Der Pawlow’sche Mann

Kino Matteo Garrone sieht den Menschen als stumpfes Tier. Und hat vielleicht sogar recht
Ausgabe 42/2018

Es ist eines der bekanntesten italienischen Stoßgebete: „Dio cane!“ Gott, du Hund! Kurioserweise ist die äußerst beliebte Wendung in Dogman nicht zu hören. Der Herr hat die Menschen, die hier im zerfallenden Betongrau der süditalienischen Peripherie vegetieren, längt verlassen. Er taugt nicht mal mehr als Patron für Fluch und Verdammnis.

Dogman erzählt, inspiriert von wahren Begebenheiten, eine Geschichte von Ohnmacht und Gewalt in einem vergessenen Flecken Italiens. Marcello (gespielt von Marcello Fonte, in Cannes 2018 als bester Darsteller ausgezeichnet) ist klein, schmächtig und eindeutig zu großherzig für diese Welt. Er betreibt in den Überresten eines stadtplanerischen Verbrechens einen Hundepflegeservice. Das Wort „Dogman“ prangt wie ein Ehrentitel über seinem Ladenlokal, das den Charme einer Hinterhofgarage drei Tage vor ihrem Einsturz verbreitet. Marcello lebt von seiner Frau getrennt, spielt Fußball mit Freunden, geht in glücklichen Stunden mit der Tochter tauchen, gewinnt auch mal einen Preis beim Schoßhündchen-Frisier-Contest. Die Einkünfte fürs Waschen, Föhnen und Pfoten-Pediküren bessert er mit Koks-Verticken auf. Und er wird auch sonst immer wieder in kriminelle Geschichten reingezogen. Weil er sich reinziehen lässt. Und weil er sowieso keine Wahl hat. Die lässt ihm weder sein Umfeld noch sein Regisseur.

Matteo Garrone hat sich vor allem mit seinem Film Gomorrha auf Grundlage von Roberto Savianos Buch über die neapolitanische Mafia als Experte für die dreckigen, völlig unglamourösen Seiten des organisierten Verbrechens hervorgetan. Er wurde damit zum Schöpfer einer neuen Mafia-Ikonografie im Kino. Für Dogman ist er an denselben Schauplatz unweit von Neapel zurückgekehrt, gedreht wurde in Villaggio Coppola, wo auch Teile von Gomorrha entstanden. Die diversen Erzählstränge der Saviano-Adaption weichen in Dogman einem linearen Minimalismus, der eng bei der Hauptfigur bleibt und sein Update des italienischen Neorealismus mit Slapstick versetzt, den man in dieser Durchgeknalltheit nicht mal in Knallchargenkomödien sieht. Erst geht Marcello in den Knast, dann geht sein Widersacher in den Hundezwinger. (Und Garrone geht als italienischer Kandidat für den besten nicht-englischsprachigen Film ins Oscar-Rennen.)

Geld! Geld muss her

Marcellos zweifelhafter Freund und Gegenspieler, den man eher als Übel-Mitspieler bezeichnen muss, so wenig sind die beiden auf einer Augenhöhe, was der Film schon im ersten Zusammentreffen auch körperlich überdeutlich macht, ist der Mafioso Simone (Edoardo Pesce). Er rennt ständig mit dem Kopf gegen die Wand und mit der Faust gegen den Erstbesten, der im Weg steht. Das Drehbuch gönnt ihm kein tiefer gehendes Profil, sondern skizziert ihn aus den nötigen Vektoren, um die Handlung voranzubringen: Er ist ein Koks- und Kohle-getriebener Untoter, hohl in der Birne und völlig schmerzfrei, kaum kaputt zu kriegen. Kein Charakter, sondern eine Naturkatastrophe, die über den Ort und vor allem über Marcello kommt.

Simone ist symptomatisch für das Menschenbild in Dogman. Der Homo sapiens ist bei Garrone eine Stimulus-Response-Maschine. Psychologische Feinabstufung interessiert nicht die Bohne, stattdessen gibt der Film knappe, monokausale Erklärungen. Marcellos Tochter will tauchen, mindestens im Roten Meer, lieber noch vor den Malediven. Also muss Geld her, und wenn die krummen Typen wegen krummer Dinge kommen, wird nicht lange nachgefragt. Marcello liebt Hunde fast so innig wie seine Tochter. Wenn also irgendwo ein Chihuahua auf Eis gelegt wird – der Film nimmt diese Redewendung bezeichnenderweise wörtlich –, dann kommt er, um ihn wieder aufzutauen. Weil er muss. Weil er nicht anders kann. So einfach ist das, so fatalistisch.

Noch krasser: Garrone zeigt den Menschen allen Ernstes als Vieh. Aber was hat man auch erwartet? Der Film heißt schließlich „Hundsmensch“. Als aufgeklärter Filmkritiker oder überhaupt als in unterschiedlichen Stadien der Wohlstandsverwahrlosung mit seinen Luxusproblemen hadernder Privilegienheini will man ein solches Menschenbild natürlich nicht unwidersprochen durchwinken. Es ist mechanisch, deterministisch, im Ansatz totalitär. Trotzdem, es ist schwer, Garrone und seinen Maschinenmarionetten von einer gepflegten Schreibstube aus zu widersprechen, die Miete dafür pünktlich vom Geschäftskonto eingezogen, keine Schulden beim Dealer, den Nachwuchs eben erst zum Artistikkurs kutschiert.

Ja, der Herrgott has left the building. Aber all das Leid aus seinen gesammelten Märchen ist noch da und regiert in diesem Jammertal. Ein zentrales Motiv ist das Bild des heiligen Christophorus, der das Jesuskind über einen Fluss schleppt. In Dogman trägt einer die Last der ganzen Bosheit der Welt auf seinen Schultern. Lange wird er das nicht aushalten. Er ist kurz vor dem Zusammenbruch – und, so suggeriert der Film, wir mit ihm.

Dogman ist wie ein Schlag mit einem nicht ganz so kleinen Hämmerchen auf die Kniescheibe, ein Reflextest: Passiert da was? Aua, ja, tut es. Du Hund! Du hast mich an der langen Leine. Mit einem langen Close-up auf eine fiese Kampfhundfresse beginnt der Film. Er endet mit einem ewig langen Close-up auf das zerschundene, fragende Gesicht eines hilflosen – ja, was? Straßenköters, Menschen, Bioapparats?

Info

Dogman Matteo Garrone Italien, Frankreich 2018, 102 Minuten

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