Desaströse Verhältnisse, überfüllte Fährboote, verzweifelte Flüchtlinge - diese Bilder von Albanien strahlte das TV im Frühjahr letzten Jahres aus. Auf der »Partizani« befand sich auch Thesar Lumi, der Ich-Erzähler in Fato Kongolis Roman Die albanische Braut - aber er verlässt das Schiff und kehrt in sein Heimatstädtchen zurück. Dort begegnet er seinem alten Feind aus Schultagen, dem ehemaligen Schulleiter Xhoda, der inzwischen verrückt geworden ist. Verrückt wurde vieles zwischen dieser Jugend und dem Jetzt. Lumi steigt in die Zeit ein, bevor alles verrückt wurde, in einem inneren Monolog zeichnet er seine Geschichte nach.
Es ist eine eigenartige Geschichte, wie sie sich wohl nur in einer Gesellschaft ereignen
ereignen mag, die aus archaischen Verhältnissen einen überstürzten Sprung in die Moderne getan hat. Der alte Ehrenkodex mit seinen Hierarchien, Stammesdenken und Schutzordnungen, die Vergehen jenseits staatlicher Justiz rächen, koalieren mit dem Versuch, Strukturen allgemeiner Verfasstheit zu errichten; Strukturen, die allerdings von denselben Leuten verwaltet beziehungsweise exekutiert werden, die selbst noch gestern auf die klandestinen Machtgruppen orientiert waren. Diese spezifische Konstellation mag die Undurchsichtigkeit der Herrschaft der »roten Spinnen« erklären, wie die Albaner die kommunistische Nomenklatura nannten. Sie zieht sich durch den Roman als persönliches Gefühl des Helden, ständig irgendjemandem ausgeliefert zu sein, einem unbekannten Schicksal, fremden Mächten, der Stasi, den Verhältnissen. Vielleicht ist es das, was an diesem Buch, bei aller Spannung, irritiert: diese durchgängige Opferhaltung.Lumi beginnt also mit der Schulzeit, mit dem Erwachsenwerden, das Übliche, man kennt das, die Demütigungen durch Eltern und Lehrer, die Rivalitäten in den Jungencliquen, die Bubenmänner und die Mädchenfrauen, das Erlernen der Heuchelei, der Doppelmoral von den Erwachsenen. Zwar heisst es bei Marx, dass der Sozialismus die Beseitigung der Unterdrückung des Menschen durch den Menschen bedeutet, aber der Sozialismus Enver Hoxhas folgte eher despotischen Mustern, die feudalen Verhältnissen entlehnt waren.So erscheint auch die Atmosphäre der Kleinstadt zwiespältig altertümelnd-modern, zugleich durchdrungen vom Geist eines Regimes, das seine Macht nicht auf demokratische Teilhabe des Volkes, sondern auf Gewaltapparate und Geheimdienste aufbaut. Lumi hat beispielsweise einen Onkel, der sich nach der Machtergreifung abgesetzt hat. Das ist ein großer Makel, erst recht, wenn er nicht gemeldet wird. Auf Geheiss der Eltern soll er ihn heimlich hassen. Für Lumi ist das der Weg in die »Sünde«, in die »Gemeinschaft der Schwarzen«, weg von Vilma, der Weissen, der albanischen Braut. Vilma ist die Tochter des Schulleiters Xhoda und des Rivalen Auserwählte, wobei die Wahl völlig einseitig ist, denn der Cliquenchef Fagu terrorisiert sie. Eine unerträgliche Situation. Der Fürsprache eines Freundes des Vaters, eines Parteikaders, verdankt es Lumi, dass er in Tirana studieren darf. Dadurch verliert er Vilma zunächst aus den Augen.In Tirana freundet er sich auf seiner Fakultät mit Ladi, dem Sohn eines Bonzen an, der sich über das Bonzentum Gedanken macht, von den Zuständen angeekelt ist und auf Veränderungen hofft. Er lernt auch dessen Cousine kennen, eine zehn Jahre ältere Witwe, alles klar, eine leidenschaftliche amour fou, in die sich irgendwann einmal der Staat in Gestalt eines verschmähten Ministersohns und Stasibeamten einmischt. Als es zu einem größeren Revirement in der Führung kommt, wird Ladis Vater erschossen, Ladi begeht Selbstmord. Lumi fliegt von der Uni, geht zurück in die Kleinstadt, in die Betonfabrik. Aber das Netz der Stasi zieht sich über ihn zusammen. Das versteht Kongoli geschickt zu inszenieren, die Spannung steigt, das Tempo und der Alkoholkonsum des Helden auch, man ahnt Böses, das Verhängnis nimmt seinen Lauf, unsichtbare Mächte...Der Geschichte, die sich dramatisch zuspitzt, sei hier nicht die Pointe genommen. Sie hat ihre Schwächen, in der Konzeption, in einigen Unglaubwürdigkeiten, etwa, dass der Held, der in Nomenklatura-Kreisen verkehrt, derart naiv den Machtmechanismen gegenübersteht. Andererseits macht Kongoli den Leser vertraut mit Eigenheiten der albanischen Gesellschaft, ihrem immer noch existierenden konservativen Ehrenkodex. Vor allem aber vermittelt er, dass sich für große Teile der Bevölkerung die Macht der »roten Spinnen« nicht als Befreiung im Sinne eines Marx, sondern als eine Terrorherrschaft dargestellt haben muss. Immerhin eine Leistung, die man bei dem albanischen Vorzeigeschriftsteller Ismail Kadaré vergebens sucht.Fatos Kongoli, Die albanische Braut. Roman. Aus dem Albanischen von Joachim Röhm. Reihe Meridiane 19, Ammann-Verlag, Zürich 1999, 240 S., 38,- DM.
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