Gil Scott-Heron Autobiografie The Last Holiday

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Am Montag erschien postum die Autobiografie des US-amerikansichen Musikers Gil Scott-Heron The Last Holiday – nicht zufällig am Martin Luther King-Day, der seit 1986 in den USA als Feiertag zu Ehren der Bürgerrechtsbewegung begangen wird. Der im Mai diesen Jahres verstorbene Scott-Heron gehört nicht nur als einer der wichtigsten, sondern auch der explizit politischsten afroamerikanischen Musikern und Poeten der letzten 50 Jahre zu den Vorkämpfern dieser Ehrung.


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Cover

Der hart erkämpfte Feiertag für die Afroamerikaner und ihre Bürgerrechte war Scott-Heron sogar so wichtig, dass er ihn als Titel für seine Memoiren verwandt hat. Seine Erinnerungen an die Tour mit Stevie Wonder, der ihn 1980 einlud, mit ihm bei Konzerten 41 US-amerikanischen Städten für diesen Feiertag zu werben, sind der Ausgangspunkt, von der aus er seine eigene, exemplarische Geschichte erzählt.

Aus zerütteten Familenverhälnissen stammend, wuchs er in den 50ern zunächst bei seiner Großmutter in den ländlichen Südstaaten auf, in denen der Rassimus noch offenkundig ausgeprägt war. Als eins von drei nichtweißen Kinder wurde er im Zuge der Versuche, die Gleichberechtigung der afroamerikanischen Bevölkerung zu erreichen in eine Grundschule in Jackson, Tennessee geschickt. Als er es dort nicht mehr aushielt, holte ihn seine Mutter in die New Yorker Bronx, wo sie als Bibliothekarin arbeitete. An der High School kam er zum ersten mal mit dem Werk des Harlem-Renaissance-Poeten Langston Hughes, der Beatpoeten, unter ihnen der von der aufkommenden Bürgerrechtsbewegung beeinflusste Afroamerikaner LeRoi Jones, in Berührung.

Am Lincoln-College in Oxford, Pennsylvania lernte er den Musiker Brian Jackson kennen, der über lange Jahre sein künstlerischer Partner werden sollte. Wegen der Arbeiten an seinem Debütroman The Vulture, den er 1970 erfolgreich veröffentlichte, verließ das College nach einem guten Jahr wieder. Der Jazz-Produzenten Bob Thiele ermöglichte ihm erste Plattenaufnahmen mit hochkarätigen Musikern wie Ron Carter und Charlie Saunders. Auf seinem Debüt Small Talk at 125th & Lenox Ave. (1970) rezitierte er Texte aus seinem gleichnamigen Gedichtband und entwickelte dabei seinen charakteristischen Stil, die vom Zeitgeist geprägten oft sozialkritischen und politischen Texte als spoken word-Performance über einen rhythmischen Klangteppich zu “rappen”, wie es auf ähnliche Art auch seine Zeitgenossen und Brüder im Geiste, The Last Poetes, taten.

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Gil Scott-Heron auf seiner letzten Europa-Tournee in Berlin

Nach mehreren Labelwechseln kam er 1975 zu Arista, wo er zehn Jahr blieb. Dort legte man mehr Wert auf kommerziellen Erfolg, und mit den Singles Johannesburg und The Bottle kam er in den R&B-Charts. Er wandte sich auf seinen Alben auch gegen die Atomindustrie (u.a. We Almost Lost Detroit) und später gegen die die Politik Ronald Reagans (u.a. B-Movie). Seit Mitte der 80er hatte er zunächst kein Label mehr, sondern zehrte auf Touren von der Retrowelle und dem frischen Interesse aus der neuen HipHop-Szene, die ihn als einen ihrer Väter feierte.

Nachdem er 1994 mit dem Album Spirits , indem er sich u.a. in Message to the Messengers an seine jungen Kollegen wandte und sie aufforderte, soziale Verantwortung zu übernehmen, noch einmal einen Erfolg feiern konnte und mit Now & Then 2001 seinen letzten Gedichtband veröffentlichte, wanderte er im neuen Jahrtausend mehrfach wegen illegalen Drogenbesitzes ins Gefängnis. Bereits seit Anfang der 90er hatte sich seine Kokainabhängigkeit auch in seinem Auftreten manifestiert.

Als Richard Russell, Inhaber des britischen Labels XL-Recordings, 2010 mit ihm sein letztes, wieder hochgefeiertes Album I’m New Here produzierte, wirkte Scott-Heron mit seinen kaum 60 Jahren schon wie der weise Alte, mehr Geist als Körper. Doch da dieses fragile Geschöpf mit Hilfe seiner Jünger noch so ein kraftvolles Werk geschaffen hatte, wollte man an einen guten Ausgang hoffen. Nach einer letzten Tour auch durch Europa verstarb Scott-Heron am Tag seiner Rückkehr vom Alten Kontinent jedoch im 27. Mai 2011 in seiner Heimatstadt New York.

Glücklicher Weise hat er es vor seinem Tode noch geschafft, sein künstlerisches und politisches Vermächtnis in eigenen Worten, in der ihm eigenen mächtigen Sprache aufzuschreiben. Es wird wenig Privates zu erwarten sein, dafür ein Rückblick auf 60 Jahre Zeit- und Musikgeschichte aus der persönlichen Sicht eines ihrer wichtigen Protagonisten – einem außergewöhnlichen Menschen mit Geist, Seele, Haltung und Charakter.

Exklusive Video-Interviews mit Gil Scott-Heron vom Canongate-Verlag (English)
Mehr zum Buch beim Verlag (English)
Exzerpte aus dem Buch: Audio / Über John Lennon (English)

Originaltext bei Popkontext.de

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