Der Tod ist sein Behuf

Kino Heiligt das Zitat alle Mittel oder wie lautet das Wort für die Angst des Zuschauers vor zu viel Bedeutung? "Palermo Shooting", der neue Film von Wim Wenders

Dreiundzwanzig Anrufe in Abwesenheit" meldet das Handy, das Kunst- und Modefotograf Finn in Palermo Shooting nur für ein paar Stunden abgeschaltet hat. "Wann war ich eigentlich zum letzten Mal so richtig anwesend?", sinniert seine innere Stimme aus dem Off. Die Sequenz gibt einen wesentlichen Zug der Hauptfigur wieder; sie offenbart aber auch unfreiwillig deutlich die Erzählweise des Filmemachers Wim Wenders. Einerseits gibt es da die nicht unbedingt neue, aber hinreichend nachvollziehbare Erzählung über einen deutschen Erfolgsmenschen um die 40, den plötzlich Alpträume und Todesängste quälen, der daraufhin einen kleinen Ausstieg aus seiner Erfolgsexistenz versucht, ins sizilianische Palermo reist und dort zunächst noch tiefer in die Krise gerät. Und andererseits gibt es da den unbedingten Willen des Regisseurs, seines Zeichens Autorenfilmer, zur Bedeutsamkeit. Dabei ist nicht das, worüber Wenders mit seinem Film nachdenken will, verstiegen, sondern die Art und Weise, in der er es dem Zuschauer vor Augen hält, um die Ohren schlägt, unter die Nase reibt, soll heißen: fast mit Gewalt aufdrängt.

Dabei will Wenders in seinem neuen Film zugleich "leicht" wie nie erscheinen. Keine extralangen Einstellungen, sondern geradezu "flotte" Schnittfolgen und der Einsatz digitaler Tricktechnik geben Palermo Shooting einen Look, der nicht "Wenders-haft" ist. Aber selbst die Leichtigkeit wird als Botschaft inszeniert: "Man soll alles ernst nehmen, außer sich selbst", rät zum Beispiel Udo Samel, als Schafe hütender Banker verkleidet, in einer wundervoll durchkomponierten Aufnahme: links ein Baum, rechts die Schafherde, am Horizont die Industrielandschaft, davor der Mann im Anzug mit durchsichtigem Regencape. Und an anderer Stelle erscheint der leibhaftige Lou Reed als eine Art Geist in einer Bar und fragt den Helden, ob der Tod denn dasjenige sei, was er am meisten fürchtet. "Let us do what you fear most", lautet die dazugehörige Songzeile von Velvet Underground. Nicht nur, dass ein einziger prominenter Einflüsterer völlig ausreichen würde, das Aufeinanderstapeln von Bedeutungsschichten, das Wenders hier betreibt, lässt dem Zuschauer keinen Raum, die Dinge einfach mal auf sich wirken zu lassen.

Selbst die Besetzung ist schon eine Mehrfachcodierung: Tote-Hosen-Sänger Campino, der wie Wenders selbst aus Düsseldorf stammt, spielt den Fotografen Finn. Mit dem ersten Teil von Palermo Shooting, der in und um Düsseldorf spielt, vollziehen also beide eine Rückkehr zu den eigenen Wurzeln. Man muss Campino dabei zugute halten, dass ihm auch ohne großen schauspielerischen Aufwand das Porträt eines rastlosen, von eigenen und fremden Ambitionen gehetzten Mannes gelingt, eines selbstverliebten Jungen mit großer Begabung, aber unterentwickelten sozialen Fähigkeiten. Campinos Finn ist einer, der sich die Welt zur Verfügung hält - heute Düsseldorf, morgen Palermo - und in seinem durchdesignten Büro namenlosen Mitarbeitern ungehalten Anweisungen zur digitalen Bearbeitung seiner Fotografien erteilt, für die er dann als genialer Autor zeichnet.

Eines Nachts kommt ihm auf der Autobahn frontal ein Geisterfahrer entgegen. Der Schreck fährt ihm mächtig in die Glieder. Das Erlebnis ist der Auslöser dafür, dass er ein Shooting spontan aus den modernen Funktionsbauten Düsseldorfs ins pittoreske Palermo verlegt. Und wieder stapelt Wenders die Bedeutungsschichten, als sei ihm eine schlüssige Handlung zu banal: Auf die Idee mit dem Shooting bringt ihn eine hochschwangere Milla Jovovich, die auch noch darauf hinweist, dass in ihrem Bauch neues Leben entsteht, und der Geisterfahrer von der deutschen Autobahn taucht natürlich in Palermo wieder auf, diesmal in Gestalt eines grauen Kapuzenmannes, der sich schlussendlich als personifizierter Tod vorstellt - und von Dennis Hopper gespielt wird.

So geht das in einem fort: Man kann nichts erzählen, ohne dass ein Zuviel an Be- und Andeutung daran klebt. Und während aus dem Off noch die Texte der auserlesenen Popsongs dazukommen, die Finn auf seinem iPod hört, während er durch die Straßen wandert, befindet sich auch in den Bildern immer noch ein Zusatz, wie an der Stelle, als Finn vom Pfeil des Kapuzenmannes getroffen ins Hafenbecken von Palermo fällt - schon vorher wurde klar gestellt, dass er nicht schwimmen kann - und dort im trüben Wasser neben einer alten Schreibmaschine zu Boden sinkt: einer melancholischen Zeugin des analogen Zeitalters.

Aus dieser misslichen Situation wird Finn von einer Frau gerettet - selbstverständlich sowohl im buchstäblichen als auch im übertragenen Sinn. Diese Flavia (von Giovanna Mezzogiorno allerdings ganz wunderbar gespielt) ist Restauratorin und damit das optimale kulturkritische Pendant zu ihm: Er, der Bilder digital manipuliert, erhält Erdung von ihr, die sie mit alten Techniken Bilder wieder sichtbar macht. Und damit nicht genug: das Fresco, an dem sie gerade arbeitet heißt Triumph des Todes.

Nicht nur dem Zuschauer wird es eng ob all der Verdichtung von Sinn, auch Finn plagen in Palermo zunehmend klaustrophobe Ängste. Doch so sehr man ihm und seiner neuen Liebe wünscht, sie mögen wenigstens einmal der Verfolgung durch Bedeutungsüberfrachtung entkommen, so wenig Erbarmen kennt Wenders und verwickelt seinen Helden am Ende in eine lange Konversation mit dem Tod.

Nichts gegen einen Film über Midlifecrisis, Tod, Liebe und das Für und Wider des digitalen Bildermachens: Aber in Palermo Shooting werden selbst die ewigen Bewunderer von Wenders´ Mut zu Peinlichkeit und Männerkitsch auf eine harte Probe gestellt.

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