Sparromania – Retrospektive des King of Calypso Mighty Sparrow

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Strut Records veröffentlichte vor einigen Tagen eine die Jahre 1962-1974 umfassende Retrospektive des Calypso-Stars, der seit 60 Jahren auf der Bühne steht und rund 300 Alben veröffentlicht hat: Noch im vergangenen Jahr war der angetagte, aber noch agile Herr auf Tour durch die USA, wo er, soweit es die morschen Knochen noch erlauben, seinem Namen gerecht wird: “Mighty Sparrow”, der mächtige Spatz, wurde er Ende der 40er Anfang der 50er zu Beginn seiner Karriere genannt, weil er anders als bis dato üblich beim Singen seiner Lieder wild herumsprang und tanzte.

http://www.popkontext.de/wp-content/uploads/2012/01/STRUT_Mighty_Sparrow_Sparrowmania_cover.jpg

Cover

Calypso entwickelte sich als hybride lokale Musik, wie Mento (der später zu Ska und Reggae wurde) in Jamaika und Highlife in Westafrika, aus der eng mit der Kolonialgeschichte verbundenen mannigfaltigen Vielfalt der Kultur von Trinidad und Tobago, einer karibischen Inselrepublik halb so groß wie Jamaika. Sie entststand im 19. Jahrhundert vor allem aus der Musik der afrikanischen Sklaven und der von der Tradition des von mittelalterlichen Troubadouren bestimmten Karnevals, den die französischen Kolonialherren mitbrachten. Typisch für den Calypso sind neben politischen Kommentaren auch verbale Kämpfe, wie man sie heute aus dem Rap als Dissen kennt. Sie entwickelten sich aus einem physischen Stockkampf, bei dem die Männer, die um den Status kämpften, von Trommeln und Gesang begleitet wurden. Die Kämpfer verlegten sich immer mehr auf die verbale Ebene, sie wurden zu Erzählern, Erziehern, Bewahrern der mündlichen Geschichte und zu Kommentatoren der aktuellen gesellschaftlichen Lage. Ebenso wie im HipHop werden die Texte oft spontan erfunden.

Als Mighty Sparrow, bürgerlich Slinger Francisco, seine Karriere begann, hatte nicht nur die Errichtung einer US-Militärbasis während des II. Weltkriegs und der immer bedeutender werdende Export von Öl das Leben auf der Insel stark verändert, sondern sich auch der Calypso selbst. Er hatte sich in den vergangenen Jahrzehnten zur Quelle für Neuigkeiten entwickelt, die von Vielen als die verlässlichste angesehen wurde und auch in Mittelklasse und Oberschicht diskutiert wurde. Da dabei auch die politische Korruption ins Visier geriet, hielt die britische Kolonialmacht, die noch bis 1958 die Geschicke des Landes direkt bestimmte, die Polizei zur Zensur an. So begannen sich die Musiker ein wenig indirekter auszudrücken und mit (immer noch recht offenkundigen) Anspielungen zu arbeiten, sei es Politik oder Sex – aus England und Trinidad wurden Hitlerdeutschland und Polen, aus dem Penis wurde der Bambusstab.






Da sich Calypso-Musik auch bei den US-amerikanischen Plattenfirmen zu einem lukrativen Geschäft entwicklt hatte, wurden seine vorlauten Texte als Vorwand benutzt, um Konkurrenz auszuschalten – so mussten sowohl Decca als auch RCA bereits gepresste Platten kurzerhand im Meer entsorgen. Die Musik war durch frühe Stars wie Wilmoth Houdini, Lord Kitchener, Lord Melody und Lord Invader bekannt geworden, die nach New York gegangen waren. Sie wurde auch durch die so genannten Panmen bekannt, die die US-Soldaten unterhielten, indem sie auf ausgedienten Ölfässern spielten (und denen ebenfalls ein schräger Lebensstil nachgesagt wurde). 1944 hatten die Andrew Sisters mit Lord Invaders Rum and Coca Cola einen Riesenhit – ohne ihn zunächst als Autor anzugeben, und ohne dass sich jemand an dem sozialkritischen Text des Unterhaltungssongs, der Prostitution als Folgen der US-Präsenz in Trinidad beschreibt, gestört hätte.

Mighty Sparrow wurde schnell zu Star der Szene: Mit 20 hatte er seinen ersten Hit Jean And Dinah (über Prostituierte, die nach dem Abzug der US-Soldaten auch für die einheimischen Männer “erschwinglich” werden, weil die ökonomische Grundlage ihres Geschäfts weggebrochen ist). Sein Stil war neben den Vorbildern aus der ersten Generation Calypso-Sänger von US-amerikanischen Barbershop-Quartetten und Jazzmusiker/innen wie Nat King Cole und Ella Fitzgerald, aber auch Frank Sinatra geprägt. Er konnte es sich leisten, aus Protest gegen die geringe Bezahlung für den Hit mehrere Jahre den Karneval zu boykottieren und wurde dabei von etwa der Hälfte seiner Kolleg/innen unterstützt, die er zum Streik aufgefordert hatte. Er gewann andere Wettbewerbe, wurde bekannt und hatte bald darauf einen weiteren Karneval-Hit P.A.Y.E, mit dem er seine Landsleute aufforderte, Steuern zu zahlen. Elf Mal sollte er insgesamt den Titel Calypso Monarch und acht Mal Road March beim Karneval gewinnen – gegen heftige Konkurrenz.






In den USA gab es derweil eine Calypso-Welle, die von Harry Belafontes nach dem Stil benannten Album von 1956 ausgelöst worden war, auf dem er allerdings den jamaikanischen Mento spielte. Das beirrte die Amerikaner aber nicht; die Musik fand teilweise Einzug in die gerade entstehende Szene des Folk-Revivals und der Hollywood-Star Robert Mitchum wusste, was er tat, als er 1957 vor Ort sein erstes Album Calypso – Is Like So aufnahm. Hier coverte er unter anderem Jean and Dinah. Mighty Sparrow kam 1961 – nachdem er schon 1958 einen erfolglosen Versuch unternommen hatte und zunächst mehr Glück in England fand – nach New York, um eine internationale Karriere aufzubauen. Er lernte Harry Belafonte kennen, der einen Song von ihm gecovert hatte und ihm einen Vertrag mit RCA Victorver schaffte.

Mighty Sparrow zog auf die US-amerikanischen Virgin Islands, um von dort aus zum US-Star zu werden. Ende der 70er wurde er auch in Europa und Afrika mit Chartserfolgen und Ehrungen bedacht. Musikalisch hatte er sich von jeher an aktuellen Stilen wie Boogaloo, Soul, Reggae und Latin bedient. Als Ende der 70er Soca, der mehr Einfluss der großen indischstämmigen Community zeigte, den Calypso als populärste Musik den Calypso in Trinidad und Tobago ablöste, schaffte Mighty Sparrow, auch in diesem Stil ein Meister zu sein. Seit Mitte der 80er lebte er wieder in New York, von wo aus er auch Barak Obamas Wahlkampf mit dem Song Barack the Magnificent unterstützte.

Auf dem vorliegende Album wird nun seine kreativste Zeit dokumentiert. Dabei präsentiert er sich als politischer Kommentator zu Themen wie Armut in seinem Heimatland (Ah Diggin’ Horrors), Sklaverei (The Slave) und der Kubakrise (Kennedy And Kruschev). Auf anderen Tracks zeigt er sich als Vorreiter späterer musikalischer Trends, wenn sich z.B. HipHopper auf sein Picong Duel verweisen, wo er sich mit seinem Konkurrenten Lord Melody Beleidigungen austauscht. Mit Songs wie Calypso Boogaloo und Jook For Jook enthält das Album zwei explizite Party-Kracher und mit Try A Little Tenderness von Otis Redding ein Cover, das er mit Byron Lee singt. Zudem gibt es ein paar Live-Tracks aus dem Barbados Hilton Ende der 60er und ein späteren von einem Konzert in Brooklyn, auf denen seine Live-Backing-Band The Troubadours in ihrer besten Phase zum Zuge kommt. Strut will Mighty Sparrow mit dieser Retrospektive auf einen Platz als kulturelle und sozial engagierte Ikone neben Fela Kuti und Miriam Makeba stellen.

Mighty Sparrow: Sparromania – Wit, Wisdom and Soul From the King of Calypso 1963-1974 auf Strut Records

Musik von der Mighty Sparrow-Retrospektive bei Popkontext-Radio

Originaltext auf Popkontext.de

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Popkontext

Journalistin, Bloggerin, DJ, Fotografin - Kultur, Medien, Politik, Sprache // Websites: popkontext.de / wortbetrieb.de

Popkontext

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden