Dominik Tatarka? Ivan Strpka? Mila Haugová? Ivan Kadlecík? Pavel Vilikovsky? - Nahezu unbekannt sind diese slowakischen AutorInnen hierzulande. Kein Wunder, Einzelübersetzungen aus der Literatur dieses Landes seit der Wende von 1989 lassen sich an zwei Händen abzählen. Kaum ein Verlag, der sich engagiert: Verlustgeschäft, keine Nachfrage. In der Tat sind die Verkaufszahlen der paar Bücher sehr niedrig, sie erscheinen zudem in Klein- und Kleinstverlagen ohne nennenswerte Werbeetats. In den Medien werden sie sehr selten erwähnt, in den Feuilletons überbieten sich lieber zwanzig Literaturkritiker an Flachgeisterei über den letzten Flachwalser. Geistige Osterweiterung ist nicht angesagt, die Neugier für Literatur von »da drüben
Schichtenverschiebungen
DICHTUNG »DA DRÜBEN« Anmerkungen zur slowakischen Literatur der neunziger Jahre
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n« hält sich in Schengener Grenzen.Dabei ist es nicht so, daß »kleine Literaturen«, also Literaturen kleiner Sprach kreise, von vornherein gegenüber den größeren benachteiligt sind - die Konjunktur der nordischen Literaturen belegt das Gegenteil, allein aus dem kleinen Island sind ver gangenes Jahr über zehn Titel übersetzt worden. Für die Rezeption der Literaturen Ostmittel- und Südosteuropas existieren jedoch einige schwerwiegende historische Hypotheken. Hans-Peter Riese schreibt in der FAZ vom 8.8.98: »Es war nicht - wie das vor allem die Ideologie des Kalten Krieges uns weismachen wollte - der Kommunis mus, der diese Länder von ihren internationalen kulturellen Wurzeln abgetrennt hat, sondern die deutsche Okkupation, unter der in Polen, der Tschechoslowakei, Weißruß land, der Ukraine und den willfährigen Satelliten Ungarn und Rumänien jede Entwick lung gewaltsam unterbrochen worden ist.« Dies umso mehr, als die jüdische Intelligenz, die wesentlichen Anteil sowohl an der Kulturvermittlung in und unter diesen Ländern als auch zum Westen hin hatte, nahezu völlig ausgerottet worden ist. Ein Stück prakti scher Auseinandersetzung mit der deutschen Vergangenheit bestünde also in einem weit entschiedeneren Neu- und Wiederanknüpfen dieser kulturellen Beziehungen, die - trotz Wegfalls des Eisernen Vorhangs - viel zu wünschen übrig lassen.Natürlich hat auch die realsozialistische Kulturpolitik tiefe Spuren in den literari schen Landschaften hinterlassen. In der CSSR zum Beispiel wurden nach 1968 eine Reihe der besten AutorInnen mit menschenverachtenden Maßnahmen ausgegrenzt. In der Folge bildeten sich drei geschlossene Kreise heraus: die offizielle Literatur mit je nach politi scher Großwetterlage unterschiedlich breiten Grauzonen, die buntscheckige Literatur des Dissens und des Undergrounds und die Literatur des Exils, getragen von den beiden Emigrationswellen von 1948 und 1968. Verboten wurden während der »Normalisierung« vorwiegend tschechische AutorInnen, deren Samizdatwerke bald auch im Westen bekannt wurden (Václav Havel, Ivan Klíma, Jírí GrusÂa, Jan Skácel u.v.a.), weniger jedoch slowakische AutorInnen. Im slowakischen Landesteil war die Partei »großzügiger«, die Mehrzahl der AutorInnen konnte in den 70er und 80er Jahren offiziell publizieren, was allerdings nicht ohne Selbstzensur und Meidung gesell schafts kritischer Themen abging. Die wichtigsten Werke dieser Zeit blieben meist in den Schubläden.Die Wende von 1989 führte zu einer Zäsur im Literaturbetrieb - aber nicht unbe dingt zu einer Wende in der Literatur selbst (Peter Zajac), denn noch sind die behar renden Elemente recht stark ausgeprägt. Im Gegensatz zu Tschechien griff in der Slo wakei der Staat immer unverhohlener in den Literaturbetrieb ein, die Meciar-Regierung bediente sich des realsozialistischen Modells. Dafür fand sie in den ehemaligen Staatsdichtern eine Reihe willfähriger Handlanger. Die erwartete Reintegration der drei getrennten Kreise blieb aus, es bildete sich eine neue Spaltung in zwei separate Kommunikationskreise heraus, der der öffentlich publizierten Literatur und der der un abhängigen.Der erste Kreis besteht, so Peter Zajac, »aus dem geschlossenen System der vom Staat unterstützten Autoren«. Die Art dieser Unterstützung ist vielfältig, die Mittel dafür sind erstaunlich hoch. Zentrum dieses Systems ist das staatlich gelenkte Nationale Literaturzentrum mit einer Reihe von Zeitschriften, deren Redaktionen sich aus Mitgliedern des staatstreuen Verein Slowakischer Schriftsteller zusammensetzen. Das Zentrum unterhält das Distributionsnetz Hrebenda, das vorwiegend Werke aus dem Mitgliederkreis des Vereins vertreibt. Vom Kulturminister der Meciar-Regierung Ivan Hudec wurde dieses gut gesponserte Netz ganz offen als »Staatskultur« bezeichnet, die den »Literaturbetrieb koordiniert und steuert« - die Parallelen zur Vergangenheit lie gen auf der Hand, mit dem Unterschied, daß die ideologische Zensur durch die öko nomische ersetzt wird.Demgegenüber hat sich ein Netzwerk von unabhängigen AutorInnen, von Zeit schriften mit kleinen Auflagen (domino fórum, Romboid, RAK), von Kleinverlagen (Archa, modry peter, Kalligramm, LCA Levoca, Koloman Kertész) und Buchhandlungen gebildet. Die Lage dieser Literatur ist äußerst problematisch. Honorare können kaum gezahlt werden, die Kosten werden durch den Verkauf der Bücher nicht gedeckt. Hier sind Sponsoren notwendig, ebenso die Unterstützung durch internationale Stiftun gen und Fonds. Martin M. SÂimecka bemerkt über den alternativen Literaturbetrieb: »Man hat gelernt, verschiedene Aktionen durchzuführen, das literarische Leben ist wie der reicher geworden. Was die Auflagen betrifft, so sind 2000 Exemplare von einem Buch ein Riesenerfolg. Auflagen um 1000 sind üblich.«Neuerdings hofft man durch den Regierungswechsel auf nachhaltige Verände rungen der kulturellen Strukturen. SÂimecka spricht in diesem Zusammenhang sogar von einem »Systemwechsel«, da der gestürzte Meciar die demokratischen Verhältnisse völlig unterhöhlt habe, sodaß die Slowakei erst mit Verspätung zu einem modernen Staatswesen finden kann, das Schluß macht mit der erst von den Kommunisten, dann den Nationalisten betriebenen Anbindung der Kultur. Vertreter der alten »Staatskultur«, zumeist zweit- oder dritt rangige Autoren, hatten mit der Idee einer »Kontinuität der Werte« (P. SÂtevcek) versucht, das alte Wertsystem zu rehabilitieren: Es hätten ja alle »auf die eine oder andere Art« beim sozialistischen Realismus »mitgemacht« (A. Cer venák); es müsse die heutige Pluralität wieder von der »Normalität« ersetzt werden (J. Stevcek), von einer national geprägten Normalität, versteht sich. Der Kulturkampf hatte unter dem Meciar-Regime zuweilen harte Formen angenommen.Nun haben aber erstens nicht alle »mitgemacht«, es gab eine Reihe von Autoren (Tatarka, Kadlecík, Ferk und viele andere), die seit 1968 nicht mehr veröffentlichen durften; und es gab, zweitens, eine neue Generation, die in den achtziger Jahren antrat und sich um den realsozialistischen Kanon nicht mehr scherte, sondern neue Wege in ver schiedenen Sparten der Kunst einschlug. Diesen Generationen übergreifenden, freilich auch hoch individualisierten Kommunikationskreis konnte die »Staatskultur« weder ausschalten noch aus der öffentlichen Debatte ausgrenzen, sodaß die Literatur der neunziger Jahre plural blieb. »Hierbei«, so Peter Zajac, »bildeten sich neue Konfigura tionen ... in der ganzen Literatur heraus, wodurch ihr Wertesystem eine Neuordnung erfuhr«. Die Beurteilung literarischer Texte nicht mehr nach ideologischen, sondern nach ästhetischen Kriterien begann in den Vordergrund zu rücken, wodurch so man cher ehemaliger Staatsdichter in die Namenlosigkeit geschleudert wurde.Man könnte mit Oskár Cepan von einer Verschiebung ganzer Schichtenkomplexe innerhalb des Deckengewölbes der slowakischen Literatur sprechen - allerdings nicht von einer Umbruchszeit. Doch befördert die Dynamik dieser Verschiebungen viel Le senswertes zutage, es gibt einiges zu entdecken - und zu übersetzen, zu verlegen. Mit der neuen Kulturpolitik werden sich die Bedingungen der Literaturproduktion in der Slowakei voraussichtlich verbessern. Offen bleibt nach wie vor das Problem, ob sie es schafft, aus dem Windschatten des »großen Bruders« Tschechien hervorzutreten. Denn eine ihrer alten Hypotheken ist es, lange Zeit im Schatten der Literaturmetropole Prag gestanden zu haben, die früher auch auf slowakische AutorInnen eine mächtige Anziehungskraft ausgeübt hat. Jenseits von Fachkreisen wird sie erst allmählich als eigenständige Literatur wahrgenommen. Ihre Rezeption stößt an vielfältige Grenzen oftmals nichtliterarischer Natur - nicht zuletzt auch an die der westlichen Arroganz.Peter Zajac: Erkenntnis und Behinderung. Skizze über die slowakische Literatur der neunziger Jahre. In: Via Regia. Blätter für internationale kulturelle Kommunikation. Erfurt. Nr. 44/45, 11-12/1996, S. 68ff.Ivan Strpka: Eine Frage der Eierschalen. Aus: Der Krampf der geöffneten Hand und andere Essays. Verlag Archa, Bratislava, 1995. Vorliegende Übersetzung aus dem Slo wakischen von Ursula Macht.Ivan Strpka: Zwischenspiele Puppen (um) einen kopf kürzer. Gedichte. Aus dem Slowakischen von Ursula Macht. Verlag Wilfried M.Bonsack, Berlin 1997.Peter Zajac (Hg.): Wie Laub von einem Baum. 29 Geschichten aus der Slowakei. Mit einem Nachwort von Ute Raßloff. Aus dem Slowakischen von Ursula Macht, Ute Raßloff, Angela Repka, aus dem Ungarischen von Irene Rübberdt. Verlag Gollenstein, Blieskastel 1994.Ursula Macht (Hg.): Blauer Berg mit Höhle. 16 slowakische Dichter des 20.Jahrhunderts. Aus dem Slowakischen von Ursula Macht. Verlag Modry Peter, Levova 1994.Ivan Kadlecík: Das eigene Horrorskop. Rhapsodien und Miniaturen. Ausgewählt und aus dem Slowakischen übersetzt von Renata SakoHoess. Wieser-Verlag, Klagenfurt/Celovec 1995.Mila Haugová: Kahlfrieren. Gedichte. Aus den Slowakischen von Ursula Macht. Verlag Wilfried M. Bonsack, Berlin 1998.
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