.
Und warum so hochpoliert? Viele der Bilder zitieren große klassische Gemälde.
Weil ich diese Jungs und Mädchen, weil ich unser Leben als schön ansehe. Ich wollte ihre Schönheit herauskehren, diese Schönheit, die man in den klassischen Bildern der Banlieue viel zu selten sieht. Natürlich wollte ich auch eine Verbindung zur Ästhetik der Bilder, die im Louvre hängen, schaffen. Ich wollte zeigen, dass sich das nicht ausschließt, der Rand und die Schönheit.
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