Lümmel

WENDE UND WIDERSTAND Österreich hat sich repolitisiert

Zeigefinger, massenweise. Rundherum strafende Mienen böse blickender Eltern, die Politik weicht der Familienmoral. Da kann jeder Trottel seine Drohungen oder Mahnungen ausstoßen oder Regeln für den Alpenpark aufstellen, auch ein wirrer Sloterdijk. Die Ironie der ganzen Sanktionsgeschichte ist nämlich, dass Österreich sich in den letzten beiden Wochen enorm politisiert hat, während die EU-Staaten sich diese Chance weitgehend haben entgehen lassen und familiären Katzenjammer gepflegt haben. Auch im Freitag gab es vergangene Woche Empörung über das "freche Miststück" Haider, na schön, das haben Sozialdemokraten auch drauf, deren Ausländerpolitik längst Haiders Herzerl höher hupfen ließ. Spitzt man Kritik nur auf die Person Haider als "ikonographisches Symbol" zu, kommt zwangsläufig die Tiefenpsychologie ins Spiel, alles wird Familienpolitik: "Die anderen EU-Gesellschaften sind zum Glück ein gutes Stück reifer als die österreichische" schreibt Norbert Mappes-Niediek, das sind also die Eltern, und "nur in einem unreifen Österreich, das ständig von Papi und Mami abgewatscht wird, hat Haider eine Chance". Wenn das wirklich stimmt, musste die Konsequenz heißen: Österreich nicht hauen. Der Autor sieht in der Prügelstrafe die Katharsis gegen die autoritäre Regression. Blanker Katholizismus, denke ich mir, den Teufel mit dem Beelzebub und so weiter. Nichts gegen Sanktionen, aber Argumentationshilfe für die unreifen Bewohner des Alpenparks ist das keine. Dann schon eher die Dolly-Methode: Haider klonen.

Die EU-Großfamilie besinnt sich dunkel einiger Werte und grenzt Haider als "Faschisten" oder Rassisten aus. Den Rassisten kann man durchargumentieren. Aber wie eifrig manche Sozialdemokraten und Linke die braune Keule schwingen, ist schon peinlich und wirkt unreif, denn die politische Argumentation erschöpft sich in drei älteren Zitaten. Das war ja auch über längere Zeit ein Problem der österreichischen Intelligenz, Haider etikettiert, aber nicht ernsthaft seine Politik analysiert zu haben. Die "Wertediskussion" der EU erschöpft sich denn auch in einem familienmoralischen Bannstrahl.

Man muss schon, leider, zur FAZ greifen, in der der Provokateur Robert Menasse zwar mit dem Begriff "Revolution in Österreich" übers Ziel hinaus schießt, aber Grundlegendes über das System darlegt. In Österreich hat eine politische Wende stattgefunden. Das System der Sozialpartnerschaft ist zusammengebrochen, das die Großkoalitionäre SPÖ und ÖVP über Jahrzehnte errichtet haben. Dieses politische Zentrum aus Partei-, Gewerkschafts-, Wirtschafts- und Kammernspitzen hat die gewählten Organe der Demokratie unterlaufen.

Die Kritik an diesem System, einst linke Domäne, hat Haiders FPÖ wachsende Erfolge eingebracht. Die völlige Reformunfähigkeit der SPÖ und ÖVP machte es dem Chef einer autoritären Führerpartei möglich, sich als Demokratiereformer auszugeben. Ende einer Eiszeit? Viele Menschen sehen in der blauschwarzen Koalition nur eine Übergangsregierung. Natürlich wird auch viel gejammert, das ist eine der Obsessionen in diesem Land. Frau Jelineks Katzenjammer in Ehren, der Bärental-Rowdy ist ja wirklich bös zu ihr gewesen. Fragwürdig ist allerdings das Zurückweichen einer Reihe von KünstlerInnen, wozu denn ausgerechnet jetzt ins Exil gehen? Mich erstaunt, dass in diesem seit den achtziger Jahren verschnarchten Land plötzlich lebhafte politische Diskussionen quer durch die Lager geführt werden, dass es täglich zu Aktionen und Demonstrationen kommt, dass die Zeitungen und politischen Magazine starke Auflagensteigerungen zu verzeichnen haben, dass die breite kontroverse Debatte über die EU-Maßnahmen und ihre Legitimität sich in Fluten von Leserbriefen niedergeschlagen hat.

Diese Wende, die vorerst ohne Zweifel eine miserable Regierung ans Ruder gebracht hat, hat in kürzester Zeit eine starke Repolitisierung bewirkt, sie hat sofort ein gesundes demokratisches Wechselspiel zwischen Regierung und Opposition eingeleitet, Präsident Klestil hat gleich zwei Rassisten von der Ministerliste gestrichen, schon am ersten Tag im Parlament gab es einen Misstrauensantrag der Grünen, die in Meinungsumfragen inzwischen auf 15 Prozent geklettert sind. Wie titelte der Freitag in seiner letzten Nummer: "Lümmelrepublik" - Solche Lümmel braucht das Land!

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