Er gibt sich wie ein junger Wilder, Proll, Macho, Comedian, Gagwriter für B-Movies, Ökonomieprofessor. Alek Popov, bulgarischer Schriftsteller, hat Anspruch, fast etwas zu viel davon. Man sollte sich hüten, den 1966 in Sofia geborenen Autorals "talentiert" zu bezeichnen. Das klingt so, als würde einer Marilyn Monroe als "kurvig" bezeichnen. Aber durchwinken kann man diesen Popov auch nicht ohne weiteres. Manchmal ist der studierte Philologe Homer, manchmal krebst er am 99-Cent-Niveau. Braucht er schnell mal eine Figur in seinen Romanen, erfindet er sie kurzerhand. Lässt sie eine völlig blödsinnige Geschichte erzählen, nur damit die eigene eine überraschende Wende nimmt: Prinzip Taschenspieler. Der Baruch-Moment im collagierten Kolportageroman, die Börsenzocker wissen Bescheid. Man muss die Gunst der Minute nutzen.
Dabei kann Popov weit mehr als trickreiche Schmähs reißen. Er beherrscht zum Beispiel die Politische Ökonomie des Finanzkapitalismus. In diesem Feld sind deutsche Autoren nicht gerade stark. Das Wahre, Schöne und Gute am Aktiengeschäft haben sie noch nicht entdeckt, Globalisierung ist aber kein sensibles Dichterwort. Mit Migranten hat er es in den Genen als gelernter Bulgare, das Wandern ist der Bulgaren Lust. Für die neue Epoche ist er also gut gerüstet. Bewundernswert, wie sich Popov, aus dem zu Tode gestürzten Kommunismus kommend, hirnüber in die Hyänenwelt des Kapitalismus stürzt. Kein Gejammer, kein "Pfui Kapital"-Geschrei oder so. Nein, Gas geben und rein, rüber nach Wunderland USA, Empire, Weltzentrale. Nicht lange staunen, handeln, rauf auf die Wall Street, ran an die Aktienpakete. Klar, dass er dabei oft völlig übertreibt. Denn im Grunde seines Herzens mag dieser Autor weder Kapitalismus noch Kommunismus noch Globalisierung oder höchstens bestimmte Seiten an allen. Um die vielen anderen Seiten macht er viel Lärm, Stress und Tempo. Das ist dann Popovs nervige Seite. Das macht es schwierig den Plot zu erzählen, weil er überfrachtet ist mit teilweise völlig sinnloser Handlung. Am Anfang steht eine schwarze Schachtel. Sie kommt per Post nach Sofia und enthält die eingeäscherten Überreste des unter etwas rätselhaften Umständen verstorbenen Vaters, eines in die USA ausgewanderten Mathematikprofessors. Nachwende, die Mutter haut bald ab um in Wales alte Menschen zu pflegen. Der ältere Sohn, Ango, hat studiert und betreibt einen Kinderbuchverlag, Ned, der jüngere, geht in die USA, schafft den Aufstieg ins mittelhohe Wall Street-Management einer großen Anlagefirma und möchte seine erste Million machen. Ned ist wendig, schlau, gewieft, ein Taktiker, der weiß, wann er sich anpassen muss und wann er aufdrehen kann. Ango hingegen ist der Intellektuelle, weiß theoretisch recht viel, geht der Floskel von der Freiheit des Wortes auf dem Leim und kapiert nicht die Marktförmigkeit der Freiheit, als er nach der Wende einen Verlag gründet, der, Lohn-Preis-Profit, bald letzteres nicht mehr macht und pleite geht. Mit einem Lotterielos zieht er eine Greencard und taucht in New York bei Ned auf. Also erzählt Popov ihre Geschichte aus der Perspektive der beiden Brüder, deren Unterscheidbarkeit wesentlich aus ihren völlig verschiedenen Milieus resultiert.
Ned setzt einen Job in den Sand und muss auf Bewährung eine blöde Strafarbeit ausgerechnet in Bulgarien ausführen, wo er sofort in turbulente und rätselhafte Vorkommnisse verstrickt wird. Ango hingegen jobbt in den Leichtlohngruppen der Hundeausführer in Manhattan, deren Claims scharf abgesteckt sind, wo sich kriminelle Banden blutig bekämpfen wie weiland die Brooklyner Paten, wo sich korrupte Trade Unions von Hundeführern gegenseitig das Leben schwer machen und Neuzugänge zwingen ihre eigenen Gruppierungen zu gründen (mit dem beziehungsreichen Namen die "Dogsters"). In beiden Milieus spielen sich weltenverschwörerische Kämpfe ab.
Diese Konstruktion spricht durchaus für sich. Kommunismus verloren, Dschungel der Globalisierung, Suche nach einem Halt, Ungewissheit einer Vatersuche, der eigentlich tot ist und vielleicht doch nicht. New York als globale Metropole und das periphere, noch mit allen offenen kommunistischen Narben versehene Bulgarien als Kontrast: aber beide sind, wo sie vom Finanzkapital zu seinen Schauplätzen gemacht werden, gleichermaßen undurchschaubar, verrottet, entortet. Ob Sofia oder Manhattan, überall spielt sich das Leben einer Meritokratie an geschlossenen, scharf bewachten Plätzen ab, ein Leben jenseits demokratischer Regeln, über dessen Sprache und Verhaltensweisen man nur noch mit der Achsel zucken kann. Unterschichtenfernsehen, Comedians, Spaßgesellschaft, das alles ist noch begreifbar gegenüber den Codes in diesen fast schon apokalyptischen "gated communities". Aber Popov ist eben zu sehr Intellektueller. Er hält das nur für zeigbar, indem er die Schraube immer noch einen Dreh weiterdreht. Neds und Angos Geschichten sind so völlig überdreht, was da an Action abgeht, erdrückt schon wieder die ganze Geschichte, zwischendurch wähnt man sich in einem mittelmäßigen B-movie.
Auch die Vatergeschichte wird ganz schön ausgenutzt. Um so viel Schmähund Pointen abzuladen, bedarf es ein paar tragender Säulen. Zum Beispiel dieser: Vaters Asche ist vielleicht nicht Vaters Asche. Beide Söhne haben Fantasmen, irgendwo in Amerika könnte sich vielleicht noch ihr Vater herumtreiben. Beide haben "Begegnungen" mit ihm. Diese Erlebnisse sind tatsächlich gut geschrieben, gehören zu den wenigen Szenen, die die Brüder wirklich unterscheidbar machen. Aber nur als solche funktionieren sie, ansonsten gewinnt man immer stärker den Eindruck, dieser Vater muss herhalten um die Geschichte zusammen zu halten. Wiewohl sie etwas Verbindliches hat, das Popov allerdings nicht als das Bindeelement verwenden möchte: die aktuelle Ökonomie. Mehr noch, eine ganze Spannbreite ihr entspringender Lebensgefühle. Eine Ahnung des Lebensgefühls der feudalen Finanzer ganz oben, jenseits all dessen, was Wall Street Journal oder die FAZ-Wirtschaftsseite uns allen so vorgaukeln. Dagegen eine Ahnung des Lebensgefühls ganz unten, ob in Bulgarien oder in jenen Vierteln New Yorks, von denen sonst kaum ein Roman erzählt. Wenn schon Bronx, dann eine der härtesten Gegenden, nämlich East Bronx, nicht die inzwischen hübschen gentrifizierten Fassaden.
Migration ist in diesem Buch eine Normalität, der Mensch ist seit Urzeiten ein Wanderer. Und Ökonomie bedeutet, lässt man mal so Nebensächliches wie Kapitalanlage und Politische Ökonomie außen vor: Wer ein bisschen hat, dem fällt das Weggeben am schwersten. Zehntausend, das lässt sich in Waschmaschinen und Fernsehapparaten ausdrücken. Verliert man es, weint man ihm nach. Eine Million, das ist schon was sehr Abstraktes. Das Umgehen mit dem großen Geld ist einfach. Schwierig ist es mit dem kleinen Geld, denn da wird es wirklich riskant. Wenn es nicht nur an die Scheckkarte, sondern an den Kragen geht. Das kostet dann schon ein paar Euro beziehungsweise Dollar.
Einmal trifft Ango den vermeintlichen Vater, als er sich in Pennsylvania verfährt, an einer Nebenstraße, dort wo die USA noch so ist wie vor fünfzig Jahren. Dieser Vater hat eine kleine Ranch, ist gut Nachbar mit allen Nachbarn, hat ein Boot auf dem nächsten See, ist ein Selfmademan, versteht sich mit den Sheriff, das aufrechte Amerika halt. Vor der Globalisierung. Vielleicht war das die Asche in der schwarzen Schachtel. Dafür hat er jetzt eine verrückte Diane, mit der geht er Sushi essen.
Alek Popov Die Hunde fliegen tief: Roman" target="_blank">Die Hunde fliegen tief. Roman. Aus dem Bulgarischen von Alexander Sitzmann, Residenz, Salzburg 2008., 412 S., 22 EUR
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