Bühne Das Stück "Zornig geboren" brachte die Premierenzuschauer im Maxim Gorki Theater zum Lachen. Unsere Kulturkorrespondentin konnte leider nicht mitlachen. Eine Klage
In dem Programmheft des Berliner Gorki-Theaters war über das Stück Zornig geboren zu lesen, die 1983 geborene Autorin Darja Stocker suche darin nach den "Potentialen von Rebellion und Widerstand", was in meinen Augen Grund genug ist, um ihr irgendeinen besonderen Preis zu verleihen. Denn wer tut das heute schon noch? Die Menschen kapitulieren und verharren im Nichtstun, und so wollte ich auf der Stelle in das Gorki-Theater laufen, um dort das Stück Zornig geboren zu sehen, in dem eine im Jahr 1983 geborene Autorin ihre Figuren nach den "Potentialen von Rebellion und Widerstand" suchen lässt.
Da saß ich also am Premierenabend zwischen theaterinteressierten Menschen mit Schals und freundlichen Gesichtern, die etwas über Widerstand und Rebellion sehen wollten. Di
Rebellion sehen wollten. Die Bühne wirkte modern. Drei in Plastikfolie eingeschweißte Ballen, die aus einer Vielzahl weißer Kanister bestanden, hatte man aufgebaut. Alles war weiß, schwarz oder grau, also kalt. Das Stück fing an und ich merkte, dass die theaterineressierten Menschen von Beginn an ein Interesse daran zu haben schienen, zu lachen. Mir dagegen war sehr ernst und ich versuchte der Handlung zu folgen, die aber nicht so recht eine wurde. Ich konnte sie nur mit dem Programmheft einigermaßen rekonstruieren, wobei ich, offen gestanden, mehrfach nachlesen musste, und mir kamen Zweifel, ob mir möglicherweise ein tieferes Theaterverständnis fehle.Böden, Staudämme und PflanzenUnter Zuhilfenahme des Programmheftes verstand ich dann aber im Laufe der Aufführung doch, dass es um Sophie (Britta Hammelstein) ging, ein intelligentes und hübsches Mädchen, das die Welt verändern will, aber nicht weiß wie, was man sehr gut verstehen kann. Der Vater (Jürgen Lingmann) von Sophie ist ein gescheiterter Aktivist, ein ehemals Jugendbewegter, er will etwas über die Vergangenheit seiner Mutter Olivia (Cristin König) herausfinden, die eine Informantin der Resistance in Paris war und später in ein Konzentrationslager verbracht wurde. Olivia verdrängt ihre Vergangenheit und möchte mit ihrem Sohn nicht darüber sprechen. Außerdem gibt es noch eine Nachbarin von Olivia, Mara (Anja Schneider). Mara hat einen slawischen Akzent und wurde nach Deutschland verheiratet, wo sie sich Wohlstand, Karriere und Freiheit erhofft. Sie redete vom Bachelor und Praktika.Dann lief noch ein Maler, ein "Painter" (Carlo Ljubek) über die Bühne, der auf der Suche nach seinem Vater ist und sich irgendwie ausdrücken will. Bisweilen hat er dabei mit Sophie zu tun, die auch auf der Suche ist und zwar nach einer Möglichkeit, die Welt zu verändern; sie tut dies, indem sie sich um Böden, Staudämme und Pflanzen kümmert. Ich glaube verstanden zu haben, dass das nur als ein hilfloser Versuch von ihr anzusehen ist. Irgendwann sind Sophie und der Painter dann gemeinsam im Ausland und wollen einem verletzten Menschen mit afrikanisch klingendem Namen unterstützen, später wird gesagt, Sophie sei inhaftiert worden, weil sie versucht habe, Flüchtlingen über einen Zaun zu helfen.Wann genau, weiß ich nicht, denn zwischenzeitlich, zwischen den immer wieder auflachenden Menschen sitzend, wusste ich überhaupt nichts mehr und fragte mich wieder einmal, ob es mir möglicherweise doch an einem tieferem Theaterverständnis fehlt, zumal die Menschen um mich herum keine Anzeichen von Verunsicherung auf ihren Gesichtern trugen, sondern vielfach auflachten. Tatsächlich waren die Dialoge bisweilen komisch, aber sie waren nicht lustig. Nicht so, dass man laut hätte auflachen müssen. Nein, dieses kalte Bühnenbild, diese Handlung, die keine war, die schöne, bisweilen poetische Sprache, diese absurden, skurrilen und an manchen Stellen scheinbar willkürlich zusammenmontierten Dialoge, waren an sich als eine Verstörung gedacht, wie ich glaubte verstanden zu haben.Farbspritzen und VideocollagenAber es verstört eben so leicht nichts mehr. Dann war die französische Revolution plötzlich Thema, sie wurde im Blitzlichtgewitter und in komischer Kostümierung zumindest angedeutet. Es blitzte, es lief dabei sehr guter französischer HipHop, man spritzte sich gegenseitig mit Farbe voll und es wurde weiterhin viel geschrieen, und Videocollagen von wichtigen den Widerstand betreffenden Szenen an die Wand geschmissen, 68er, Wasserwerfer, die französische Revolution, Bilder von schwarzen Menschen ohne Essen, einstürzende Hochhäuser etc. und ich dachte, dass es auf der Bühne nicht weniger stark gewitterte und blitzte, als das tagtäglich im Internet, im Fernsehen und in den Zeitungen, also im wirklichen Leben geschieht.Weiter stritten sich die Schauspieler teilweise sehr heftig miteinander, so wie man es auf bestimmten U-Bahnstrecken durch sozial schwierige Bezirke bisweilen vernehmen kann. Sie wirkten dabei aber wohl sehr sympathisch, denn ihr Tun wurde von dem Theaterpublikum wohlwollend und immer wieder lachend verfolgt. Niemand von ihnen machte den Eindruck, irritiert oder verstört zu sein, man wusste ja, dass Farbspritzereien und die Abwesenheit stringenter Handlung im Theater zu erwarten ist, alle wussten es, wie sie vermutlich auch wussten, dass die Suche nach den "Potentialen von Rebellion und Widerstand" ein ganz "wichtiges Thema" und eine ebenso schwer erfüllbare Aufgabe ist.Im Theater gewesenDeshalb verliessen die Besucher nach dem Ende der Vorstellung schnell den Raum, kauften sich eine Bionade und führten ein kurzes Gespräch über das Stück, wie ich vor der Tür rauchend verfolgen konnte. Zudem wurde ich Zeugin davon, dass sie nach fünf Minuten über etwas ganz anderes redeten und während ich all dies verfolgte und mich, immer ratloser werdend, nach dem Sinn eines solchen Stückes fragte, dachte ich, dass das Thema, nämlich die Suche nach "Rebellion und Widerstand" doch eigentlich zuvorderst all jene interessieren müsse, die in den U-Bahnen gegenüber Anderen sehr explizit sind und sich auf den Weg in ihre sozial schwierigen Bezirke machen, wo sie praktisch ihr Leben lang gefangen bleiben.Sie sind es doch, die als Publikum niemals angesprochen werden, sie sind es, die immer fern bleiben. Stattdessen saßen aufgeschlossene Menschen im Publikum, Theatergänger, denen ich Bildung und zumindest ein Wissen von der “Suche nach den Potentialen von Rebellion und Widerstand” unterstelle, über deren Inszenierung sie an diesem Abend aufgeklärt lachen konnten, während die aus den Randbezirken nicht da waren und die, wenn sie da gewesen wären, vermutlich das Gefühl gehabt hätten, dieses Stück nicht zu verstehen, ganz wie ich, die von diesem Eindruck auch immer wieder gequält wurde.Nein, ich habe nichts verstanden, keine Idee, kein Ansatz, kein Konzept, nur ein gewitterndes Konzentrat, das auf mich niederprasselte und mich ratlos zurück ließ. Zunächst gab ich mir selbst die Schuld an meiner Verständnislosigket, dann versuchte ich die Autorin oder den Regisseur Armin Petras zu beschuldigen und dann verstand ich, dass dieses Stück, so wie es ist, nämlich zerrissen, wirr, absurd, chaotisch, krank, skurril und stellenweise scheinbar sinnlos — ich verstand, dass das Stück Zornig geboren so ist, wie es ist. Das ganze mediengeschüttelte Leben ist so. Die Zeitungen, Twitter, Spiegelonline und Facebook sind ein einziges schreckliches und absurdes Gewitter. Es donnert unaufhörlich, daran gewöhnt man sich und wird darüber gleichgültig, zumindest ein bisschen und ratlos außerdem und das erlebe ich tagtäglich und ich erlebte es an diesem Abend ein weiteres Mal, nur dass ich im Theater gewesen war.
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