Die Angst vor dem König

Literaturnobelpreis Bei Herta Müller dient die Form immer noch der Botschaft. Eine leidenschaftliche Gratulation an die Literaturnobelpreisträgerin

Unumstritten ist sie wahrlich nicht, die Dichterin mit Buchtiteln wie: Der Mensch ist ein großer Fasan auf der Welt oder Der fremde Blick oder Das Leben ist ein Furz in der Laterne.
Auf siebenbuerger.de, einem Blog, in dem SiebenbürgerInnen und BanaterInnen ihre Volten führen, haben „deutsche Landsleute“ (Oh Blut im Osten!) schon vor der Bekanntgabe der Nobelpreisverleihung emsig debattiert: „...selten so einen Schwachsinn gelesen...“ – „Aber bitte senden sie mir keine HM-Bücher!! Wenn, dann eher ... eine Packung Fisherman’s Friend, damit der bittere Nachgeschmack, den man sich hier holt, wieder weggeätzt wird.“ – „Sie macht es vielen Menschen bekannt und erklärbar, selbst über den deutschsprachigen Raum hinaus, und hebt somit uns Siebenbürger und Banater aus der Unbekanntheit und Unsichtbarkeit, in der wir von dem kommunistische Regime gefangen gehalten wurden.“

Auch in den windigen Hochsitzen der coolen bundesdeutschen postmodernen realistischen literarischen Sachexperten hat Herta Müller einige Gegnerschaft von LiteraturkennerInnen. Zeit-Kritikerin Iris Radisch hat ihren Kanon von globalisierter Literatur, da passt Herta Müller mit ihren unmittelbaren Erfahrungen der Ceausescu-Diktatur gerade noch hinein, aber Gulag-Romane wie Herta Müllers jüngstes, wohl anrüchiges Buch Atemschaukel, das auf Oskar Pastiors russischen Lagererlebnissen basiert; nein, das habe, so Radischs Radikalinski-Diktum, „sein natürliches Ende gefunden“ und sei nur noch von „peinigender Parfümiertheit“.

Es ist ein weiter Weg der 1953 in Nitzkydorf bei Temeswar (Rumänien) geborenen Herta Müller von ihrem ersten, 1982 bei Kriterion (Bukarest) erschienenen Buch Niederungen bis zu diesem Roman über die Deportation von 80.000 Siebenbürger Sachsen in den stalinschen Gulag. Obwohl es ein mit Literaturpreisen geradezu gepflasterter Weg ist – es vergeht kaum ein Jahr ohne Preis –, verläuft er nicht mit dem literarischen Mainstream.

Asyl in der Sprache

Gleich ihre ersten Erzählungen sind weit mehr als ein Debüt, sie sind gewissermaßen eine frühe Programmatik einer durch das totalitäre Regime Gezeichneten, die Asyl in der Sprache sucht. Das sind nicht einfach Geschichten aus dem Dorfleben, ein Genre, das in den frühen Achtzigern die deutschsprachige Literaturszene aufmischte.

Das dumpfstumpfe Dorf auf dem flachen Land ist nur eine Chiffre für eine Hölle auf Erden, die noch vor allem Politischen einsetzt, in den Grausamkeiten einer Erwachsenenwelt, in diesen gewalttätigen ländlichen Hierarchien, die vor Vorgesetzten, Honoratioren buckelt, die Schwächeren brutal tritt und alles oft beschworene Gemeinschaftliche zerstört.

Das waren keine einfachen Geschichten, denn es geht um in Jahrhunderten gewachsene Gemeinschaften mit komplizierten Traditionen und Praktiken des Überlebens.

Herta Müller setzt das Seziermesser der Poesie an. Südosteuropa ist keine Hochburg des Realismus, dem sozialistischen Realismus wird oft mit Ironie und Groteske begegnet, zudem haben diese Regionen einen originären Surrealismus hervorgebracht, Belgrad und Bukarest waren lange zwei Zentren. Kein Zufall, dass Dichter wie Vasko Popa, Gellu Naum und Oskar Pastior aus diesen Regionen stammen.

Herta Müller entwickelt eine Sprache, die einerseits analytisch, genau und andererseits bildhaft, metaphorisch ist, springend zwischen Knappheit und Fülle. Und: sie hat etwas zu erzählen, weit über „das Milieu“ hinaus, das, gleichgültig ob Dorf oder Stadt, die Grundfragen der Existenz berührt. Die Diktatur ist im Dorf begründet.

Diktatur im Dorf

Das kann ein rumänisches sein, auch ein ungarisches. Hier ist es der „moderne“, in die Mechanismen und Rituale seiner Unterdrückung sich einfindende deutsche Siedler, nahezu unfähig zu Protest und Widerstand. Das ist es wahrscheinlich, was, ausgedrückt mit ihrem wunderbaren Sprachvermögen, viele Leserinnen und Leser so sehr berührt und andere auch zu Einspruch und Widerspruch reizt.

Denn vielleicht hat der langsame, „hinterwäldlerische“ Osten dem Westen literarisch eine Kleinigkeit voraus, die nicht unwichtig ist. Ob Surrealismus der Dreißiger oder Postmoderne der Sechziger, nie geht es nur um eine Form, fast immer dient die Form einer Botschaft, der es um alles geht: „Man kann sich nicht schützen, weder durchs Schweigen noch durchs Erzählen.“

Herta Müller wird in der Folge ihr „Menschenthema“ weiter entfalten. Sie macht auch witzige und humorvolle Bücher, die mit surrealen Collagetechniken spielen, freilich nicht um des Witzes willen, denn immer hat der Humor seine Abgründe.

Ihr literarischer Hauptstrang bleibt die Conditio humana, wobei die eindringlichen Prägungen ihrer Kindheit und Jugend wesentliche Triebkraft ihres Schreibens sind: Dorf, Ceausescu-Diktatur, totalitäre Unterdrückung. Ihre Hartnäckigkeit hat manchen im Literaturbetrieb schon zum ärgerlichen Ratschlag des „Themawechsels“ provoziert.

In den Tübinger Poetikvorlesungen, einem Essayband mit autobiografischem Hintergrund (Der König verneigt sich und tötet, 2003), vom „bürgerlichen Lager“, jedenfalls von der FAZ-Kritik, mit einigem Widerwillen registriert („larmoyante Geschmackslosigkeit...“), erklärt sie die enge Verbindung vom existenziellen Thema und adäquater Sprache sehr eindringlich. Da ist diese Angst vor dem König. „Das Wort ‚König‛ klingt weich.“

Jenseits der Moden

Sie führt vom Schachkönig des Großvaters über den „Blechkönig“ des Wetterhahns, den „Fleischkönig“, ein im Traum gekröntes Huhn, den Dorfkönig als Trinker bis hin zum Stadtkönig als Spitzel. Noch aus machtlosen Dingen verbreitet eine Machtfigur im Überwachungsstaat einen Schrecken, sie schneidet das Wort „König“ aus, ersetzt es durch „Herztier“ – im scheinbar Normalen liegt das Bedrohliche.

Diese Erfahrung mit der Diktatur veranlasst sie zu einer genauen Prüfung ihrer sprachlichen Mittel. Das ist schon etwas anderes als das mittelmäßige Gesprudel mittelmäßiger, um schnelle mediale Aufmerksamkeit ringender AutorInnen mit geringer Lebens- und Welterfahrung.

Will man erfahren, wie sehr diese Vergangenheit noch präsent ist, wie sehr etwa auch der Bundesnachrichtendienst mit den Ceausescu-Bütteln geflirtet hat, dann ist Herta Müllers Bericht in der Zeit online (28.7.09) aufschlussreich: „Die Securitate ist noch im Dienst“.

In einer Gesellschaft des schnelllebigen Konsums scheint das Aufklärerische nicht mehr hoch im Kurs zu stehen. Doch das Relativieren, das Verniedlichen, das Unkenntlichmachen der Vergangenheit, damit aus der Diktatur ein gemütliches Diktatürchen wird und einige ihre Ruhe haben, gibt es bei Herta Müller nicht.

Das Vermächtnis des 2006 verstorbenen großen Dichters Oskar Pastior im Blick hat sie mit Atemschaukel noch ein Werk nachgelegt, das wieder sehr unterschiedliche Meinungen hervorruft, aber niemanden kalt lassen kann. Wer sonst im deutschen Sprachraum als sie hätte sich dieser Herausforderung stellen können? Wer sonst erzählt so kompromisslos, jenseits von Moden und Zeitgeist? Die Verbrechen des Stalinismus.

Und während sich ein paar Geistesbuchhalter des Feuilletons mit dem Rotstift über unstimmige Metaphern hermachten, entschied das Stockholmer Komitee etwas großzügiger – Gratulation an Herta Müller!

Balduin Winter ist 1946 in der Steiermark/Österreich geboren. Er studierte in Wien und Graz und arbeitete mehrere Jahre im Postdienst in Salzburg. Zahlreiche Auslandsaufenthalte führten ihn auch nach Mitteleuropa. Er veröffentlicht regelmäßig in deutschsprachigen Zeitungen und Zeitschriften. Seit 2001 arbeitet er als Redakteur der Kommune in Frankfurt am Main.

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