Splittersprengsatz bei der Berliner Krisendemo. ... ?

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Während ich über das nächste Artikelchen zum Hype "(Linke) Gewalt gegen die Polizei" nachdenke, tauchen immer mehr Meldungen über eine Explosion bei der Berliner Krisendemo auf. Deutsche Medien berichten über zwei verletzte Polizisten, die stationär ins Krankenhaus mussten (MoPo: Extremisten werfen Sprengsatz auf Polizisten), der ORF weiß davon noch nichts: "Nach Angaben der Polizei wurden die Sicherheitskräfte einmal mit Flaschen, Steinen und Böllern beworfen."

Ich war nur am Anfang auf der Demo und weiß nicht, was tatschlich passiert ist. Was ich bisher gelesen habe, ist so sehr vom Standpunkt der Schreibenden geprägt, dass mich das auch nicht wirklich informiert. Ich hoffe, dass sich das bis morgen bessert, obwohl dann auch mit zunehmender Propaganda-Tünche zu rechnen ist, vermutlich von den unterschiedlichsten Seiten.

Mein zweiter Gedanke nach der ersten Überraschung, dass bei dieser anfangs ausgesprochen munter und gelassen wirkenden Demo überhaupt so harte Auseinandersetzungen stattfanden, war:

Das erinnert mich an die Strategie der Spannung. Es gibt seit geraumer Zeit massiven ideologischen Druck, die Vokabel 'Extremismus' als politischen Kampfbegriff zu etablieren. Sie löst die vorigen Vehikel 'Organisierte Kriminalität' und 'Terrorismus' ab auf dem Weg zu mehr Überwachung und Kontrolle und weniger Kritik. Die neue Familienministerin, ehemalige "Extremismus-Expertin" der CDU, widmet Gelder zur Bekämpfung von Rechtsextremismus um zu Geldern zur Bekämpfung von Linksextremismus. Das will begründet sein und das wird es also auch. Wo keine ExtremistInnen sind, werden welche gemacht.

Die Strategie der Spannung ist kein Phantom. Es hat in der Geschichte der letzten Jahrzehnte immer wieder in verschiedenen Ländern, in Europa vor allem in Italien (auch in (West-)Deutschland) Aktivitäten von Polizei und Geheimdiensten gegeben, die linke Gewalt entweder vortäuschen oder provozieren sollte, teilweise mit vielen Toten. Und so in der öffentlichen Diskussion ein Klima schaffte, dass die harte Bekämpfung von Linken (Linksradikalen, LinksextremistInnen, AnarchistInnen, Autonomen, etc.) tolerierte und guthieß. Ein schönes Beispiel in dem Kontext ist auch das Celler Loch, falls noch jemand der Idee anhing, dass Beamte keine illegalen Dinge tun würden. Etwas frischer ist der Fall des Bremer Zivilpolizisten, der beim G8-Gipfel in Heiligendamm zum Steine-Schmeißen animierte.

Natürlich gibt es auch Linke, die die Anwendung von Gewalt für richtig halten und/oder daran beteiligt sind. Wieviele der beteiligten Leute etwa bei den traditionellen 'Berliner Maifestspielen' sich selber als Linke bezeichnen, ist aber schon wieder eine ganz andere Tasse Tee.

Was Gewalt gegen die Polizei angeht, bin ich bisher davon ausgegangen, dass bei linken (linksradikalen/links...) Demonstrierenden kurz nach Steine-Schmeißen Schluss ist. Molotow-Cocktails auf Personen zu werfen, scheidet meines Wissens schon deutlich aus. Vielleicht täusche ich mich auch oder habe auf meine älteren Tage den Bezug vollständig verloren, aber eigentlich kann ich mir schlecht vorstellen, dass sich an dieser Grundlinie viel geändert hätte. Grob lässt sich das so beschreiben: Gewalt gegen Sachen ist ok, Gewalt gegen Menschen nicht, es sei denn zur Selbstverteidigung.

Man muss das nicht mögen und es gibt dazu sicher viel zu diskutieren, aber man kann es zur Kenntnis nehmen.

Und jetzt sollen Linke in einer Demo durch eine 'Explosion', 'explodierende Wurfkörper' oder einen 'Splittersprengsatz' PolizistInnen verletzt haben? Es fällt mir schwer, mir das vorzustellen. Es passt allerdings hervorragend ins Bild der gemeingefährlichen Linksextremisten.

Für sachdienliche Hinweise, was tatsächlich passiert ist, wäre ich dankbar. Also, im Sinne von Fakten. Kleine eigene Beobachtungen, Bilder, Momentaufnahmen. Ganz wie im Tatort: Erzählen Sie einfach, was Sie gesehen haben! Möglichst ohne Interpretation - seit Genua bin ich fest davon überzeugt, dass es der Wahrheit insgesamt am besten tut, nicht zu übertreiben. Die Realität ist scheußlich genug und reicht damit für eine kritische Betrachtung der Welt völlig aus.

Updates:

  • Es gibt Fotos von der Demonstration, die die Atmosphäre zwischen Demonstrierenden und Polizei gut illustrieren (und nein, damit sage ich nichts über meine Haltung zum Begleittext).
  • Zum Thema Propaganda wurde nach dem G8-Gipfel in Heiligendamm viel Arbeit in diesen Artikel gesteckt: G8: Don't believe the hype! Es geht um nicht weniger als um Polizisten, die mit Giftspritzen gestochen wurden, um mit Rasierklingen gespickte Kartoffeln und vieles mehr, das hinterher als frei erfunden entlarvt wurde. Von gemeldeten 400 500 1000 verletzten PolizistInnen, darunter 30 40 50 schwer, blieben zum Schluss nicht viel über (Focus / NDR).
  • Es gibt ein weiteres YouTube-Video, das die Situation dokumentiert:







  • Das oben verlinkte YouTube-Video ist nicht mehr frei zugänglich, aber es gibt eine neue Version:





Übrigens auch noch sehr schön dazu: Linksextreme Musik oder: wie der Verfassungsschutz Nachwuchstalente fördert mit einer bizarren Erzählung aus Niedersachsen (Danke an vera).

Falls Ihr diesen Artikel flattr'n wollen solltet, tut dies bitte bei der Originalversion bei annalist. Danke!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Anne Roth

Anne Roth schreibt ins Netz seit 1999 / beruflich Referentin für Netzpolitik der Linksfraktion im Bundestag / parteilos / Fokus: DigitaleGewalt

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