Das titelgebende Gedicht des neuen Bandes des serbischen Dichters gehört einem Zyklus an, den Miodrag Pavlovi 1989 fertig gestellt hat. Darin setzt er sich mit den großen Welterklärungen auseinander: Mit den Auffassungen von der Schöpfung, dem Sündenfall und der Strafe, mit dem Kunstwerk als Ersatz für das Menschenopfer, das der erzürnten Gottheit zur Buße gereicht wurde, schließlich mit der Schönheit, die der Künstler in seiner Verwegenheit so erhaben gestaltet, "auf daß sie über der Reue stehe, und über den Menschen".
Der von dem italienischen Maler Perugino so vollkommen gemalten Schönheit geht die Liebe voran, mit aller Leidenschaft. Im Werk des Malers sieht Pavlovi den "Ernst des Hymnus" wirken, der "die Unzucht ersetzt". Weitere Gedichte sind der Sintflut, dem Maler Giorgione, dem Marcusdom, der Santa Maria della Salute in Rom, einem Opferkult in Bombay, dem Tempel von Haggar-Qim und Hieronymus Boschs Jüngstes Gericht ("Moses freut sich an Pharao, Kain umarmt Abel") gewidmet - eine weite Wanderung durch Räume und Zeiten und entlang großer Botschaften. Die Dimensionen verschieben sich erst unmerklich, doch immer merklicher, in der Kunst sieht Pavlovi eine - freilich beschränkte - Möglichkeit, die Gewalttätigkeit zu domestizieren.
In einem Interview erwähnt die serbische Politikwissenschaftlerin Latinka Perovi, dass Pavlovi zu den wenigen Intellektuellen Serbiens zählte, die noch zu Zeiten der Föderation dezidiert erklärten, dass Milosevis Krieg keine Lösung der jugoslawischen Krise sein kann. Und der Zyklus Geschichtslehre, seine "lyrische Prosa" in diesem Band, umschreibt diese Situation in der für den Dichter typischen mythischen Verschlüsselung: "Sie hatten einen Knochen in der Hand, wir einen Stein. Die Frauen holten versteinerte Ohren aus dem Meer, die Männer sammelten Hörner und brachen Zweige. Die Welt der Gegenstände ist längst zu bunt geworden. Gründe für Schlägereien gibt es immer weniger. Aber wir schlugen uns häufiger, und wenn die Schlacht erst einmal in Gange war, konnte sie nicht wieder innehalten. Ich sagte, werfen wir die Sachen auf einen Haufen, damit das Kriegen für immer aufhört. Dann kam und setzte sich auf den Haufen die Flamme und sagte: nehmt mich in die Hand - wer mich hat, wird herrschen über die andern. Und alle zündeten die Zweige an. Und warfen aufeinander den glühend heißen Stein."
Miodrag Pavlovi war schon früh ein "Unangenehmer". Als der Belgrader Medizinstudent kurz hintereinander, 1952 und 1953, zwei Bände mit furiosen Gedichten veröffentlichte, löste er heftige Kontroversen aus. Pavlovis Lyrik fügte sich absolut nicht in die nach dem Sieg der Revolution vorherrschende Unterordnung der Literatur unter den Primat der Politik. Parteiliteraten und Kulturfunktionäre stempelten den Neuankömmling als "modernistisch" ab.
Pavlovis Absage an den sozialistischen Realismus war scharf und eindeutig. Sie wurde, obwohl nicht politisch formuliert, politisch verstanden: Als "Diagramme der Desintegration" bezeichnete ein Kritiker das abweichlerische Werk, das sich den Zuordnungen in die herkömmlichen literarischen Schemata verwehrte. Auch seine Grundthemen schürten Misstrauen. Erinnerung ist eines seiner Schlüsselworte, und sie nimmt sich der Stellung des Menschen in der Geschichte an, ohne sich um offiziöse Interpretationen oder Geschichtslegenden zu scheren. Pavlovi entzog sich völlig jener zeitgenössischen Strömung, die die historischen Ereignisse als Beweis für die Richtigkeit der sozialistischen Geschichtsideologie zusammenfaltet. Der Lyriker Vasko Popa resümierte über die historischen Parabeln seines Kollegen: "In diesen Gedichten verbrennen und vergehen die drei Zeiten, um wenigstens einen Funken an Unvergänglichem herauszuschlagen." Dabei erschloss er immer fernere zeitliche Räume und stieß zum Mythos, der "Erzählung von der ganzen Welt" vor.
Während aber die serbische Staatsführung mit einem historisch unhaltbaren Reichsmythos ihre expansive Strategie rechtfertigte, suchte Pavlovi genau das Gegenteil; sein zentraler Gedanke ist die "Entmythologisierung des Mythos", um an das "Unvergängliche" heranzukommen. Einerseits "ergänzt und korrigiert Pavlovi die gängigen Geschichtsvorstellungen und gelangt so zu einer illusionslosen, oftmals bitteren Bilanz unseres geschichtlichen Seins, zu einer Umwertung der Geschichte" (Reinhard Lauer). Andrerseits arbeitet er sich auf diese Weise zum Essenziellen vor, zu dem, was für die Kontinuität des Menschseins wichtig ist.
Der Band enthält einen Querschnitt aus Pavlovis Lyrik, die frühen Gedichte von 1952 bis 2001, also ein halbes Jahrhundert Schaffen, das unter das Motto einer seiner Verse gestellt werden könnte: "Das Inbild der Schönheit wird Gnosis." Statt des nichts sagenden "Statt-Nachwortes" von Peter Handke (zu Serbien gelingen ihm noch zu den einfachsten Dingen nur Peinlichkeiten) hätte der Verlag besser mehr Auskunft über den bei uns nach wie vor nahezu Unbekannten gegeben.
Miodrag Pavlovi: Einzug in Cremona. Gedichte. Aus dem Serbischen übersetzt von Peter Urban. Mit einem Nachwort von Peter Handke. Suhrkamp-Verlag, Frankfurt am Main 2002, 184 S., 22, 90 EUR
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