Richard Swartz, jahrelang Osteuropa-Korrespondent von Svenska Dagbladet, ist heute Mitarbeiter zahlreicher internationaler Zeitungen. Vor fünf Jahren landete er in Deutschland einen beachtlichen Erfolg mit einem Reportagenbuch, das vom Alltag nach dem Fall der Diktaturen berichtet. Room Service serviert kleine, unscheinbare Geschichten aus Europas Nahem Osten, aus der Zeit nach den Revolutionen, nach der Abreise der westlichen TV-Teams. Swartz schreibt über Menschen im Schatten der großen Geschichte, darüber, wie sich die große Geschichte in den Geschichten dieser Menschen sedimentiert. Es sind scharfe Momentaufnahmen, in denen sich mehrere Zeitdimensionen fermentieren, genau beobachtete Miniaturen von geballter Spannung.
In einem solchen Raum bewegt sich Swartz auc
m solchen Raum bewegt sich Swartz auch in seinem 1999 in Schweden erschienenen und jetzt in Deutschland herausgekommenen Roman Ein Haus in Istrien. Man kann annehmen, dass persönliche Erfahrungen Pate für dieses kleine Werk gestanden haben. Die Frau des Autors stammt aus Rijeka, einen Teil ihrer Zeit leben sie in ihrem Haus in Sovinjak. Und eine Region wie Istrien verleitet zum Schreiben. Dort werden in jedem Jahrhundert mindestens dreimal die Grenzen neu gezogen, Herrschaften und Systeme wechseln sich in trauter Häufigkeit ab, auf kleinstem Raum existieren zahlreiche Kulturen und Ethnien. Nicht einmal ein so winziger und abgelegener Ort wie Pelegrin entgeht dem Zugriff der Weltgeschichte. Auch hier wird nach 1945 die italienisch sprechende Bevölkerung enteignet und zum Teil vertrieben. Andere "kroatisieren" sich, viele Familien sind ohnehin gemischt, und so wird zum Beispiel aus Bartolo Bartolovic. Die Kroatisierung ist eine Möglichkeit, dass Häuser- und Grundbesitz nicht enteignet, sondern nur beschlagnahmt werden können. So kann es vorkommen, dass fünfzig Jahre nach der kommunistischen Machtergreifung in Jugoslawien Signora Nina und Signor Antonio Bartolo in Triest als legitime Rechtsnachfolger eines Hauses in irgendeinem hinteristrischen Kaff auftreten. Denn die Kommunisten haben zwar lauthals die Überwindung des Privateigentums propagiert, doch, List der Vernunft, mit den Enteignungsgesetzen bestimmte Formen des zu Überwindenden penibel erhalten und verwaltet."Hintersinnig" preist der Verlag Swartz' Roman an, und es sind tatsächlich diese unglaublichen historischen, politischen, ethnischen und kulturellen Verwicklungen, die die simple Handlung immer wieder auflaufen lassen. Eigentlich passiert ja nicht viel. Die Ich-Erzählerin, zwar nicht aus Pelegrin, aber mit den regionalen Verhältnissen vertraut, beginnt ihren Bericht mit einer seltsamen Anwandlung ihres Mannes. Dieser, Ausländer, Autor gesetzteren Alters, ein seltsamer Vogel, will unbedingt ins unbewohnte Nachbarhaus eindringen. Schuld ist angeblich der "fette Mond von Istrien", dass dieser wohl anständige Bürger jeglichen Anstand gegenüber der heiligen Kuh des Kapitalismus missen lässt und gewaltsam auf dem fremden Privatgrund eindringt. Auf der mit Glasscherben bewehrten Mauer schneidet sich das mondsüchtige Kerlchen die Hände blutig. Überhaupt genießt Swartz diese Erzählposition, um den ausländischen Autor zwar als recht zielstrebig, aber auch als recht unsympathisch erscheinen zu lassen. Da er über keine einschlägige Chaoten-Vergangenheit verfügt, darf er schon mal gewalttätig werden, aber nur gegen den Dorfsäufer und nicht gegen die Staatsmacht.Es geht also nur um den Kauf eines Hauses, 180 Seiten lang. Es geht darum, dass einer verrückt nach einem alten Haus mit einem verwahrlosten Garten ist. Plötzlich unternimmt er Dinge, die er sonst nie unternommen hätte. Der Pioniergeist erwacht, ein Haus in Istrien zu erwerben, das ist mindestens so viel, wie Amerika zu erobern. Die geplante einfache Transaktion wächst zu einem hochkomplizierten Akt der Diplomatie aus, in dem widersprüchliche Interessen aufeinander stoßen. Swartz nähert sich der Sache mit einer Art doppeltem Zugriff: aus der Perspektive der Ich-Erzählerin, die über istrische Angelegenheiten Bescheid weiß, die erklärt, dolmetscht, vermittelt; und indirekt aus der Sicht des Fremden, der den Dingen mit dem Blick von außen entgegen tritt, dem diese kleine Welt zunächst unzugänglich, verschlossen erscheinen muss, der ihr umgekehrt mit großer Naivität begegnet. Diese Doppelperspektive könnte vieles erschließen. Aber.Es gibt wirklich prächtige Szenen in diesem Buch. In manchen Passagen wird der Leser an das Reportagenbuch erinnert, daran, wie Swartz mit recht einfachen Mitteln ein Gespräch zu einer spannenden Grundsatzdebatte elaboriert. Die Vorsprache des Ehepaares beim Anwalt Franjo Laginja in der Bezirksstadt Buzet ist eine der tragenden Szenen des Buches. Der Anwalt wirkt wie ein Überbleibsel einer längst untergegangenen bürgerlichen Gesellschaft, überdies verachtet und im Gerichtssaal offensichtlich ein Versager. Ein alter Mann, dem der Autor im Büro die Schuhe ausziehen und über die geschwollenen Beine die Filzpantoffeln streifen muss, unfähig, seinen Gästen einen Kaffee zu bereiten. Doch in der Debatte um das Haus läuft er zu großer Form auf, wenn er die Eigentumsfrage am Haus aus dem ius sanguinis ableitet: "Hier bei uns ist es das Blut, das zählt, sagte der Anwalt, ius sanguinis, fügte er hinzu, und Blut gibt es schon mehr als genug in dem leeren Haus, sagte Franjo, aber das Blut der Familien Bartolovic oder Bartolo, nicht das Ihre." Ungewiss bleibt, wessen Interessen der Anwalt vertritt, vielleicht auch nur ganz erbärmlich egoistische. Sein Plädoyer gegen den Kauf durch Fremde, im Grundton chauvinistisch, gerät zur flammenden Verteidigungsrede gegen den Ausverkauf des Landes an ausländische Bodenspekulanten. Wie schnell hier zwei und zwei fünf sein können, zeigt die grandios-blödsinnige Argumentation des Anwalts mit Mussolini: der faschistische Duce hätte die ganze Gegend mit dem elektrischen Strom aus Italien kaputt gemacht, "für eine so unnatürliche Verlängerung des Tages war das Haus nicht gebaut, und folglich steht es jetzt leer ..."Geboren in ein Istrien, das zum faschistischen Italien gehörte, hat dieser Anwalt die Befreiung erlebt und einen wesentlichen Teil seines Lebens in Tito-Jugoslawien verbracht, schließlich den Niedergang und Zerfall der Föderation, die Gründung Kroatiens und die Ära der jugoslawischen Kriege durchgestanden - eine Figur, wie geschaffen für Room Service. Für sich genommen sind auch andere Personen des Romans sehr farbige Gestalten, der Zuzügler und Außenseiter in Pelegrin, Dimitrij Borejko, mit dem der Autor Kontakt aufnimmt, weil er angeblich einen Tunnel zum unbewohnten Haus gegraben hat, der sich als Abwasserkanal herausstellt. Oder auch das Besitzerpaar Bartolo, das in Triest lebt, dessen Geschichte sich während der Kaufverhandlungen in grotesk-ironischer Weise entrollt. Das sind, für sich genommen, sehr saftige Geschichten, und Swartz ist ein geschickter Autor, der die einzelnen Geschichten zu gestalten versteht.Das Problem des Buches liegt in der Gesamtkonstruktion. Jemand stößt beim Kauf eines Hauses in Istrien auf Probleme und Geschichten. Mittels des Erzählkonzepts Innenschau plus fremder Blick hätte Swartz einfach mehr draus machen können. Doch der Ort Pelegrin, in dem das leere Haus steht, bleibt völlig blass. Die Ich-Erzählerin wirft kaum einen Blick auf die anderen Leute, sie schaut nur auf die Marotten ihres seltsamen Mannes. Sie ist die brave Dolmetschermaus ihres Schatzes, der weder kroatisch noch italienisch kann, sein Heimchen. Sie schildert sein Verlangen nach dem Haus als individuelles Begehren, schuld ist der fette Mond. Im Disput mit dem zwielichtigen Anwalt werden zwar soziale, politische und kulturelle Dimensionen des Kaufvorhabens aufgegriffen, närrisch, komödiantisch, verkniffen, verquert, sehr lebendig eben - doch dieser Faden wird nicht weiter verfolgt. Denn im Vordergrund steht der verbissene Kaufwunsch des Autors. Wenn er sich bei der Besichtigung mit der Besitzerin darüber streitet, dass eine Mauer raus muss, dann wird's schon peinlich fad: eine Empfehlung an die Gebrauchthauskäufer aller Länder? Jedenfalls reicht ein Konzeptkniff noch nicht aus, um einer Sammlung von vier, fünf Erzählungen, die für sich genommen gut komponiert sind, das Etikett "Roman" umzuhängen.Richard Swartz: Ein Haus in Istrien. Roman. Aus dem Schwedischen von Verena Reichel. Hanser Verlag, München 2001,. 184 S., 35,- DM
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