Harry Belafonte Autobiografie My Song

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Harry Belafonte, der vor einigen Tagen seinen 85. Geburtstag feierte, kann auf ein ereignisreiches und erfülltes Leben zurückblicken. Er erlebte fast ein Jahrhundert voller sozialer, politischer und kultureller Umbrüche, vom zweiten Weltkrieg über die Bürgerrechtsbewegung bis zur Wahl Obamas – und gestaltetes es mit. Er war Calypso-König (auch wenn er eigentlich Mento sang) und Folksänger, prominenter linker Aktivist und ebenso gefeierter Star in Las Vegas. Ganz nebenbei frönte er seiner ersten Leidenschaft, der Schauspielerei. All das schildert er nun in einer Autobiografie.

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Cover der deutschen Ausgabe

Geboren wurde Belafonte unter armen Verhältnissen in Harlem. Seine Mutter war Putzfrau, sein Vater Schiffskoch bei der Royal Navy. Der Vater trank und misshandelte die Mutter. Diese schleppte ihn, um dem häuslichen Chaos auf ein paar Quadratmetern zu entfliehen. nicht nur regelmäßig zur katholischen Messe, sondern danach auch in das berühmte Apollo Theatre, was für ihn die „Kathedrale der Spiritualität“ war. 1936 schickte die Mutter Harry und ihren Bruder zu seiner geliebten Großmutter in Jamaika. Diese war weiß und aus der Mittelschicht, so dass Belafonte nach seiner Aussage hier lernte, sich zwischen verschiedenen Ethnien und Klassen unbefangen zu bewegen. Bald jedoch wurde er in ein Internat gesteckt, was sein Verhältnis zu seiner Mutter zerstörte und ihm zudem klar machte, dass er sich nur auf sich selbst verlassen kann, wie Belafonte schreibt. Wieder in New York, verließ er die High School frühzeitig, diente er noch kurz bei der Marine im zweiten Weltkrieg und wurde dann Hilfhausmeister. Von eine seiner Kundinnen, einer Schauspielerin am American Negro Theatre, bekam er als Dankeschön zwei Theaterkarten geschenkt – und er verliebte sich in die Bühne. Mit seinem ebenso armen Freund Sidney Poitier soll er sich eine Theaterkarte geteilt haben, wo sie sich abwechselnd die Akte ansahen und in den Pausen dem anderen berichteten, wie es weiter gegangen ist. Zudem begann er selbst in der Company zu spielen

Er nahm Schauspielunterricht an der renommierten New Yorker New School, andere Kursteilnehmer waren u.a. Tony Curtis, Walter Matthau, Bea Arthur, Elaine Stritch, Wally Cox, Rod Steiger und Marlon Brando. Letzteren nahm Belafonte oft mit zu Veranstaltungen in Harlem, weil er bisher „nie einen weißen Menschen getroffen hatte, der sich so sehr für schwarze Kultur interessiert.“ Um die Schauspiel-Stunden zu bezahlen, begann er öffentlich als Sänger aufzutreten. Seinen ersten Gig bekam er, weil ihn jemand als Schauspieler gesehen hatte. Für damals recht stattliche 70 $ die Woche sang er Standards wie Pennies From Heaven, Stardust und Skylark, und wurde von niemand geringerem begleitet als Charlie Parker, Max Roach und ein paar anderen B-Bop-Größen, die dem jungen Kollegen einen Gefallen tun wollten.

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Harry Belafonte 1954 / Quelle: Wikipedia

Belafonte wurde nicht nur durch die Unterstützung seiner Musikerkollegen schnell bekannt – war bei den Weißen auch beliebt, weil er zwar „afrikanisch“ wirkte, aber noch „weiß“ genug war, um ihnen keine Angst zu machen. Hier und in vielen späteren Situationen haderte Belafonte mit seinen Rollen und Zuschreibungen von Außen: Er war kein Onkel Tom und wurde vom weißen Publikum doch so gesehen, er war weder Südstaatler, und sang doch ihre Songs, er war kein Calypso-Sänger und wurde doch dessen König genannt, er war nicht mal ein „richtiger“ Afroamerikaner oder ein „richtiger“ Jamaikaner. Er war ein Schauspieler, der Songs vortrug.

Im berühmten Café Society spielte er bald für königliche 350 $ die Woche, und trat drei Monate im legendären Jazzclub The Village Vanguard auf. Unter dem Einfluss seines Mentors, dem Konzertsänger Paul Robeson, und dem Folksänger Pete Seeger, den er in Greenwich Village kennen lernte, entwickelte Belafonte bald ein starkes Interesse an den Folkaufnahmen der Library of Congress, wo nicht nur US-Folk afrikanischer und europäischer Tradition veröffentlicht wurde, sondern auch traditionelle Musik aus der Karibik. Gleichzeitig entwickelte er ein starkes politisches Interesse. Robeson, der der Kommunistischen Partei nahe stand, setzte sich sowohl für die Bürgerrecht der Schwarzen in den USA ein, als auch für die Befreiung Afrikas von der Kolonialherrschaft. Beide Themen sollten Belafontes Leben bestimmen.

1952 bekam er einen Plattenvertrag bei RCA Victor, ebenso einen Filmvertrag für den MGM-Film Bright Road, und gab sein Debüt im Thunderbird in Las Vegas. Ein Jahr später nahm er die Single Matilda auf, die zu seinem Markenzeichen werden sollte und die er in fast jeder Show, die er spielte, sang. Fast wäre seine steil gestartete Karriere noch gescheitert, als er sich im Zuge der McCarthy-Kommunistenhatz zu seinen politischen Überzeugungen äußern sollte. Aber seine informelle Befragung reichte trotz offensichtlicher Verbindung zu linkem Gedankengut offenbar, um nicht auf der Schwarzen Liste zu landen. Zudem hatte er in diesem Jahr mit der Hauptrolle in dem Film Carmen Jones auch seinen künstlerischen Durchbruch als Schauspieler. Sein Album Calypso von 1956 war so erfolgreich, dass es als erstes in der Musikgeschichte überhaupt eine Million Exemplare verkaufte. Es löste eine „Calypso“-Welle aus, auch wenn die Musik, derer sich Belafonte bediente eher am jamaikanischen Mento orientierte, einer Vorform von Ska und Reggae, die auch den Calypso auf Trinidad und Tobago beeinflusste.

1959 bekam er eine eigene Fernsehsendung, Tonight With Belafonte, in der er sein eigenes breites Repertoire vorstellte und auch andere Künstler/innen einlud. 1961 trat er bei der Feier zur Amtseinführung von John F. Kennedy auf. Auch wenn die British Invasion 1964 das Showgeschäft veränderten und Belafonte auch nach einer Stimmbandoperationen Probleme hatte, wurde er in den 60ern zu einer Institution, der wieder andere Künstler/innen einem breiten US-amerikanischen Publikum vorstellte, von Miriam Makeba über Nana Mouskouri bis zu einem jungen Bob Dylan, der auf einem Belafonte-Abum sein Platten-Debüt gab.

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Mit Sidney Poitier und Charlton Heston beim March on Washington 1969 / Quelle: Wikipedia

Währenddessen engagierte er sich in Zusammenarbeit mit anderen Künstlerkolleg/innen für die Gleichberechtigung der Afroamerikaner. Er gehörte seit Mitte der 50er zu den Vertrauten von Martin Luther King Jr., den er auch finanziell unterstützte, nahm 1963 an seiner Seite am March on Washington und vielen anderen Veranstaltungen der Civil Rights Movement teil. Er kämpfte ebenfalls gegen die Apartheid in Südafrika. So nahm er mit der Exilantin Makeba das Album An Evening with Belafonte/Makeba auf und unterstützte den jungen Hugh Masekela. Er verhalf auch diversen anderen aufstrebenden Künstler/innen zu Plattenverträgen und Jobs.

In den 70er nahm das Interesse an Belafontes Musik in seiner Heimat ab und er verlor seinen Plattenvertrag mit RCA. Dafür tourte er in der gesamten Welt und war als politischer Aktivist auch in den sozialistischen Ländern beliebt – so trat er in der DDR beim Festival des Politischen Liedes auf und auf Kuba. Nachdem er in den 60ern seine Filmkarriere zurückgestellt hatte, weil er mit den Rollen, die für ihn als Schwarzen angeboten wurden unzufrieden war, drehte er Anfang der 70er wieder zwei Filme. 1984 war er maßgeblich an dem Hip-Hop-Film Beat Street beteiligt. Später setzte er sich auch erfolgreich persönlich bei Fidel Castro für die kubanischen Rapper und ihre Kultur ein.

Sein Engagment für USA for Africa brachte ihm musikalisch auch zu Hause wieder neues Interesse ein. Mit Paradise in Gazankulu, das sich gegen die Apartheid in Südafrika wandte, nahm er zum ersten Mal seit zehn Jahren wieder eigene Songs auf, und er wurde zum UNICEF Goodwill Ambassador. 1997 veröffentlichte Island Records An Evening with Harry Belafonte and Friends, den Soundtrack eines Fernsehkonzerts. 2001 veröffentlichte RCA die Anthologie The Long Road to Freedom, mit afroamerikanischen Künstlern aus den 60er und 70ern, wo auch Belafonte vertreten war. Nach einer ausführlichen Europatour und einem letzten Auftritt 2003 zog sich Belafonte aufgrund einer Erkrankung von der Bühne zurück. 2011 wurde im Film Sing Your Song Belafontes Werk gefeiert, besonders sein politischer Aktivismus, der vielen Fans der fröhlich-sonnigen Karibiksongs weniger bekannt war. Im selben Jahr erschien auch seine Autobiografie, die er gemeinsam mit dem Journalisten Michael Shnayerson verfasst hat und die nun auch auf deutsch vorliegt.

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Vor der Lesung in Berlin - Foto: Barbara Muerdter / Popkontext

Neben Geschichten zu seiner Musikkarriere und seinem politischen Aktivismus schreibt Belafonte über sein persönliches Befinden, wie er bestimmte Erlebnisse für sich verarbeitete, auch weniger vorteilhafte Dinge wie seine Spielsucht, der er im Kontrast zu dem Kämpfen der Civil Rights Movement in den elitären Casinos frönte, und kurzfristige Liebesabenteuer neben drei Ehen, aber auch obskure Erlebnisse im Showbusiness und persönliche Betrachtungen bekannter Persönlichkeiten von Sidney Poitier, Eleanor Roosevelt, James Baldwin, Bob Dylan, Fidel Castro, Miriam Makeba bis zu Frank Sinatra.

Harry Belafonte, Michael Shnayerson: My Song / Die Autobiographie, Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln, ISBN: 978-3-462-04408-9, Erscheinungsdatum: 12. März 2012, 656 Seiten, gebunden

Live (Lesung):
Theater am Tanzbrunnen
Rheinparkweg 1, Köln
28.03.2012 | 20:00 Uhr

Rolf-Liebermann-Studio
Oberstraße 120, Hamburg
30.03.2012 | 19:30 Uhr

Volksbühne am Rosa Luxemburg Platz
Linienstr. 227, Berlin
01.04.2012 | 11:00 Uhr

Update: Fotos hier und hier.

Originaltext bei Popkontext.de






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Geschrieben von

Popkontext

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