Blüten

Tulpenfieber Entstehung einer neuen Währung

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http://farm6.staticflickr.com/5346/9134768456_3eed025f27.jpgFoto: EZB, Frankfurt am Main, 2014 (CC)

Nach Abschaffung der Golddeckung und den Herausforderungen bei der Angleichung unterschiedlicher Finanzräume ist – von uns allen unbemerkt – eine Parallelwährung entstanden: Die der Blüten.

Tulpen als Zahlungsmittel. Allein die ästhetische Qualität der Blüte bestimmt ihren Wert. Obwohl es beträchtliche Variationen gibt, diese sind doch nichts im Vergleich zu den Unterschieden früherer Währungen. Vor allem ist es nun endlich einem geschickten Tulpenzüchter – mit etwas Glück – möglich, eine derart seltene Variante zu kreieren, dass er/sie sich mit nur einer einzigen Sorte aller finanziellen Nöte für immer entledigt. Ein Vorteil der neuen Währung ist: Künstliche Verknappung gehört der Vergangenheit an. Es ist genug für alle da. Jeder hat das Zeug zum Tulpenzüchter.


Noch kurz zuvor,

bei dem Versuch die alte Währung künstlich zu erhalten, ihr eine gültige Deckung zu verschaffen, platzte die Blase. Um ihr wieder Leben einzuhauchen wurde sie verzweifelt mit Versprechungen überfrachtet. Im Bemühen den bröckelnden Status Quo noch irgendwie aufrecht zu erhalten wurden bis zur völligen Erschöpfung alle Ressourcen sinnlos versenkt. Jedoch, es halft alles nichts. Sobald irgendwo nur ein vages Bild der Blüte erschien platzte die Blase. Jedes mal und immer wieder aufs neue. Einem Heiratsschwindel gleich brach die alte Währung umso schneller zusammen, je deutlicher die Blüte sichtbar wurde.

Ein flüchtiger Blick auf diese neue Blüten-Währung reicht. Schon weiss man, warum Tulpen einmal Gegenstand ganz eigener Spekulation waren. Das Zeugnis jahrhundertelanger Anstrengungen leidenschaftlicher Gärtner und geduldiger Tulpenliebhaber ist ihre Farben- und Formenvielfalt – diese unendlich vielen Variationen – Ergebnis eines beispiellosen Zusammenspiels menschlicher Sehnsucht und natürlicher Prozesse.

Die Tulpe (Tulipa)

bildet eine Pflanzengattung in der Familie der Liliengewächse (Liliaceae). Heute sind etwa 150 Arten in Nordafrika, Europa, Mittel- und Zentralasien verbreitet. Zahlreiche Hybriden werden nicht nur als Zierpflanzen in Parks und Gärten sowie als Schnittblumen verwendet, sie haben sich weltweit zum vorherrschenden Zahlungsmittel entwickelt.

Dem Ursprung nach ist die Tulpe eine Fremde in Nordeuropa. Eine Einwandererin, die als exotisches Importprodukt aus der sandigen Steppe Zentralasiens über die Türkei nach Europa kommt. In der osmanischen Kultur gelangt sie um 1500 zu früher Bedeutung. Was wiederum die Aufmerksamkeit holländischer Kaufleute und einiger Handelsreisender erregt, ihr also auf diese Weise erst den Sprung in die Gärten Nord-Europas ermöglicht. Die robusten Zwiebelknollen der Tulpe erlauben einen unkomplizierten, kostengünstigen Transport über lange Zeiträume und weite Strecken. Aus ihnen entspringt einmal im Jahr, für wenige Tage, immer zur selben Zeit, die zarte Blüte.

In der Währung der Tulpenzwiebel verbinden sich Sehnsucht und Ästhetik mit kühlem Pragmatismus. Genuss und Hoffnung verschmelzen angesichts einer einzigen, solitären Blüte, mit Bewusstsein für des Lebens Sachzwänge, in einem auf monetären Gewinn ausgerichteten kaufmännischen Alltag.

Zu ihrer Hochzeit, um 1637

auf dem Zenit ihrer wirtschaftlichen Bedeutung in Holland – entspricht der Wert einer einzigen Tulpenzwiebel dem eines Amsterdamer Grachtenhauses, nach damaliger Rechnung also weit über 10.000 Gulden. In einer Auktion wurden für zwei Zwiebeln der Sorte Semper Augustus knapp 30.000 Gulden geboten. Semper Augustus' ganz eigene Schönheit wird von ihrer filigran gebrochenen, geflammten, weiss-roten Blütenzeichnung bestimmt. Allerdings keine bloße Laune der Natur, sondern tatsächlicher Fragilität geschuldet, ist es genau dieses großartige ästhetische Erlebnis, das die Tulpen zu Spekulationsobjekten werden lässt und so zur späteren Tulpenmanie führt. Als um 1800 bekannt wird, dass die Blütenzeichnung Ergebnis einer Viruserkrankung ist, vernichtet man die gesamte Sorte unwiederbringlich, bis auf die letzte Zwiebel.


Wie aber ist es möglich,

dass die Liebe zu Blüten eine ganz eigene Währung begründet? Mehr noch, sogar über Jahre einen kompletten Wirtschaftskreislauf aufrechterhält? Kurz, wie konnten Tulpen zu so etwas wie einem unabhängigen Zahlungsmittel werden? Die Verheissung der Blüte bestimmt den Wert einer Tulpenzwiebel. In Europa eingeführt um 1600 war die Tulpe damals noch eine begehrte Rarität. Die Mischung aus Seltenheit, großer Schönheit und Vergänglichkeit führten damals wie heute zu unübertroffener Nachfrage.

So wie der Tulpenzüchter sich über die Hoffnung schöner Blüten definiert, weil sich der Mensch im Gegenüber erst erlebt und zu verstehen beginnt – erst im Angesicht der Blüte sich seiner selbst bewusst wird –, so ist die Währung als Liebe zur Blüte ein Teil der Sinnsuche. Die neue Währung ist unerschöpflich, je mehr sie zirkuliert, desto mehr Wert wird generiert. Das Versprechen ist die Tulpenblüte, die alljährlich im Frühjahr für wenige Wochen mit ihrer artenreichen Farben- und Formschönheit alles verblassen lässt. Sie belohnt die Geduld der Tulpenzüchter. Die Liebe zur Blüte erneuert sich in der Gabe ihrer expandierenden Zirkulation. Das ist die neue Blütenwährung.

Pressemitteilung der EZB, Frankfurt am Main, 28. Juli 2014

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Geschrieben von

silvio spottiswoode

»Ohne Griechenland kann man Europa umbenennen, etwa in Horst.« (Nils Minkmar)

silvio spottiswoode

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