Eine runde Sache

Eventkritik Manni Breuckmann konnte Fußball im Radio so anschaulich machen – man meinte, man säße im Stadion. Nun hat er ein Buch geschrieben. Zur Vorstellung kamen noch zwei Ehemalige

Manni Breuckmann erzählt zu Beginn des Abends erst mal einen Witz von einem Dortmunder, der sich schwer verletzt hat und in seiner Not zähneknirschend akzeptiert, dass ihm das Ohr eines Schalkers angenäht wird. Für einen Ruhrgebietsmenschen an und für sich schon eine komische Vorstellung. Der Witz hat aber noch eine Pointe, die wir hier freilich noch nicht verraten.

Vom Radio-Stadionreporter Breuckmann haben wir nämlich gelernt, wie man ein Publikum bei der Stange hält, selbst wenn es nix zu sehen gibt. Zu sehen gibt es an diesem Abend aber doch was. Denn die meisten der "50 legendären Szenen des deutschen Fußballs", die Manni Breuckmann für das Buch zusammengetragen hat, das er hier vorstellt, gibt es natürlich als Videokonserve. Seit 1972 war Manni Breuckmann fester Bestandteil der sogenannten "Konferenzschaltung", in der die öffentlich-rechtlichen Radiosender jeden Fußballsamstag live zwischen den verschiedenen Bundesligaspielen hin und herspringen. Wie wenige andere verstand er es, das Geschehen auf dem Platz für die Hörer lebendig zu machen. Am berühmtesten vielleicht die Übertragung der torreichen Schlussviertelstunde des letzten Spieltags der Saison 1998/1999, in der neben Manfred Breuckmann und Dirk Schmitt noch eine andere Reporter-Legende, Günther Koch, einen großen Auftritt hat. ("Tor in Bochum... Tor in Frankfurt... Tooooor für Rostock!")

Wir befinden uns in den Katakomben des Berliner Olympiastadions, in der Jesse-Owens-Lounge. Um in diese zu gelangen, muss man viele Stufen nach unten steigen. Die breiten Geschosstreppen sind in orangefarbenes Licht getaucht, was in Verbindung mit den Sitzmöbeln – Freischwinger und Kunstleder-Bänke – eine gewisse Siebzigerjahre-Anmutung erzeugt. Es gibt Pils und Hot-Dog, das Gedeck für 5 Euro 50 – und natürlich einen Bücherstand von Westwind, nicht nur Breuckmanns Verlag, sondern auch ein Verein – mit dem etwas ungelenken Motto: "Wir Nordrhein-Westfalen in Berlin." Ein richtig schöner Retro-Ruhrpott-Abend im Berliner Olympiastadion.

Aus dem Pott stammt auch Breuckmann selbst, inzwischen emeritiert als Reporter, aber als Experte immer noch unermüdlich. Als "Weltmeister am Mikrofon" kündigt der Verlag ihn an, worauf Breuckmann trocken erwidert. "Wie, kommt Werner Hansch auch?" Nö. Stattdessen kommt aber Olaf Thon, und der stiehlt ihm beinahe die Schau. Mit der Geschichte, wie er unmittelbar vor dem denkwürdigen 6:6 zwischen Schalke 04 und Bayern München, seinem ersten großen Auftritt am 2. Mai 1984, wie er also am Vorabend dieses Spiels mit hundert Freunden seinen 18. Geburtstag gefeiert habe, bei Schmitz in Beckhausen. Ginge heute alles gar nicht mehr, sagt er und lächelt genüsslich. "Das stünde sofort in der Bild-Zeitung."

"Erzähl doch mal, wie du das 6:6 geschossen hat", fordert Breuckmann. Und erzählt es dann selbst: "Der Schiri hat auf die Uhr geschaut und gesagt 'So, Olaf, einen Angriff habt ihr noch – strengt euch an'." Thon lächelt: "Dafür hab ich ihn dann zu meinem Abschiedsspiel eingeladen."

Axel Kruse ist auch da. Der ehemalige Herthaner ist mittlerweile Medienunternehmer, hat eine eigene Fernsehproduktionsgesellschaft. Kruse erzählt vom "Schlitzer": Norbert Siegmann von Werder Bremen, der 1981 mit seinen Stollen dem Bielefelder Ewald Lienen eine 25 cm lange klaffende Fleischwunde zufügte. Über dieses Foul verzweifelte Siegmann, wurde zum Buddhisten – und klopfte irgendwann bei Kruse an, als dieser den niederklassigen Verein Tasmania Berlin trainierte. Ob er sein Assistent werden könne? "Erst hab ich gedacht, das ist doch dieser Arsch, der den Lienen so bös' gefault hat. Aber dann hab ich schnell gemerkt, dass das ein ganz lieber Kerl ist, der sehr darunter leidet, dass man ihn immer nur mit dieser einen Szene in Verbindung bringt. Er hat immer wieder beteuert, dass das Foul keine Absicht war – er hätte einfach nicht Fußball spielen können."

Gut 100 Fußballfreunde, viele davon älter, sind zu Breuckmanns Buchvorstellung gekommen, und das obwohl am selben Abend die deutsche Nationalmannschaft gegen – Breuckmann mimt den sprachlich Korrekten – "Aser-bej-dschoan" spielt. Das Länderspiel wird auf zwei Großbildschirmen übertragen und, sehr zum Amüsement des Publikums, von den drei Oldies Breuckmann, Thon und Kruse fachmännisch kommentiert.

Und natürlich wird getippt. Breuckmann revidiert seinen usprünglichen Tipp – "Ein überzeugendes 17:0 oder ein glückliches 1:0 in der Nachspielzeit" – auf ein realistisches 4:0, womit er dann auch Recht behält. Thon hat sich mit seinem 2:0 geirrt, kann aber überzeugend darlegen, dass er im Grunde doch richtig getippt hat. Denn ohne den unberechtigten Platzverweis für den Aserbaidschaner Abbasov, so führt Thon aus, hätten die deutschen wohl schwerlich vier Tore geschossen. Spricht's und blinzelt über sein Rotwein-Glas.

Und wie ging die Sache mit dem Ohr aus? Tja, sagt Breuckmann, der Dortmunder stirbt am Ende überraschend: "Das Ohr hat den Körper abgestoßen!"

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Geschrieben von

Axel Henrici

"Ich kann freilich nicht sagen, ob es besser werden wird, wenn es anders wird; aber soviel kann ich sagen: es muss anders werden, wenn es gut werden soll." (Georg Christoph Lichtenberg)

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