Ist es cool, einen Nazi zu verteidigen?

Justiz In diesen Minuten beginnt der Strafprozess gegen Beate Zschäpe. Über die Verteidigung Zschäpes werden Fragen aufgeworfen, die an den Grundfesten des Rechtsstaates rühren

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Man kann mit dem großen Ganzen und mit dem einzelnen Fall argumentieren. Der Zschäpe-Prozess wird im Internet, an Abendbrottischen, in Raucherräumen und in Redaktionen breit diskutiert. In den Diskussionen um diesen und jeden anderen, medial wahrgenommenen Prozess, etwa gegen Kinderschänder, Menschenhändler oder Mafiabosse, spielt eine Personengruppe immer eine besondere Rolle: die der Strafverteidiger. Dem Juristen werden dann beharrlich dieselben Fragen gestellt. Solche Fragen können emotional oder sachlich beantwortet werden. Es folgt der Versuch einer Integration:

„Warum muss auch der größte Kriminelle verteidigt werden?“

Strafverteidiger werden wahrgenommen als diejenigen, die den Bösen zur Seite stehen. Das ist richtig. Denn im Strafprozess hat der Böse dasselbe Recht auf Verteidigung wie der Gute. Seine Bürger als gleich wahrzunehmen, ist eine der wichtigsten Waffen, die der Staat gegen sich selbst einsetzt. Es soll keine Bürger mit weniger Rechten, keine Bürger zweiter Klasse geben. Wer der Auffassung ist, dass ein Kinderschänder weniger Rechte hat als jeder andere, der kann die Lektüre hier abbrechen.

Den Strafverteidiger als denjenigen wahrzunehmen, der den Bösen zur Seite steht, ist aber auch falsch. Denn ob der Angeklagte böse ist, ob er also etwas getan hat, das falsch war und deshalb unter Strafe steht, das wird erst am Ende des Strafprozesses entschieden. Und zwar durch das Gericht. Nicht durch die Polizei, nicht durch die Medien, nicht durch das Volk. Das ist die Argumentation mit dem großen Ganzen.

„Worauf kann sich ein Strafverteidiger zurückziehen?“

Genau hierauf: Auf das große Ganze. Anders als im Zivilprozess, wo sich zwei Parteien miteinander, gegeneinander, wechselseitig um etwas streiten, findet der Strafprozess nur in eine Richtung statt: Staat gegen Bürger. Der Staat darf in die Rechte seiner Bürger aber nur eingreifen, wenn das Gesetz es ihm erlaubt. Das beschränkt den Staat. Das soll Willkür vorbeugen. Die Regeln der Strafprozessordnung aber sind komplex. Dass das Gericht die Regeln dennoch einhält, überwacht der Strafverteidiger. Die Rolle des Strafverteidigers im Strafprozess ist deshalb eine ganz formale: Er dient dazu, die staatliche Macht im Gerichtssaal zu begrenzen. Die Strafverteidigung ist deshalb auch bewusst nicht in die Organisation des Staates integriert.

„Wie ist das so unter Juristen: Ist das cool, einen Nazi zu verteidigen?“

Diese Frage nimmt den Einzelfall in die Diskussion mit auf. Dem idealen Strafverteidiger soll es nicht darum gehen, wer dort sitzt. Es muss darum gehen, dass dort jemand sitzt. Auch das Getane ist nur unter einem technischen Gesichtspunkt interessant: Entspricht es Handlungen, die das Gesetz verbietet? Natürlich wird sich in grausamen Fällen kaum ein Mensch freimachen können von dem, was passiert ist und wie dies auf ihn wirkt. Das gilt auch für den Strafverteidiger. Aber das gehört nicht zu seiner Rolle. Hier muss er zwischen sich und dem einzelnen Fall einerseits und seiner Funktion im Gerichtssaal andererseits unterscheiden. Die Rolle erfordert nämlich Distanz.

Besonders grausame Taten rufen Zweifel an einer allgemein zugänglichen Strafverteidigung hervor. Aber sie dürfen sie nicht anfechten. Täter bei besonders ungerechten Taten anders zu behandeln, wäre nämlich schon praktisch nicht möglich: Denn wer würde die Grenze ziehen zwischen Taten, die so ungerecht sind, dass der Täter seiner Rechte enthoben wird? Für jeden Menschen sind ungerechte Zustände viel einfacher zu benennen als gerechte. Deshalb schießen jedem sofort dieselben Gedanken durch den Kopf, wenn es um Nazis, Kinderschänder und so weiter geht. Aber wo soll hinter denen die Grenze gezogen werden? Nimmt man Menschenhändler noch mit auf in den Kreis der Schutzwürdigen? Sollte man unterscheiden danach, ob sie mit Kindern oder Erwachsenen handeln? Das ist zu kompliziert. Hier gebietet das große Ganze dem emotionalen Verlangen im Einzelfall Einhalt. Zur Sicherheit.

„Macht der Verteidiger das, weil das eine challenge ist?“

Es kann keine größere Herausforderung sein, einen bekannt gewordenen Nazi zu verteidigen. In großen Prozessen kontrolliert die (hinguckende) Öffentlichkeit so sehr, dass eine Missachtung der Rechte des Angeklagten durch das Gericht kaum möglich ist. Die viel größere Herausforderung für den Strafverteidiger besteht darin, die Rechte des Angeklagten dann zu wahren, wenn außer den beiden nur noch der Richter und der Staatsanwalt im Raum sind. Wenn also keiner hinguckt, was der Staat macht.

„Wie lassen sich Berufsethos, Pflichten und eigene Ansprüche verbinden?“

Diese Frage stellt sich nur dem Juristen, der sie sich selbst stellt. Es bleibt eine persönliche Entscheidung, nämlich die Entscheidung der Berufswahl, ob man die Rolle desjenigen, der bei der Einhaltung des Rechts hilft, annehmen und so für eine allgemeine und bisweilen abstrakt wirkende Gerechtigkeit sorgen will. Das kann technisch und gekünstelt wirken auf denjenigen, der allein den Täter und seine Tat im Blick hat.

Hier trifft die Argumentation mit dem großen Ganzen auf die Argumentation mit dem einzelnen Fall.

Aber es besteht für Juristen kein Zwang hin zu dem einen oder anderen Argument: Unter Ärzten wird eine Medizinethik hergestellt durch Regelungen, die schon der hippokratische Eid vorgab. Ärzte verpflichten sich, Menschen zu helfen. Einen solchen Eid gibt es für Juristen nicht. Es gibt keine generelle Pflicht für Juristen, den Rechtsstaat mehr abzusichern, als andere Bürger das tun. Deshalb muss auch kein Jurist dem großen Ganzen folgen.

„Wo bleibt die Moral eines Verteidigers?“

Der Jurist kann schlechte Menschen schlecht finden, und er darf sich dagegen entscheiden, bei der Wahrung ihrer Rechte mitzuwirken. Denn kein Jurist muss nach seiner Ausbildung Strafverteidiger werden. Der Strafverteidiger aber, der die oft brotlose Aufgabe der Rechtspflege übernimmt, verdient es, in dieser Rolle – und nicht allein als Handlanger des Bösen – wahrgenommen zu werden.

Hinweis: ich veröffentliche sonst hier.

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