Diskussionsrunde: Stand und Zukunftschancen des Printjournalismus

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Im Rahmen der Berliner Stiftungewoche fand am Montag eine Veranstaltung unter dem Titel Wie Stiftungen guten Journalismus stützen statt. Ausgerichtet von der BMW Stiftung Herbert Quandt und Stiftung Wertevolle Zukunft. Eingeladen waren Nikolaus Blome (Bild Hauptstadtredaktion), Bascha Mika (Publizistin), Volker Lilienthal (Universität Hamburg, Rudolf-Augstein-Stiftungsprofessur für Praxis des Qualitätsjournalismus), Leonard Novy (Stiftung Neue Verantwortung) ; moderiert wurde sie von Ralf Müller-Schmid, Redaktionsleiter DRadio Wissen. Es sollte darum gehen, wie Stiftungen „unabhängigen Journalismus in seiner demokratischen und gesellschaftlichen Funktion“ unterstützen. Das spielte allerdings nur relativ am Rande eine Rolle – es ging vor allem um den Stand und die Zukunftschancen des Printjournalismus im Allgemeinen.

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Strukturwandel und Krise in den Printmedien

Zunächst gab es eine Keynote von Lewis A. Friedland, University of Wisconsin-Madison über die (wie bekannt sehr desolate) Situation der Medien in den USA und die Rolle, die Stiftungen dort spielen. Später einigte man sich schnell darauf, dass die Situation dort jedoch eine andere sei, da in den USA die Zivilgesellschaft etwas leistet, was der Staat nicht leistet. Doch auch hierzulande geht es dem Journalismus schlecht, zumindest in der Tendenz. Nicht dass das eine neue Erkenntnis wäre, und so wurde in der ersten Hälfte der Diskussionsrunde über Dinge geredet, die zumindest jede/r Zweite aus dem anwesenden Fachpublikum auch aus dem Stegreif hätte referieren können.

Wenn von einem struktureller Wandel der Medien durch das Internet die Rede war und von fehlenden Bezahlmodellen fürs selbiges, ist wahrscheinlich kaum eine/r der Zuhörer/innen vor Überraschung vom Stuhl gerutscht. Bei Lilienthals Feststellung, das die Journalisten zu schwerfällig seien, sich mit den neuen Medien zu beschäftigen stellte sich die Frage, ob sein freimütiges Bekenntnis, er selbst habe gerade bei einem Seminar zu Online-Recherche noch dazu gelernt unbedingt sein musste. Dass es nur die Printmedien beträfe, wie es insgesamt anklang, ist so nicht ganz richtig, aber da neben zwei Akademikern nur (Ex-)Mitarbeiter/innen von Printmedien anwesend waren kein Wunder, dass diese im Mittelpunkt standen.

Das Prinzip Zeitung unabhängig vom Medium erhalten

Bascha Mika, (die fast ausschließlich aus ihrer Position als Ex-taz-Chefin sprach, und man sich die Frage stellte, warum man nicht gleich die aktuelle, Ines Pohl, eingeladen hatte) ging es darum, „das Prinzip Zeitung zu retten“, egal ob auf Papier oder Online. Wissen statt Information sei hier der Punkt, die Zeitung habe Tiefe, sei ein analytisches Medium, was Fernsehen oder Radio in der Art nicht leisten könnten. Eine Zeitung sei auch eine „Wundertüte“, in der man nicht wie bei Online gezielt nach einem Thema suche, sondern auch zufällig auf Themen stößt. Beim Wechsel zu Online sei die alles entscheidende Frage: Wie bezahlt man vernünftige Recherche, woher das Geld für Reisen?

Volker Lilienthal betonte, dass der Strukturwandel dann keine Katastrophe sei, wenn man “die gute alte journalistische Tugenden” in das neue Medium hinüberretten könne. Es sei eine zivilgesellschaftliche Aufgabe, dass der Journalismus nicht unter die Räder gerät.

Ein Problem sah vor allem Mika im Desinteresse des Publikums, das keine Wertschätzung, d.h. Zahlungsbereitschaft für den Qualitätsjournalismus habe. Man kaufe bei Starbucks ekeligen Kaffee zu überteuerten Preisen, aber ein paar Cent für eine gute Zeitung seien schon zu viel – wo sie von Blome Zustimmung erhielt, dass Zeitungen viel zu billig seien. Mika räumte ein, dass sich Leser schon über die grottenschlechten Regionalblätter beschwerten, aber es müsse eigentlich einen öffentlichen Aufstand geben, der aber ausbleibe. Sie sieht für die Zukunft einen Abschied vom Qualitätsjournalismus bei weiten Teilen der Bevölkerung. Die Frage sei: Für wen machen wir welchen Journalismus. Früher habe die Süddeutsche jeder in der Region gelesen: Bäckersfrau, Kleingärtner, Intellektuelle. Jetzt werden die Zielgruppen immer spezifischer – bestimmte gesellschaftliche Gruppen werden ihre Zeitung halten. Verleger hätten in der Mehrzahl kein Interesse an Qualitätsjournalismus.

Blome wies darauf hin, dass der Scheidepunkt weniger zwischen Boulevard und Qualitätsmedien verliefe, sondern zwischen überregionalen und regionalen Blättern. Letztere würden den nächste Krise nicht überleben, wenn es nicht zu Fusionen komme. Es sei zudem eine Krise des Trägermediums, das durch Herstellungskosten und Vertrieb so teuer sei. Ansonsten sei Journalismus online nicht anders, wenn denn ein brauchbares Bezahlmodell gefunden würde, an das er aber zuversichtlich glaube. Als Beispiel nannte er unter anderem die britische The Times, bei der das schon funktioniere.

Mehr Bürgerbeteiligung durch neue Technologien möglich – und nötig

Bascha Mika beschwert sich, dass der Qualitätsjournalismus teuer für Print produzierte Artikel im Netz „verschleudert“ – was dann allerdings nicht mit dem von Blome mehrfach als Beispiel genannten erfolgreichen Konzept der Zeit zusammenpasst. Diese stellt nicht nur viele Texte ins Netz, sondern produziert extra für dieses. Zudem hat auch als eine der ersten das Bloggerprinzip aufgenommen, für den der Guardian, der jetzt sogar nach dem Digital First-Prinzip arbeitet, als innovativ gelobt wurde.

Das nicht ganz neue, aber immer noch in der frühen Testphase befindliche und keineswegs angekommene Konzept des Mitmachens der verstärkten Leser/innenbeteiligung über Kommentare und Blogs, und auch die Einbindung professionell gemachter Blogs wurde ausgiebiger diskutiert. Lilienthal meinte, dass sich Publikum sich besser einbringen könne und mehrt Dialog stattfände erhöhe den Rechtfertigungsdruck auf die Journalisten, der aber eine Chance zur Optimierung des Angebots erhöhe. Novy sprach an anderer Stelle von „responsive Praktiken“, nicht mehr dem Motto: Ich mache das Blatt, was mir gefällt.

Journalistische Qualität bleibt notwendig

Von journalistischen Laien verfasste Blogs könnten aber die professionelle journalistische Arbeit nicht ersetzen, sondern nur ergänzen, war man sich einig. Bascha Mika meinte zum Zusammendenken von Qualitätsjournalismus und Bürgermedien, dass zum Prinzip Zeitung auch journalistische Standards gehören, auf die die Journalist/innen „gestoßen werden“ können. Blome sprach von einer „intelligenten Art des Weglassen“ im Journalismus – man reduziert das zu Berichtende auf die Kernpunkte und setzt es in einen Kontext. Das Gegenteil sei beim Bürgerjournalismus der Fall: Online gäbe es unendlich viel Platz – und da ließe man sich dann ausführlich aus, und anscheinend gäbe es auch Leute, die unendlich viel Zeit hätten, das auch zu lesen.

Lilienthal hielt dagegen, dass es eben die Blogger/innen seien, die wegließen: Beim ihnen stehe das persönliches Anliegen im Vordergrund, während die gesellschaftlich relevante Ebene wegfiele, wo es Aufgabe der Journalisten sei, das ganze Bild zu liefert. Der Journalismus habe eine vermittelnde Aufgabe, die in Zeiten der Krise bedroht sei. Als Beispiel nannte er, dass der WAZ-Konzern kein Geld mehr für Regionalberichterstattung hätte und so auf die glorreiche Idee gekommen wäre, einfach einen Volontär zur Ratssitzung zu schicken und den Audiomitschnitt online zu stellen.

Als Beispiel dafür, dass professionell gestaltete, über Kleinspenden finanzierte Blogs teilweise schon die Aufgaben der Regionalberichterstattung übernähmen, nannte Novy Regensburg Digital. Er forderte eine Zusammenarbeit mit klassischen Medienhäusern, um so eine gesellschaftliche Anschlussfähigkeit zu erreichen.

Orientierung an Marktwirtschaft oder öffentlich-rechtliche Tageszeitungen?

Jetzt kam man endlich zum Kernpunkt – wie kann die Finanzierung funktionieren, wenn das Geschäftsmodell nicht mehr profitorientiert oder profitabel ist – , nachdem Lilienthal den Moderator mehrfach angegangen war, dass man sich doch bitte am Thema des Abends orientieren solle. Novy fragte, ob der Vorschlag von Habermas, für den er 2007 fast gesteinigt worden ist, öffentlich-rechtliche Zeitungen zu machen, heute wieder diskussionsfähig sei. Blome sagte wenig überraschend: „Eine große GEZ -Gebühr für ARD und ZDF gedruckt will ich nicht.“ Eine Zeitung müsse sich am Markt orientieren, was die Leute wollen. Zeitungen über Parteien zu finanzieren wurde schon probiert - funktioniert nicht, weil das keiner haben will.

Mika konterte: Die taz habe sich zu aller erst an der Politik orientiert, dann am Journalismus und jetzt zum Schluss zumindest auch etwas am Markt. Journalismus darf nicht wie Produktion von Wurst oder Käse sein und die gesellschaftliche Funktion der ökonomischen Ebene total untergeordnet, meinte sie.

Welche Rolle können Stiftungen spielen?

Wie können Stiftungen da helfen? Ohne z.B. auf den Guardian zu schauen, der meines Wissens nach neben dem Verkauf und Werbeanzeigen ausschließlich oder vorrangig aus einer Stiftung finanziert wird, sind sich hier alle einig: Stiftungen können nur in Zeiten des ökonomische Drucks als Hilfe dienen, und zwar bei „technologisch getriebene Innovationsprojekten, nicht zum Bewahren ökonomischer Strukturen“, wie Novy anmerkte. Sie seien „keine karitative Veranstaltung für einen Totkranken“. In den USA kämen nur 0,2 % des gesamten Spendenaufkommens für Journalismus. US-Stiftungen helfen bei Digitalisierung, Recherche Lokaljournalismus, wobei die Orientierung am Gemeinwohl liege. Er wies dabei noch einmal auf den Unterschied zwischen gemeinnützigen / kommerziell orientierten Stiftungen hin.

Als Beispiele, die auch in Deutschland funktionieren könnten nannte er Pro Publica, wo man sich um vernachlässigte Themen kümmert, oder Stateline, wo es um good + bad gouvernance gehe. Bei letzteren kritisierte er, dass deren Artikel zwar kostenlos von anderen Medien übernommen werden dürfen, allerdings nicht redaktionell bearbeitet. Lilienthal sieht Stiftung als wohltätiges Gebilde, das die sich wandelnde Gesellschaft beobachtet und als intervenierender Impulsgeber agiert, der kleine, aber feine Projekte finanziert. Sie können Anschubfinanzierungen leisten für Projekte, die dann in der Marktwirtschaft betsehen müssten. Als Beispiel nannte er das Netzwerk Recherche und den Otto Brenner-Preis, wo Blome lobend zustimmte. Übernahmen könnten sie nicht leisten, da sie lieber ihr Geld in Unis geben, wie z.B. die VW-Stiftung. Lilienthals Professur an der Uni Hamburg wird von der Rudolf-Augstein-Stiftung finanziert.

Parteibhängigkeit und PR vermeiden

Lilienthal meinte, Stiftungen müssen überlegen, wie man Aufmerksamkeit für gute Medieninhalte organisiere, wer sind die Partner seien und wie man Leute erreiche. Als potentielle Probleme bei der Stiftungsförderung sieht er einerseits inhaltlicher Einflussnahme als auch die Orientierung an relevanten Themen. Als negativ-Beispiel nannte er den derzeitigen Boom der Journalistenpreise für alles mögliche – „sogar die Friseurinnung schreibt schon einen aus.“ Damit gleite man in die PR ab.

Zudem muss man sich vor parteipolitischer Orientierung schützen. Auf Blomes provokative Frage: „Würden sie es gut finden, wenn die taz von der Heinrich Böll Stiftung übernommen würde?“ rief Bascha Mika entsetzt: „Um Gottes Willen.“Auch die Genoss/innen dürften sich bei der taz nicht politisch einmischen. Es müsse eine extra Stiftung für die Zeitung geben.

Bei der naiven Frage, ob denn die Bild nicht aus dem erwirtschafteten Überschuss in gemeinnützige journalistische Projekte investieren wolle, musste sogar der sonst so beherrschte Blome etwas kichern. Man investiere schon in Journalismus, aber dann doch lieber im eigenen Blatt – nicht als „Ablass“ an die Öffentlichkeit. Als Beispiel nannte er die Rechercheserie Griechenland, die 40 000 Euro gekostet habe. Jemand merkte dann noch an, was jeder weiß, aber Blome auch nicht sagte: Im Axel Springer-Verlag werden die Profite in das defizitäre „Qualitätsblatt“ Die Welt gesteckt.

Schluss voller offener Fragen

Zum Schluss machte Bascha Mika noch einmal klar, dass die Frage nicht die nach dem Medium sei, sondern die Frage ist die nach Journalismus: Wie kann man den aufklärerischer Gesichtspunkt aufrecht erhalten und ein Publikum finden? Die Frage nach der Funktion in der Demokratie wichtig, Technologie Wurst, das sei die Aufgabe von Anderen, sich darum zu kümmern. Offenbar aus ihrer Sicht auch die nach der Finanzierung. Sie stellt lediglich fest: Guter Journalismus muss erschwinglich bleiben, aber auch Wert haben.

Novy erzählte von Dave Eggers, der in San Francisco teure Zeitungen für Eliten mache und sieht eine Spaltung Info-Elite und die Abgehängten. Es drohe die Krise der öffentlichen Information. Die neue Medienlandschaft im Netz biete viele Bits and Pieces, aber wenig Orientierung, was zu einem Verlust der sozial-integrativen Funktion der Medien führe. Er sehe zwar nicht den Untergang des Abendlandes kommen, aber stehe dem “Netztriumphalismus” ebenso kritisch gegenüber, denn Bürgermedien allein funktionierten auch nicht.

Dann kam man noch mal auf den Trichter, dass das Thema Stiftungen und Journalismus eigentlich gar nicht so neu sei: Bereits 1949 gab es bei der Frankfurter Rundschau Bestrebungen, den Verlag zu einer gemeinnützigen Stiftung zu machen, was aber auf Druck der Amerikaner verhindert wurde. 1973 wurde die gemeinnützige Karl-Gerold-Stiftung gegründet, die seinerzeit 100-prozentige Eigentümerin des Druck- und Verlagshaus Frankfurt wurde, das die FR herausgibt. Seit 2004 hält die Stiftung noch einen Stammkapitalanteil von 10 Prozent.

Kernthema verfehlt und zu hausbacken

In der anschließenden kurzen Diskussion, bei der der Moderator bat, keine „Co-Referate“ zu halten sondern sich kurz zu fassen und Fragen zu stellen, gab es u.a. noch Anregungen zu Förderung von Bürgermedien „als Labor“ und „angewandte Medienkompetenz“, Kritik, dass Crowdfunding (wie so vieles andere zum Kernthema, z.B. die Kulturflatrate oder die Kulturwertmark) nicht besprochen wurde. Ein Besucher merkte an, dass als Bezahlmodell auch Online nur ein „Bouquet“ aus Meldungen, Hintergründe etc. funktionieren könne, als Gesamtpaket und nicht einzelne Artikel – wozu Blome und Mika nickten. Mika wies in diesem Zusammenhang noch einmal auf die gestaffelten Abopreise der taz hin. Lilienthal meinte, es würde auf eine Mischkalkulation Boulevard / Qualitätsjournalismus hinauslaufen, wie er einerseits bei den Öffentlich-rechtlichen, aber auch beim Springer-Verlag zu finden sei.

Alles in allem wurde neben dem verfehlten Thema auf der Veranstaltung zu viel Altbekanntes wiedergegeben, und viel Neues und Interessantes weggelassen. Bei mir meldete sich die Erkenntnis zurück, dass es das Beste wäre, mit fitten, jüngeren, weniger eingefahrenen Kolleg/innen neue Projekte aufzuziehen, anstatt sein Glück bei den etablierten zu versuchen und frustriert zu scheitern. Solche innovativen Projekte wären doch im Sinne von Stiftungen förderungswürdig.

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Popkontext

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