Herr M. kann es nicht glauben. Wie er sich auch dreht und wendet. Das Kopfkissen neben dem seinen bleibt leer. Herr M. murmelt Traumrestversetztes vor sich hin. Er hört Geklapper. Eiliges Schlagen der Badezimmertüre. Dann wieder Schritte im Flur. Solche, die sich ein bisschen bemühen, leise aufzutreten. Herr M. stützt sich schlaftrunken auf den Ellbogen und schnuppert. Kaffeeduft erreicht sein Gehirn und das eben noch verschlossene Riechorgan. Hm. Was ist heute eigentlich fürn Tag, überlegt er, mühselig die Denkmaschine anratternd. Er sieht auf den schweigenden Wecker. Gott, ist das noch früh!
Aber da fällt´s ihm schon ein. Er wirft seine Decke zurück und schwingt sich über die Bettkante. Reißt die Schlafzimmertür auf und sieht seine Gefährtin, seine Angetraute, seine Bettgenossin, die sich in diesem Augenblick ein Stück Rosinenmandelstuten genießerisch in den Mund schiebt. Er baut sich vor ihr auf. Sie betrachtet ihn freundlich, wie er so dasteht. Sag mal, beginnt Herr M., heute ist doch Sonntag? Mmm, sie nickt bestätigend, kauend, mit vollem Mund. Ja, wie? Herr M. sinkt auf einen Stuhl und betrachtet die Dame seines Herzens begriffsstutzig. Die aber lauscht plötzlich, hebt ihren Finger und sagt: Hörst du das? Die Glocken läuten schon. Ich muss los. Herr M. schärft sein Ohr, lauscht ebenfalls dem Geläute irritiert eine Weile hinterher und fragt: Ja, und? Wohin musst du? Sie, schon halb in der Jacke, halb aus der Wohnung, ruft ihm zu: In die Kirche! Und schließt die Tür mit einem rüden Knall.
Was?, fragt Herr M. konsterniert die zurückbleibende Leere. In die Kirche, sagt er ungläubig vor sich hin. Ist ja der Hammer! Ich dachte, Gott wär´ tot. Um den Schock zu verdauen kehrt er zurück in die Horizontale. Angegriffen schließt er die Augen und schläft wieder ein. Herr M. träumt.
Der Traum führt ihn durch ein mächtiges Tor. Drinnen wölben sich hohe gotische Bögen über ihm. Er war schon einmal hier. Dessen ist er gewiss. Aber wann? Und zu welchem Anlass? Ziellos durchläuft er den weiten Raum. Von Säule zu Säule. Da und dort sieht er kniende Menschen in kerzenbeleuchteten Nischen. Manche umarmen gar eine Säule. Was machen die da? Beten? Indessen findet er eine unscheinbare Pforte, die er ohne Zögern öffnet. Dahinter rollt überraschend eine gläserne Treppe, deren Stufen endlos nach oben steigen. Herr M. weiß Bescheid: Dies ist die Rolltreppe ins Nichts. Er will sie nicht betreten. Aber er muss. Hoch und höher fährt sie mit ihm. Und dann ist er da. Zu seiner übergroßen Verwunderung rollt ihn die Treppe geradewegs in eine Küche. Ein Weißbart in rosa Latzhose mit langen silberschimmernden Locken ist gerade dabei, Kartoffeln zu braten. Er zündet sich eine Zigarette an der Gasflamme an. Dann sieht er Herrn M. nachsichtig lächelnd an. Ich weiß nicht, was du mit ihr gemacht hast. Aber seit sie bei dir da unten wohnt, ist sie nicht mehr dieselbe. Mit seiner Zigarette deutet er auf einen Schaukelstuhl neben dem Herd. Darin kauert seine Frau. Seine Frau! Sie trägt so ein albernes glührot blinkendes Rentiergeweih im Haar, schaut mit stumpfen Augen. Wohin? Unaufhörlich schaukelt sie vor und zurück, vor und zurück. Dabei kommt aus ihrem leicht geöffneten Mund ein ganz leises Murmeln, immerfort und ohne Pause. Speichelblasen tropfen. Herr M. hält seinen Schrecken im Zaum. Was redet sie da bloß? Er versucht seinen Kopf so weit wie möglich in ihre Richtung zu recken. Du sollst, kann er verstehen. Ja, was denn? Scheiße, kann sie nicht lauter...Jetzt flüstert sie: Keinen Göttergatten neben mir....Ich glaub´s ja nicht, sie spricht von mir, meint Herr M. und versucht sich weiter vorzubeugen, um diese für ihn so bedeutsamen Worte von ihren Lippen zu lesen. Da kommt der Bärtige mit der brutzelnden Pfanne. Sie muss was essen, sagt er. Er rührt mit dem Küchenfreund, dass es zischt und spritzt und dampft. Herrn M.s Brille beschlägt. Er rudert mit seinen Armen. Aua! Da hat sich Herr M. furchtbar verbrannt, fährt hoch aus seinen Kissen und fällt zurück. Puh! Wat´n Traum! MannMannMann! Er wischt sich den Schweiß aus dem Gesicht. Aber die Bratkartoffeln, denkt er, haben doch richtig lecker gerochen.
Eben kommt Herr M. pfeifend aus dem Bad, da dreht sich der Schlüssel im Schloss. Na, meine kleine Agnostikerin, mal wieder Sehnsucht nach einem schönen Transzendenzerlebnis gehabt, ruft er spöttisch. Wieviel Hanseln waren denn da, zehn? Fünfzehn, sagt die Göttergattin und wirft die Jacke über den Bügel. Aha, staunt Herr M. Und die Predigt war von einer ungemein intellektuellen und spirituellen Schärfe? Nö, salbadernd, unterfordernd und unentschlossen, konstatiert sie und scheint sich noch zu amüsieren. Irgendwie frech, findet Herr M. und ereifert sich: Aber, entschuldige mal, wieso gehst du überhaupt in die Kirche? Da sieht sie ihn an, wobei ein kleines Lächeln ihre Mundwinkel umspielt: Muss man denn immer alles verstehen?
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