Goldgräberstimmung unter Berliner Akademikern

Recht & Bildung Warum tausende Berliner Ex-Studenten von dem Recht auf Rückzahlung ihrer Rückmeldegebühren keinen Gebrauch machen sollten

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Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Rückmeldegebühren der Berliner Universitäten von 1996 bis 2004 verfassungswidrig waren (Az.: 2 BvL 51/06 und 2 BvL 52/06). Wer in dieser Zeit in Berlin studierte, kann deshalb Gebühren in Höhe von 51,13 Euro pro Semester zurückverlangen. Der Tagesspiegel stellt die Links zu den Formularen für die Anträge auf Rückzahlung bereit.

Goldgräberstimmung (die Gläubiger)

Ich war in den Jahren 2003 und 2004 (und danach) an der Freien Universität Berlin (FU) eingeschrieben. Sie ist seit dem meine Universität, meine Alma Mater. Seit etwa einer Woche höre ich von vielen der alten Kommilitonen wieder etwas. Es gehen Massenmails um. Und es herrscht Goldgräberstimmung. Dass das auch etwas für uns, die Adressaten, sein könne, steht da. Und kaum ein Absender verzichtet darauf zu bemerken, dass sein Antrag bereits raus sei. Es geht in den E-Mails um den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts und darum, dass wir das Geld jetzt zurückverlangen können. Für uns sind das rund 100 Euro, für ältere Semester maximal 870 Euro.

Bemerkenswert ist: Die E-Mails kamen aus zwei Rechtsanwaltskanzleien, einer Arztpraxis, einer Bundesbehörde und aus einer Kommunikationsagentur.

Schöner Schein (die Schuldner)

Im Anschluss an mein Studium arbeitete ich von 2009 bis 2012 im wissenschaftlichen Mittelbau der FU. Dort bekam ich mit, dass den Universitäten – und zwar allen Berliner Universitäten – das Wasser bis zum Halse steht. Das kann man von außen nicht sehen.

Denn überall wurde für mehrere Millionen Euro saniert. Die Gelder hierfür kamen aus dem Konjunkturpaket II. Sie durften nur für Baumaßnahmen ausgegeben werden. Anderenfalls wären sie verfallen. Während Fenster und Fassaden auf Kosten des Bundes renoviert wurden, bleiben aufgrund der Schulden, die das Land Berlin hat, jedoch Lehrstühle nach der Emeritierung ihrer Inhaber unbesetzt. Es fehlen die Mittel, um langfristig Professoren zu verpflichten.

Stattdessen werden immer mehr Stellen für Junior-Professoren geschaffen. Diese Stellen sind befristet. Und unter den tausenden Aspiranten auf Habilitationsstellen findet sich immer jemand, der ja sagt zu: Lehrverpflichtungen über dem Deputat der („echten“) Professoren, Veröffentlichungspflichten, Repräsentationspflichten im Rahmen von selbst zu organisierenden Tagungen und der Verpflichtung, Drittmittel einzuwerben. Daneben Engagement in der Selbstverwaltung und für die Gleichstellung und, nicht zu vergessen, die Habilitationsschrift.

Dass die Qualität (und die ebenso notwendige Quantität) der für die Ausbildung der Studierenden besonders entscheidenden Lehre unter diesen Bedingungen leidet, ist augenscheinlich. Daran ändert auch das Geld aus den Töpfen der Exzellenzinitiative nichts. Wie die Förderkriterien zeigen, hat die Exzellenz deutscher Universitäten mit der Ausbildung der Studierenden nichts zu tun. An vielen Fachbereichen sind Tutorienprogramme daher längst Geschichte. Bibliotheken können sich selbst Standardwerke teilweise nur noch in so geringer Anzahl leisten, das es unmöglich ist, sie zu verleihen.

Knappe Kasse (der Senat)

In diesem Zustand sehen sich die Universitäten einem nie gekannten Strom an Studierenden ausgesetzt. Berlin ist per se ein beliebter Studienort. Massiv erschwerend kommt seit dem vergangenen Jahr hinzu, dass die Wehrpflicht ausgesetzt wurde und die Abiturjahrgänge um ein Jahr verkürzt wurden.

Dennoch streicht der Senat den Universitäten Jahr um Jahr die Zuschüsse.

Recht und Pflicht (die Ehemaligen)

Unter diesen Umständen sollten die Ehemaligen der Berliner Universitäten darauf verzichten, die zu viel bezahlten Rückmeldegebühren zurückzufordern. Wer, wie die Rechtsanwälte, Ärzte, Geographen, Chemiker und Kunsthistoriker aus meinem Posteingang, von seiner Ausbildung an den Berliner Universitäten profitiert hat, der sollte dies auch seinen Nachfolgern ermöglichen.

Die Ausbildung der heutigen Studenten darf nicht noch weiter beschnitten werden. Und zwar vor allem nicht durch deren Vorgänger. Auswirkungen auf die Etats der Universitäten sind aber absehbar, wenn nun jeder, der ein Recht auf Rückforderung hat, dies auch ausübt.

Es besteht keine rechtliche Pflicht zu dem hier geforderten Verzicht. Im Gegenteil: Es gibt sogar einen vom Bundesverfassungsgericht abgesegneten Anspruch auf das Geld. Aber ein Recht zu haben, bedeutet nicht, es auch ausüben zu müssen. Hierfür ist der vorliegende Fall ein Musterbeispiel. Denn auf die Rückzahlung zu verzichten, bedeutet noch nicht mal eine Einbuße. Es wird den ehemaligen Berliner Studierenden dadurch nichts von ihrem Vermögen genommen. Es kommt nur einfach nichts hinzu. Zu verzichten bedeutet also kein Weniger. Es bedeutet nur, ein zufälliges Mehr nicht anzunehmen.

Jeder, der jetzt im Begriff ist, sein Antragsformular auszufüllen, muss sich deshalb vorher fragen, ob er auf das Geld jetzt noch angewiesen ist. Selbst wenn er erst im Wintersemester 2004/05 immatrikuliert wurde, liegt die Zahlung (der dann genau 51,13 Euro) bereits über acht Jahre zurück. In den meisten Fällen wird auch der Abschluss schon eine Weile her sein. Wer das Geld nun zurückfordert, muss sich fragen, ob er an das Geld vor einer Woche schon dachte, ob er es einplante in die Haushalts- oder die Urlaubskasse. Oder ob es nicht auch ohne geht.

Gutes tun durch Nichtstun (die Antwort)

Wo kann man durch Nichtstun sonst so einfach Gutes tun? Wer sich ernsthaft fragt, wo das Geld fehlt, der kann die Frage nur so beantworten: An den Lehrstühlen, in den Hörsälen, in den Bibliotheken, Arbeitsgemeinschaften und Tutorien.

Wer auf diese Antwort kommt, der kann mit dem Geld, das ihm zusteht, nur eines tun: darauf zugunsten seiner Alma Mater und seiner Nachfolger, die heute an ihr studieren, verzichten.

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