Bei Hitlers zu Hause

IM KINO "Moloch" von Aleksandr Sokurov führt ins Innere der Macht, das sich als leer erweist

Moloch ist ein merkwürdiger Film. Schon die Inhaltsangabe löst im Grunde zwiespältige Gefühle aus: Ein Tag im Leben von Eva Braun und Adolf Hitler auf dem Obersalzberg. Das könnte auch ein Komödienstoff sein, schließlich sind die Größen der Macht nirgendwo lächerlicher als bei privaten Verrichtungen. Nicht umsonst hat Hitler jede Darstellung seiner selbst durch Schauspieler unterbunden. Ganz im Gegensatz zu Stalin im übrigen. Die Angst, einfach nur als "ein Mann mit einem Schnurrbart" zu erscheinen, hat ersteren offenbar mehr umgetrieben.

Obwohl Moloch also, salopp formuliert, die home story "Bei Hitlers zu Hause" zeigt, ist es doch alles andere als eine Komödie. Was auch nicht anders zu erwarten war, denn Regisseur des Films ist der Russe Aleksandr Sokurov, für vieles, aber nicht gerade für seinen Humor berühmt und mit Preisen bedacht. (Moloch gewann 1999 die Goldene Palme für das beste Drehbuch und wurde zweimal für den Europäischen Filmpreis nominiert.) Sokurov macht sowohl Dokumentar- als auch Spielfilme, und alle seine Filme zeichnen sich dadurch aus, von großer Komplexität und für ein breites Publikum zu schwierig zu sein. Wie kaum ein anderer, erforscht er die Mittel des Kinos, schafft Bilder auf der Leinwand, die man so noch nie gesehen hat. Ohne Ausnahme sind es anstrengende Filme, die ganz unabhängig von ihrer jeweiligen Länge Zeit erfordern, weil sie immer auch von Zeitlichkeit im abstrakten Sinne handeln.

Im Vergleich zu früheren Filmen kommt Moloch auf den ersten Blick fast leicht daher. Denn wenn man sich nicht weiter einlässt auf die besondere Kinosprache Sokurovs, dann springt trotz aller Ernsthaftigkeit der Inszenierung das vordergründig Lächerliche ins Auge. Was an der benannten Fallhöhe liegt, die sich beim Thema "Herrscher privat" ergibt: jede Referenz auf profane Körperlichkeit kratzt an der Aura der Macht und der Geschichte. Ein Hitler mit Verdauungsbeschwerden, der im Sessel einschläft, löst so gesehen ein fast unfreiwilliges Lachen aus. Allerdings eines, das von einer gewissen Hysterie geprägt ist, denn es schließt das Erschrecken über die Größe der Untaten dieser anscheinend so harmlosen Figur mit ein.

Den Film Moloch jedoch auf diese Entlarvungsgeste - große Männer sind privat ganz klein - zu reduzieren, würde bedeuten, Sokurov zu unterschätzen. Auf andere Weise als hierzulande üblich konzentriert er sein Interesse auf die Inszenierung von Macht, auf die Fortsetzung von Ritualen der Politik im Privaten. Von daher rührt die Sorgfalt in der Rekonstruktion des Ortes und der Dialoge, die auf den protokollierten "Tischgesprächen" Hitlers und seiner Gäste basieren. Besonders wichtig war es für Sokurov, dass Hitler und seine Entourage deutsch sprechen - weshalb hier russische Schauspieler mit dem Mund den deutschen Text formen und von namhaften deutschen Schauspielern wie Peter Fitz und Eva Matthes synchronisiert werden. Dieser gewissenhafte Umgang mit den Originalquellen hat auch etwas Unheimliches und in anderem Kontext wäre er vielleicht sogar schon anrüchig. Aber bei Sokurov kommt darin weniger Respekt und schon gar keine Bewunderung für die Gezeigten zum Ausdruck - eher ist es der kalte Blick eines Forschers auf ihm nicht völlig fremde Objekte.

So will es zumindest scheinen. Denn Moloch zeigt den Tag im Sommer '42 auf dem Obersalzberg sozusagen in russifizierter Version, was der dankbare Zuschauer hier als gnadenvollen Schleier der Verfremdung wahrnimmt. In seiner Dramaturgie der Ereignislosigkeit erinnert Moloch nämlich entfernt an ein Tschechow-Stück: Die kleine Gesellschaft (außer den bereits genannten sind das Stellvertreter Boormann, Magda und Josef Goebbels) begrüßt sich mit verhaltenem Frohsinnn bei der Ankunft der Gäste, immer zu einem Scherz bereit, der die über allem lastende düstere Stimmung auflockern soll. Man sammelt sich zum Kaffeetrinken, folgt dann Hitlers Vorschlag "Wir machen alle einen Ausflug!", isst wieder zusammen, es kommt zu einzelnen Begegnungen im nächtlichen Haus. Währenddessen wird geredet, aber nie über allzu Konkretes. Alle buhlen mehr oder weniger um die Gunst des "Führers". So führt Sokurov die faschistische Machtelite als jene "überflüssigen" Menschen vor, wie sie die russische Literatur um 1900 bevölkert haben - belanglos, ungebildet und immer in der falschen Rolle im Leben. Wie in den meisten Inszenierungen von Tschechow heutzutage, hat Sokurov keinerlei Mitleid mit seinen Figuren, sondern setzt sie fast schon erbarmungslos mit ihren Verrenkungen in Szene und den Augen des Zuschauers aus.

Allerdings gilt das nicht für die Hauptfigur in Moloch, Eva Braun. Mehr noch als Mitgefühl, wird ihr hier Respekt erwiesen, sie erscheint als menschlich-positives Gegenstück zu den verbogenen Gestalten. In der starren Künstlichkeit des Obersalzbergs ist sie die Verkörperung der Natürlichkeit, mit anderen Worten: ganz einfach Frau. Unbekleidet tanzt sie auf der Terrasse vor sich hin. Eva Braun liebt ihren Adi, weshalb sie sich auch traut, ihm zu widersprechen und sogar das Wort Auschwitz in den Mund zu nehmen, von dem Adi aber nichts wissen will. Eine selbstlos und unschuldig Liebende, die beständig auf Distanz gehalten wird, da ihre Sehnsucht nach Nähe mit dem Geliebten eine Gefahr darstellt für dessen Aura der Gewalt. Von Sokurov in einer ganz einfachen Szene pointiert dargestellt: Auf der Suche nach ihm stürzt sie ins Badezimmer des "Führers" und schreckt lachend zurück: wie anschließend die Geräusche der Spülung klarmachen, saß Hitler gerade auf der Toilette.

Davor, das alles zu direkt und zu wörtlich zu nehmen, bewahrt einen die Kameraarbeit. Abrupt eingeschobene Weitwinkelobjektive bringen die Bildränder zum Stürzen. Befettete Vorsatzlinsen tauchen das Geschehen in milchiges Unwohlsein, das durch die trüb gehaltenen Farben noch verstärkt wird. Immer wieder wird so daran erinnert, dass man es hier mit gemachten Bildern zu tun hat - nicht mit Dokumentaraufnahmen. Es ist, als ob Sokurov noch die zwiespältige Ausstrahlung des Ortes und seiner Bewohner sichtbar machen wollte.

Dazu gehört auch, dass Sokurov das ständige Beobachtetsein dieser Mächtigen mitinszeniert. Eva Braun winkt in der ersten Szene kokett in die sie beobachtende Linse, während der Kinozuschauer das Scharfstellgeräusch, das sich auf ihren nackten Körper richtet, hört. Der Protokollant, der die Tischgespräche aufzeichnet, darf selbst nie mitessen. Beim Gebirgsausflug sind sie umgeben von den Fernrohrblicken der eigenen Sicherheitsleute. Auch hier gibt es wieder die Urszene des Untertanentraumas: ein junger Soldat wird staunend gewahr, dass er nichts anderes vor Augen hat als Hitler auf dem Abtritt. Es ist ein Knacken und ein verhaltener Laut auf der Tonspur, der einem dieses Staunen vermittelt.

Wie die neugierigen Wächter, will auch der Kinozuschauer etwas entdecken in diesen privilegierten Einblicken in das Private. Doch Sokurov führt einen ins Leere. Das Innere der Macht erweist sich bei ihm als Ort des Nichts, aus dem jede Privatheit ausgetrieben ist und Menschen mit Leichengeruch an den Händen nurmehr wie Hülsen ihrer selbst agieren. Wie gesagt, ein merkwürdiger Film.

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