Sie schickten ihm ihre Hausschlüssel und versprachen ihm das Bett anzuwärmen. Er war umschwärmt. Er war ein Star. Wohlwollend betrachtete die Parteispitze die Massenpsychose bei seinen Auftritten und konstatierte: "Der Führer muß Junggeselle bleiben. Dann haben wir die Weiber."
Hitler sei ja wahnsinnig schüchtern gewesen, was Frauen anging und deshalb habe ihm der Reichsbildberichterstatter Heinrich Hoffmann seine junge und zwar achtzehnjährige Bürokraft Eva Braun vorgestellt. Mit dieser Bemerkung verwahrte sich kurz nach Kriegsende die Mutter von Leni Riefenstahl gegen die Behauptung, ihre Tochter sei die Geliebte des Führers gewesen. Eva Braun, nur für wenige Stunden ihres Lebens Frau Hitler, würde sich als große Enttäuschung für die Historiker erweisen, habe angeblich schon Albert Speer prophezeit. Wie schön wäre es gewesen, wenn die Tagebücher der Eva Braun, in denen von orgiastischen Exzessen und Tieropfern die Rede war, sich nicht als abgeschmackte Erfindung von Hitlers Lieblingsbergführer Luis Trenker herausgestellt hätten. Kann die Freundin Adolf Hitlers anders als grundböse und verdorben gewesen sein? Sind die harmlosen Homestories, vom Obersalzberg, die uns Guido Knopp schon stolz gezeigt hat, alles, was bleibt? Eva mit den Zwergschnauzern Stasi und Negus auf der Treppe vor Bergidyll. Eva im geblümten Sommerkleid auf dem Söller sitzend und winkend, Eva, ein Angorakaninchen auf Händen tragend. Und so weiter, und so fort.
"Das Leben mit Eva war einfach. Wir haben den Postbus genommen und gebadet. Hitler war ja nicht da. Wir haben auch kaum über ernsthafte Dinge gesprochen." Das antwortet Frau Weisker, die Cousine von Eva Braun den Spiegel-Journalisten auf die Frage, wie es sich so gelebt habe, da oben im Reich des Führers. Im Sommer 1944, als Eva Brauns Schwester heiratete und den Berghof verließ, lud sie die zwanzigjährige Physikstudentin sich zur Gesellschaft auf den Obersalzberg ein. Nach Jahrzehnte langem Schweigen, fragte Gertraud Weisker die Schriftstellerin Sibylle Knauss, ob sie ihre Geschichte hören möchte. Frau Knauss hörte zu. Und beschloss, inmitten all dieses Erinnerns und Durcharbeitens mit dem Deutschland beschäftigt ist, einen Roman zu schreiben. Es reichte ihr nicht, vom einfachen Leben zu erzählen, vom Badengehn und Elfer-Raus spielen. Vom exzessiven An-, Aus-, und Umziehn des "Gnädigen Fräuleins", das bei den teuersten Schneidern arbeiten ließ und seine Garderobe akribisch katalogisierte. Was ist der Vorteil von einem Roman? Dass Wirklichkeit und Wahrheit ineinander verschwimmen, dass Erfundenes und Realität nicht mehr voneinander zu trennen sind.
Die Autorin widmet ihr Buch "Gertraud Weisker, die den Mut hatte, sich ihrer Vergangenheit zu stellen und den Leserinnen und Lesern, die das Geheimnis der Fiktion kennen und es respektieren." Das klingt nach Metaphysik, einer Wahrheit der Erfindung, der man sich an der Hand der Autorin getrost überlassen soll. Wahr daran ist, dass wir der Ich-Erzählerin nicht alles glauben dürfen, was sie uns mitteilt. Es ist nicht Evas Cousine, die sich endlich die Last von der Seele schafft. Es ist Sibylle Knauss, Professorin für Text und Dramaturgie an der Filmakademie Baden-Württemberg, die sich in Hitlers Wohnzimmer umschaut.
"Später sah ich solche Orte in James-Bond-Filmen", lässt Sibylle Knauss ihre Ich-Erzählerin sagen. "Die Bösen wohnen so. Die erbarmungslosen Mächtigen, die an dem großen Projekt des Untergangs arbeiten. Es war frappierend, wie leicht ich es wiedererkannte." Dr. Nos Wohn-Kernreaktor samt panzerglasgesichertem Haifischzoo, Goldfinger-Fröbes prächtige Ranch, die Ich-Erzählerin Marlene (!) erkennt in den Kinofilmen der Sechziger des Führers unterbunkerte Berghofidylle wieder. Adolf, Dr. No und Goldfinger,das sind die Architekten der Hölle, dämonisiert, trivialisiert und auf Zelluloid gebannt. Wozu noch die ganze quälende Erinnerungsarbeit, wenn wir James Bond haben, fühlt sich die Leserin schon nach den ersten vierzig Seiten bemüßigt zu fragen? Zu Beginn des Romans kehrt die gealterte Cousine zurück auf Hitlers Berg. "Hier ist nichts, behauptet das Nichtvorhandensein von Tafeln, Wegzeigern und anderen Hinweisen. O doch, hier ist etwas, sagen die Spuren, die allzu deutlich von der Anwesenheit zahlreicher Neugieriger zeugen. Hier muss irgendwo etwas sein. Und ich weiß auch, was."
Hier liegen die grundlegenden Schwierigkeiten des Romans. Die Autorin weiß etwas, kündigt eine unbekannte Facette der Geschichte an, die sie jedoch von der ersten Seite an mit altbekannten Bildern illustriert. Wir erkennen die verstaubten Dekorationen zu einem Film, den wir alle schon einmal gesehen haben: Mächtige Bergmassive, schneidige SS-Männer, schwarze Limousinen, winkende junge Frauen, "Töchter einer neuen Zeit, Töchter des Lichts, tüchtig, stark und naturnah." Und mittendrin Eva, die Geliebte des Bösen und ihre sie verehrende Cousine, die brennend daran interessiert ist, das Geheimnis der verbotenen Leidenschaft zum Tyrannen zu ergründen.
Cousine Marlene ist mit den Kenntnissen der Schriftstellerin, samt ihren Fragen ausgestattet, spricht ihre Sätze, vertritt ihre Meinungen und wirkt nie wie eine eigenständige Figur. Ihre Geschichte, die uns interessiert hätte, wird unter Nazi-Glamour begraben. Der dramaturgischen Möglichkeiten zuliebe wird die Sommerfrische in das Jahr 1945 hinein verlängert. Knauss möchte nicht auf das breite Auspinseln des Zusammenbruchs auf dem Obersalzberg verzichten. Daraus kann schließlich noch ein großes Drehbuch werden. Das größte Problem ist aber das der Fiktionalisierung. Sie dient nicht der Verdichtung von Wirklichkeit sondern als Vehikel Knauss'scher Bilderwelten.
Welche neue oder andere Wahrheit kann nur der Roman, könnte uns dieser Roman vermitteln? Doch nicht, dass das Böse banal ist? Dieser Erkenntnis wollte die Schriftstellerin augenscheinlich entraten, indem sie Gertraud Weiskers Geschichte mit ihren sprachgedrechselten Nebelkerzen unkenntlich gemacht und ihr einen Platz am warmen Ofen künftiger Kameradschaftsabende gesichert hat.
Sibylle Knauss: Evas Cousine. Roman. Claassen-Verlag, München 2000, 366 S., 39,90 DM
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