Nackte Zweige grüßen. Wirbelnde Blätter machen ein Geräusch zwischen Rascheln und zartem Kratzen, wenn der Wind sie trocken über den Asphalt treibt. Rußflecken auf den Bürgersteigen zeigen es an: Hier haben magere, schwarzgepuderte Männer Briketts gebuckelt, die teure Winterkohle. Aber es ist noch lange nicht kalt. Die Rosen blühen. Unser Oleander steht in vollem Saft. Zögernd sprechen wir von Spätsommer. Doch es liegen Schatten auf den Sonnenuhren. Und hinter unserem Rücken glühen die Ampeln der Lampionblumen auf. Dann ist er da. Der Frühherbst. Kaum halten wir unsere Nasen in den finsteren Morgen, dunkelt der Abend. Eben haben wir doch noch der Sonne bei der Arbeit zugesehen in den Uferbäumen des Landwehr-Kanals. Vollkommen akkurates Vergoldungsabschnittswerk an den Baumkronen riss uns zu Begeisterungsstürmen hin. Aber schon legt die Dämmerung uns kameradschaftlich ihre rauchzarten Ärmel über die fröstelnden Schultern.
Wir schauen jetzt lieber durch Kaffeehausscheiben und trinken Mirabellenschnaps aus Abfindungsbrennereien. Frau Nix peilt die künftige Lage. Der Herbstkanzler geht. War ja Zeit. Dann noch viel Spaß beim Briefeschreiben, wünscht sie. Was soll´s. Haus hat er. Frau hat er. Hund hat er. Kind hat er. Noch eins hat er. Auch ein bisschen Muße, um mal ein neues Herbstgedicht zu lernen. Und wir warten jetzt auf den großen Kürbis, haucht die Nix. Nein, sage ich kalt und herzlos. Jetzt dräut Lady de Winter. Lächerlich, schnaubt Frau Nix. Hätte sie doch ein Quäntchen von der glanzvollen Spionin des Kardinals! Ist doch bloß ´ne Kanzlerin. Aber, wende ich ein, sie ist demütig und dienstbereit.
Dienstbereit ist heute meine Apotheke, Demut auch nur ein Wort. Schau´ n wir mal, was denn für eins? Frau Nix leckt ihren Finger an und blättert in ihrem Herkunftswörterbuch. Demission, Demographie murmelt sie vor sich hin. "Auf Demokratie", fährt sie fort in ihrer Recherche und lacht, "folgt demolieren, demonstrieren und nun sieh einer an: Hier ist sie schon, die Demut! Hat mal was zu tun gehabt mit Knecht und Sklave. Und wieder lacht die Nix ihr scheppernd lautes Lachen. Welch feingeschmiedetes Collier glänzender Wortsorten! Um des Volkes welkenden Halsansatz, knapp über dem altrosa Pulloverausschnitt, liegt es so hübsch und sehr dekorativ.
Hu! Knechtschaft und Sklaverei! Mich friert. Stelle mir vor, ich werde durch lange Alleen gescheucht. Muss für einen Euro die Blätter zusammenkehren. Mit einem garstig im Ohr tönenden Laubbesen. Und im eisigen Herbstregen dicke Briefe, oh nein, Ikea-Kataloge, austragen. Aber erst mal herrscht Stallpflicht für alle. Die Kuschelsaison hat begonnen. Den Zugvögeln sei Dank, deren Schnattern wir manchmal, verloren in großer Höhe, mehr ahnen als wirklich hören. Wo ist deine Duft-Lampe, törichte Jungfrau? Ein Schiff wird kommen und dann stehst du da. Ohne rauchblaue Fußwärmer, ohne Wohlfühlkissen und sagst verwundert: Hoppla!
"Dieser gräuliche graue November", klage ich und klaube gelbe Pappelblätter vom Pulloverärmel. "Ist denn der harsche Lichtentzug nicht Strafe genug? Schon dreht sich das Erinnerungskarussell, plärrt die melancholische Leier, von Allerheiligen. Allerseelen. Volkstrauertag. Totensonntag. Wozu soll das gut sein?" "Weil die Kerzen nur im Dunkeln so hell flackern", sinniert Frau Nix. "Und nüchtern betrachtet, dass ich nur prämortaler Biomüll bin, daran denke ich im Sommer nie. Wusstest du übrigens, dass Orange praktisch die einzige Farbe ist, die Tote sehen können? Deshalb werde ich mir jetzt eine Salzlichterkette kaufen. Aber auch Thermo-Fleece-Handschuhe und nachschauen, ob´s bei Tchibo schon die Neusser Kuschel-Angie gibt oder den Teddy mit Angie-Perücke! Auf, Serotonine fassen!" befiehlt sie. Wir stürzen zum Real-Markt. Irren herum zwischen mannshoch getürmten Kisten mit Pulsnitzer Lebkuchen, Marzipanbroten, künstlich beschneiten Kugeln und Tannenzapfen aus Schokolade! Wir wühlen in Sternen, Lichterketten und messingnen Stövchen. Unwiderstehlich werden wir angezogen von Bildern mit rotwangig gut gelaunten Menschen in dickfelligen Jacken, die der Kälte trotzen. Was wären wir ohne Tchibo, du Wärmestube des Volkes. In deinen Fenstern schnurrt uns das Behaglichkeitsmaschinchen. Kalte Lichtinseln unter den matt scheinenden Ostfunzeln durchtrotten wir später und schieben die nassen Blätterklumpen mit den Schuhen schlurfend zur Seite. Da gibt´s was zu lesen: Es wird schon wieder!, hat ein mitfühlender Zeitgenosse auf´s Trottoir geschrieben. Haha, seufzt Frau Nix und sieht mich schräg von der Seite an: "Immer schön eine Herbstzeitlosenzwiebel bei sich tragen, wie´s im Hundertjährigen Kalender steht. Dann wirst du frei bleiben von Pest und jeder ansteckenden Krankheit." Sie wühlt grinsend in den Taschen ihres Girls´ Teddy-Fleece-Jäckchens.
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