BADENGEHN

Berliner Abende Dada ist lange vorbei. Trotzdem erhielten wir neulich eine Einladung, den Kanzler im Swimmingpool zu besuchen. Er wohne dort. Er würde uns zeigen wie ...

Dada ist lange vorbei. Trotzdem erhielten wir neulich eine Einladung, den Kanzler im Swimmingpool zu besuchen. Er wohne dort. Er würde uns zeigen wie Politik gemacht wird. Eine Anmeldung allerdings sei unbedingt erforderlich.

Wir machten uns auf den Weg. Dieser Sonntag im Frühherbst bot einfach alles. Strahlendes Blau, wärmende Sonne, ein Mittag wie mit gelbem Samt und blauer Seide ausgeschlagen. Nur der Bus fuhr nicht. Denn ganz Neukölln gab sich ein Stelldichein. Auf der Karl-Marx-Straße reihte sich Büdchen an Büdchen. Es dampften die Wurstkessel, es zischten die Chinapfannen, ein wenig leiser als sonst. Unentbehrliches und leicht Verdauliches wurde feilgeboten neben schwer Verweslichem. Mitten auf der Straße drehte sich ein altmodisches Karussell. Kleine Kinder ritten stolz auf prächtig gezäumten Rappen und Schimmeln, eine Kutsche wiegte sanft ihre Mütter und tatsächlich einen Vater, während alle unentwegt im Kreise fuhren, wie die Erde um die Sonne, immer weiter. Es war ein Augenblick zum Träumen. Da marschierte ein kleiner Junge im Stechschritt an mir vorbei. Er hatte einen aufgeblasenen Plastikbaseballschläger mit Streifen und Sternen geschultert. "Soldaten wohnen auf den Kanonen." Hast du das gewusst?

Aber das war davor. Danach kommt jetzt. Warum war früher schöner, aber ist heute besser? Fragen über Fragen, die wir dem Kanzler stellen wollten. Abgebogen und am Heimatmuseum vorbei stracks zur angegebenen Adresse, dem Stadtbad, das die behagliche Muffigkeit längst vergangener Zeiten abstrahlt. Wie kommt´s dazu? Was macht der Dings? Wieso heißt und vor allem: warum fehlt wieder das Geld für dies und das? Und welche Telefonnummer hat der Bundespräsident? Das Kanzleramt ist ein bisschen teurer geworden? Und das Gitter drumherum. Muss wieder ab. Oder Efeu dran. Das kostet extra?

Schon in der Schlange vor dem Kassenhäuschen erfuhr man, der Kanzler ist nicht da. Aber seine Frau. Hoch ging´s die Treppe unter allerlei Wandgemälden, an der Männerankleide vorbei. Wo kleiden die sich aus, erste Frage. Schwülwarme, chlorierte Luft umfing die Gäste. Wir auf der Galerie schauten auf die stille türkisschimmernde Wasseroberfläche, die kein Neuköllner durchprustete und zerplätscherte. Kleine Aufgeblasenheiten in Form von palmenbestandenen Inselchen und durchsichtigen Sesseln schwammen lustig herum. "Welcome to Hawaii!" Am Kopf des Beckens hielten zwei mächtige bronzene Walrösser ihre Stoßzähne übers Wasser. Und gleich daneben, so dekorativ, hatte sich der Staatsminister für Kultur an eine tragende Säule drapiert, rechterhand die Dame seines Herzens. Zwei beleibte Bademeister lehnten überm Geländer und begafften das edle Paar. Wo Scheinwerfer gleißten und ausgesuchte Schulkinder vor den Kameras quirlten, da stand sie. Hoch über dem Becken gab die zarte Blonde mit den großen Zähnen ein Exklusiv-Interview. An mir ging sie vorbei. Frau Schröder-Köpf trug schwarz. Das gepuderte Gesicht schimmerte rosig. Und, ich zog den Bauch ein, wagte kaum zu atmen, denn sie ist dünn, so dünn. Ohne weiteres hätte ich sie von der Galerie pusten können. Wo waren denn die Wächter dieses klapperdürren Leibes?

Unterm rotweiß gestreiften Sonnenschirm nahm sie Platz, auf zierlichem, lakenbehängten Empiresesselchen. Manches Volk umlagerte die Kanzlergattin auf den Stufen. Eine ebenfalls blonde Dame begrüßte das Publikum, sprach innige Wünsche und möge die Gewaltspirale sich nicht weiter aufheizen, und deshalb gibt es naturgemäß keine Musik. Denn wir sind alle New Yorker. Und was sei jetzt wichtiger, als den Kindern zu erklären, wie Politik gemacht wird. Die Kinder am Schwimmbeckenrand spitzten die Ohren, manche kicherten blöd. Wollten die vielleicht gar nicht wissen, wo Frau Posche die Badehose einpackt?

Dann sprach Frau Schröder-Köpf. "Als mein Mann 1998 zum Bundeskanzler gewählt wurde und der Platz in der Küche nicht mal ausgereicht hätte, um Vor- und Nachspeise frisch zu halten", dachten die Freunde ihrer Tochter Klara: "Ein Kanzler ist berühmt und mächtig und wohnt, logo!, in einer Villa mit Pool, wie im Fernsehen". Ja logisch, wo doch sogar Lieschen Müllers Vater bei Obi am Kottbuser Tor einen gekauft hat. Aber Pustekuchen! Stimmte gar nicht. Klaras Mutter erzählte jetzt allen, die es wissen wollten, dass ihr Mann im Swimmingpool wohnt. Und Bundeskanzler ist. Und sie ist seine Frau. Und grausam aber wahr, Politiker sind keine Wohltäter und fahren trotzdem dicke Autos. Und dann blätterte sie um und sagte: Ätsch, stimmt ja gar nicht.

Da weinte unten am Beckenrand ein dicker, unrasierter Mann. Er war gekleidet wie ein Freibeuter auf Landgang und umarmte eine Säule. Mit aus den Gehrockärmeln wuchernden Manschetten wischte er sich Schweiß und Tränen vom Gesicht und gelobte, nie mehr ein Schnittchenjäger zu sein.

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