Disparition

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In einem zunehmend von Spektakel und Distanzlosigkeit geprägten Kunstbetrieb ist man als Betrachter inzwischen meist schon für jede noch so kleine Leerstelle dankbar. Kontemplation und Musse, diese zwei Eckpfeiler kreativen Schaffens, sind in der sich immerfort beschleunigenden Verwertbarkeitkette des modernen Kunstwerks ins Hintertreffen geraten. Umso freudiger betrachte ich die stillen Arbeiten der Künstlerin Monika Romstein.

Erst das Ausblenden der Außenwelt erlaubt es, die künstlerische Fiktion anzukurbeln und abzutauchen in einen sonderbar entrückten Kosmos. Die Bilder von Monika Romstein richten sich auf undramatische Weise an etwas nicht Dargestelltes, etwas Ausgelassenes, indem sie an unsere Fähigkeit appellieren, den Kontext der Kunst-Produktion zu rekonstruieren.

Der Ausstellungstitel „Disparition“ für Monika Romsteins Ausstellung im Saarländischen Künstlerhaus bezieht sich auf einen Roman von George Perec aus dem Jahr 1969. Der französische Schriftsteller und Oulipist verzichtet in seinem 300-seitigen Buch vollständig auf den Buchstaben „e“. Der Romantitel lässt sich in etwa übersetzen mit „das Verschwinden“, wäre da nicht das „e“. Aus diesem Grund erhielt die deutsche Übersetzung von „la Disparition“ den Titel „Anton Voyls Fortgang“. Name und Titel sind Programm: Vor dem Hintergrund einer von revolutionärem Chaos beherrschten Welt handelt die Geschichte vom buchstäblichen Verschwinden Voyls, dessen körperliche bzw. geistige Disposition als
„verstümmelte, eingeschränkte Persönlichkeit“ seiner sprachlichen entspricht. Als einer der aktivsten Mitglieder der Oulipo-Gruppe verwendete Perec in seinen Werken Verfahren, Strukturen und Methoden, um sich von Inspiration zu lösen. Dazu gehörte nicht nur das Leipogramm, sondern auch das Verarbeiten von fremden Texten. Ein Thema, das auch die Künstlerin interessiert: die formale Beschränkung und die Verarbeitung sogenannter „found images“.

Monika Romsteins malerisches OEuvre zeichnet sich durch offensichtliche Rückgriffe auf ikonische und handwerkliche Traditionen aus. Es verbindet Historie mit einer zeitgenössischen künstlerischen Praxis, die ihre Quellen nur spärlich preisgibt. Die Künstlerin reagiert in ihren Arbeiten auf bereits existierende Bilder: Fotografien, Filme, Texte verschiedenster Art aus ganz unterschiedlichen Quellen, eigenen und fremden, einschließlich berühmter Gemälde. Der primäre Referent ihrer Malerei ist eine Realität von schon vorhandenen Bildern. Diese Arbeiten reflektieren eine allgemeine Situation der Gegenwart, in der die körperliche Wirklichkeit der Dinge sich in bildliche Oberflächen verflüchtigt zu haben scheint, in der sich das Selbst und das Andere gleichermaßen zurückgezogen haben. Der Unterschied zwischen dem geisterhaften Medium der fotografischen Ab-Bilder und der physischen Materialität von Bildern bestehend aus Farbe und Bildträger gibt dem Medium der Malerei die Freiheit, Bilder in einer Weise malerisch auszufüllen und zu beladen, die jede Reproduktion übersteigt.

Nur dass in den aktuellen Arbeiten von Monika Romstein keine Aufladung stattfindet, sondern eine Entleerung. Hier entstehen keine durchgearbeiteten, vollendeten Gemälde, sondern eher Skizzen eines glücklichen Augenblicks, die im Zeichnerischen verharren oder ins Realistische ausschwärmen, Surreales zulassen, sich malerische Unachtsamkeiten einverleiben oder diese sogar noch provozieren. Zusammen ergeben sie eine Vielzahl von Realitätsformen der malerischen Praxis, die sich im Unvollständigen, Fragmentarischen und in den Auslassungen, als Leer- und Fehlstellen realisiert. In der Malerei schlägt sich die Beziehung zwischen den Dingen nieder und wird ersetzt durch das Motiv und seine malerische Komposition. Dem Bild wird somit seine fotografisch ausgetriebene Örtlichkeit und Körperlichkeit zurückerstattet. Damit kommt aber eben nicht eine einzige, zentrale Instanz für die Deutung eines Werks ins Spiel: nicht mehr nur der eine Autor.

In „Velvet Beach“, 2009, erscheinen in der Ferne eine Arche, ein Eingang oder ein Tor, während im Vordergrund kleine Figuren wie hypnotisiert herumstehen oder sich ganz banal in eine Schlange einreihen. Abgründigkeit ist mehr oder weniger in allen ausgestellten Arbeiten spürbar. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Figuren Aussteiger oder Suchende sind. Wichtig ist nicht der verborgene Sinn, das, was sich unter der Haut befindet, sondern die Oberfläche der Malerei selbst und die Projektionen, die die Arbeiten auf diesem Weg ermöglichen. Dieses Vage und Nicht-Deutbare ist ein Symptom des Repräsentativen Systems: Der wahre Grund ist uns stets fremd, d. h. die Frage nach dem Warum wird nicht beantwortet. Dabei zeigt eine Richtung des Interesses nachdrücklich in die Vergangenheit. Es ist nicht das Nachleben der Moderne, es ist das Gefühl, welches durch Atmosphäre verdichtet über den Verlust des Referenzrahmens hinausgeht. Die Bilder sind denn auch am ehesten als Zeugnisse persönlicher Empfindungen zu verstehen, immer wieder neu geschaffene Apperzeptionen. Sie verschleiern die Aussage, verstecken den Ursprung und spielen mit der Repräsentation.

So erscheinen die Gemälde Monika Romsteins als Bildkörper, als ambivalente Verkörperungen, die zwischen Intimität, Verführung und Täuschung oszillieren. Sie aktivieren mehr das visuelle Gedächtnis als den Intellekt. Das Verdichten, Auflösen und Ausdehnen von Bildelementen – von einem Bildmedium ins nächste, von einer Zeitebene in die nächste, vor allem aber mit Körpern, die sich in amorphe Massen auflösen oder aus ihnen hervorkommen – ist eng verwandt mit romantischen Verfahren, in denen eine physische Metamorphose stattfindet. Die kleinen intimen Formate mit ganz unterschiedlichen Bildthemen koexistieren in einem System ohne einheitliche Zeit- und Bedeutungsstruktur. In einer Verflüssigung von Zeit und Raum erzeugen diffuse und ambivalente Zeichen ihrerseits eine Disparition.

Arbeiten von MONIKA ROMSTEIN sind am Samstag, 14.09.2011 auf dem "Schöneberger ARTWalk" in der Galerie Gilla Lörcher | Contemporary Art zu sehen. Oder auch direkt auf der webseite der Kuenstlerin.


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Geschrieben von

silvio spottiswoode

»Ohne Griechenland kann man Europa umbenennen, etwa in Horst.« (Nils Minkmar)

silvio spottiswoode