Höher und höher trägt mich die Rolltreppe. Hoch hinauf bis unters Dach der Welt. Eine Erstbesteigung. Hier sprudeln marmorne Brünnlein, darin die Erdkugel rollt. Handgefertigte Palmen spenden Schatten. Ein Gong ertönt, Musik erklingt. "Kaufwiedersehen!" entbietet mir eine frohgemute Männerstimme. Ja, ciao, du schöne Warenwelt! Der nackte Berg ruft mich und sein Prophet. "Himmel, Hölle, Himalaya. Snack und Getränk inklusive."
Ein riesiger Saal öffnet sich. Die Türme der Welt sind an die Wände gepinselt. Gleich neben dem Florentiner Dom, über dem Pantheon vorn links, leuchtet das grüne Licht zum Notausgang. Ein kleines Treppchen, ein hochbeiniges rundes Tischchen, darauf blinkt das Wasser im Glas. Leinwände erheben sich wie Eisflächen zu beiden Seiten. Die Menge drängt herein, Getränk und Snack in der Hand. Unter den Achseln klemmt das signierte Werk. Der Gipfelstürmer eilt die Stufen hoch, sein Multimedia-Geschäft zu betreiben. Herr Messner, ein Schneemensch im kamelhaarfarbenem Jackett, viel Haar im Gesicht und auf dem Kopf, um den Hals eine Kette. Den ganzen Himalaya will er uns einpacken, verspricht er lächelnd durch sein Kopf-Mikro. Höhe und Kälte sollen wir spüren und verinnerlichen. Der ältere Herr mit sich wölbendem Bauch unter grauem Wollpullunder gegen den drohenden Frost, nickt und putzt immer noch emsig an seinem weinbefleckten Buchexemplar Mythos Nanga Parbat - Der Schicksalsberg und sein langer Schatten. Hasserfüllt flüstert er vor sich hin, obwohl das Abenteuer schon begonnen hat.
Ihr herrlichen Berge! Oh, sonnige Höhen! Links leuchten die Gipfelketten vor blitzblauem Himmel. Gebete klappern froststarr im eisigen Wind. Rechts erblicken wir ihn, den Gratwanderer, überlebensgroß. Bereit zur Predigt im Jahr der Berge. Bergkameraden sind wir, ja, aber: "Jeder für sich und der nackte Berg über allen".
Hoch oben im Vinschgau, in einem Bergschlösschen lebt er, der König der Kletterer, einst Hoch-Tief-Bau-Student. Doch von was? Von den Mühen der Ebenen. In Karstadts Dachgarten, hoch über Kreuzberg, führt er uns von der Geislerspitze zur Merkl-Rinne. Er packt die Flachlandindianer, und spricht von Todeszonen, Gletscherbrüchen, von Pfeilern, Kämmen und Biwakmulden. Die Mühen der Ebenen! Was sind sie schon gegen die götterbewohnten Gipfelparadiese, die den Bruder und Zehen, sieben an der Zahl, forderten und bekommen haben. Gespannte Stille. Atemloses Lauschen. Dann und wann tritt ein genagelter Bergschuh scheppernd in den abgestellten Snack-Teller. Gipfelkette um Gipfelkette erhellt den Horizont und verschwindet wieder. Nebenan steht ihr Bezwinger, der Bergmensch, und spricht von Kälte, Einsamkeit und Tod. "In Wellenkämmen wirbelt der Wind Pulverschnee daher, Sturmböen, die wie Lawinen den Berg hinunterrollen. Die Kleider eisstarr, die Gläser der Gletscherbrillen schneeverkrustet, taumeln die Männer über den Firn." Fester umklammern die Finger das Glas. Ehrfürchtig hängen die Augenpaare an Wandstufen und Hängegletschern, an Bergen von ungeheurer Steilheit. Wer muss da hoch? Die Gottsucher, die Menschenfeinde, die mit dem Yeti tanzen?
Mann um Mann bleibt im Berg, bedingungslos dem Nutzlosen ergeben. Abgestürzte, Verschüttete, Höhenkranke, Größenwahnsinnige schworen "Treue bis in den Tod und Seilschaft fürs Leben". Raumgreifende Gesten unterstreichen die Geschichten am Nanga Parbat, dem deutschen Schicksalsberg. "Hart war der Kampf, nahe der ersehnte Gipfel. Schwer ist der Verzicht, bitter die Erkenntnis", konstatierte enttäuscht Willy Merkl, der Jahre später "aufwärtssteigend für immer verschwunden" sein wird. Was zieht sie alle hin? Warum steigt man auf Berge? Weil sie da stehen. Warum stehen sie da? Das Volk sitzt ergriffen und schluckt und versteht: Der Prophet muss zum Berg.
Aber längst besudelt ist der edle Gedanke von der "Eroberung des Nutzlosen" durch den Einsamen. Profitgeile Kletter-Unternehmer haben den gläubigen Gipfelstürmer enteignet. Das Abenteuer ist vorbei. "Im Haufen gehen wir dem Untergang entgegen." Applaus umbraust den Prediger. Bild um Bild ziehen die Opfer des Berges an uns vorüber. Bleiche Schädel aus knallroten Gore-Tex-Kapuzen grinsen uns zu. Fettwachsleichen und Tonnen von Müll bleiben im reinen Eis des K2, eben noch vom Yeti frisch gefeudelt.
Grenzgänger nennt er sich nun. Nicht mehr die Höhen, die Menschen unten am Rand fasst er ins Auge. "Hinaufsteigen um Hinabzusteigen. Weg vom Fluchtpunkt der Eitelkeiten". Jetzt nicken Margariten und Klatschmohn auf blühenden Bergwiesen im Sommerwind. Beschwörend, sich sorgend, spricht er uns an: "Ihr aber, Blinde und Lahme, bleibt zu Haus!". Der Beifall rauscht. Ich seil mich ab.
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