"Was ist los?" Herr M. schaut verständnislos. Er kann es nicht fassen. Seine ihm höchst amtlich Angetraute erteilt einen abschlägigen Bescheid. Und zwar ihm. "Aber ich habe schon das Superpaar-Sparticket bestellt", sagt er begriffsstutzig. "Du kannst gar nicht nicht fahren!" "Das Superspar-Paarticket?" Hört sie richtig? Im Geist spricht sie einen Fluch, den sie von ihrer polnischen Urgroßmutter geerbt hat. "Du hast es versprochen! Wenn Anna ihr erstes Abendmahl verzehrt, wärst du dabei!" Sie kann sich nicht erinnern. Denn weder substantiell noch, Verzeihung, transsubstantiell sei ihre Anwesenheit vonnöten, gibt sie zurück. Laut gedacht? Nicht einmal aus Versehen kann ihr ein solches Versprechen entschlüpft sein. Jedermann weiß, wie sie Familienfeste hasst. Denn so ein alter Harung, der hat Erfahrung! Oh ja, jeder der sie kennt, weiß, welches Zitat sie als flatternde Fahne vor sich her trägt. "Die Schrecknisse eines Familientisches, wo jedes Glied mit fremden Gedanken beschäftigt sich niedersetzt, ungern hört, in Zerstreuung spricht, muffig schweigt." Danke. Goethe. Dann bemüht sie Karl Kraus: "Das Familienleben ist ein Eingriff ins Privatleben".
Herr M. zürnt zurück: "Familie ist schon schön. Macht aber viel Arbeit." Ist jedoch weit davon entfernt, die Flinte schon ins Korn zu werfen. Wer sonst sollte seine Bananen schälen auf der langen Reise? Und ihm mundgerechte Apfelstückchen aus der Tupperware reichen? Wer ihn ständig aus dem hochkonzentrierten Studium von Manuskripten mit albernem "Kuck mal, Pferde!"-Gerufe reißen? Herr M. atmet tief aus. Na also.
War die Gattin nicht, schließlich und endlich, zu seines Neffen Vollbestallung in einem Lübecker Kirchspiel, nach langem Ringen, doch erschienen? Hatte in Gottes Haus die alten Lieder inbrünstig mitgesungen, vor Tisch mit der knorzigen Tante gescherzt, kreuzfahrende Studienrättin a. D.? Nach Tisch mit den Pubertierenden gekniffelt und Mau-Mau gespielt, dass die Köpfe rauchten, ferner sich über das unglaublich miesepetrige Gruß-Fax vom geschiedenen Vater ereifert und nicht zuletzt den fangfrischen Neuen am Telefon herzlich begrüßt. Danach hatte sie sich schweigend auf ein einsam liegendes Schloss an der Ostsee zurück gezogen.
Auch jetzt entfernt sie sich zunächst aus dem qualmenden Dunstkreis der Empörung. Und denkt. Einerseits hat sie Herrn M. tatsächlich versprochen, in guten wie in schlechten Tagen als seine Frau ihren Mann zu stehn. Das stimmt. Sie grübelt weiter. Andererseits hatte es nicht geheißen: Deine knorzige Tante sei meine knorzige Tante. Mein neurotischer Bruder sei auch dein neurotischer Bruder. Auch der fünfte Gatte einer Schwester, liebe Schwägerin, sei dein Schwager. Und aktuell? Die Abendmahlsdebütantin wünscht sich nicht nur das Lied: "Ich weiß, dass mein Erzeuger lebt." Sie beharrt auf seinem Erscheinen. "Sonst kann mir die ganze Liturgie mal den Buckel runterrutschen." Bravo! So spricht eine echte Konfirmandin. Jedoch die Mutter blicket stumm. Dann spricht sie ein Machtwort. Zum Gottesdienst und auf ein Gläschen Sekt darf der Erzeuger kommen. Abendmahl ja, Festmahl nein!
Herr M. in seinem Kämmerlein zieht währenddessen neue Saiten auf. Er ahnt bereits, dass die Zeichen ungünstig stehen. Und beginnt, sich vor der Niederlage schadlos zu halten. So sieht es leider aus. Von allen Seiten betrachtet. Sie denkt noch immer. Hatte die amtliche Trauformel gelautet: Deine Familie sei meine Familie? Hm. Hatte sie nicht verstanden: Dein Familiensilber sei mein Familiensilber? Und genickt? Sie hört ihren neurotischen Bruder schadenfroh lachen. "Da sausten die Peitschenwinde und haben klumbum klumbum gemacht," singt er lauthals und packt die Koffer für den nächsten Berlinbesuch. Sie vernimmt es. Geht in sich. Liest ihr Horoskop. "Es kann im Job kaum etwas schiefgehen. Dinge, die Sie auf die lange Bank geschoben hatten, können Sie nun in Angriff nehmen." Na also, denkt sie frohgemut. Ich kann ja gar nicht weg. Bei Licht besehn. So, wie meine Aktien stehn. Sie reibt sich die Hände, liest weiter: "Unangenehme Situationen meistern Sie mit viel Geschick. Dezent, aber sicher führen Sie ihr Harmoniebedürfnis." Ein herrlicher Satz und wirklich wahr. Herr M. wird augenblicklich in Kenntnis gesetzt. So hatte er sich allerdings den Ausgang der Debatte nicht vorgestellt. Er schnürt ein Paket. "Meine nassen Fußballsachen bitte gewaschen und zusammengelegt in meinen Schrank." Sie nickt. "Kein Kino. Kein von Kaffeehauslungern unterbrochenes Flanieren an diesem Wochenende. Das wäre ja noch schöner." Jawohl. Sie nickt. "Drei Romane will ich am Montag auf meinem Schreibtisch sehen. Aber mit Punkt und Komma." Jawohl, sie knickst und nickt. Und nickt und knickst. Und knickst und winkt dem grußlos Scheidenden.
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