Eine Frage der Sauberkeit

Medientagebuch Wirklichkeit zweiter Ordnung: Die Doku-Soap "Frauentausch" auf RTL2

Die Idee klingt zunächst ein wenig, nun ja, frivol; sie soll es wohl auch. Oder woran denken Sie beim Stichwort Frauentausch? Aber wie so oft im Fernsehen ist das dann letztlich gar nicht so gemeint. In der gleichnamigen Doku-Soap auf RTL2 werden nämlich nicht eigentlich die Betten getauscht, sondern die Familien; die "getauschten" Frauen schlafen indes unbehelligt auf dem Gästesofa. Der sensationsheischende Titel zielt letztlich daneben; der Frauentausch hat Qualitäten, von denen die Macher nichts zu wissen scheinen. Mit einer Unmittelbarkeit verschaffen die einzelnen Folgen Einblicke in real existierende soziale Milieus, die man bei einer anderen Sender-Umgebung als Grimme-Preis-verdächtig einstufen müsste. Selten bekam man als Zuschauer so deutlich vorgeführt, was man doch aus Kindheit und Wohngemeinschaftsleben kennt: Die wahre Grenze der mitmenschlichen und damit auch gesellschaftlichen Toleranz bemisst sich nicht nach Hautfarbe oder Religion, sondern nach der Sauberkeit des Badezimmers.

Das durchaus anrüchige Konzept der Sendung ist schnell durchschaut. Ein "Experiment" wird angekündigt: Zehn Tage müssen ausgewählte Mütter in einer fremden Familie den Haushalt schmeißen. Wer je an so etwas wie Schüleraustausch teilgenommen hat, wird wissen, dass so ein Aufenthalt in fremdem sozialen Gefüge tatsächlich einer "Mutprobe" gleichkommt. Zumal man als Kind das fremde Essen, die fremden Familienrituale ja nur passiv ertragen musste - was schwer genug war -, die Tauschmütter sich aber mit der Gesamtorganisation einer fremden Familie plagen müssen. Worin allerdings schon das erste unfreiwillig progressive Moment dieser Doku-Soap liegt: unverhohlen führt sie vor Augen, dass die Rolle der Hausfrau und Mutter eine Chefposition ist. Ihr Machtbereich mag räumlich begrenzt und gesellschaftlich marginalisiert sein, für sämtliche Grundsatzentscheidungen der Lebensführung ist er von prägender Wichtigkeit. Wer ist die beste Familienmanagerin? lautet denn auch die quotensteigernde Gewinnspielfrage an die Zuschauer.

Frauentausch gehört zu den sogenannten Reality-Formaten, und innerhalb dieses schlecht beleumundeten Genres zu den "Swap"-Serien. Zwar bleibt die Hauptidee der Sendung die voyeuristische, intime Beobachtung von Menschen, jedoch traut man sich ganz offen, aus diesem Rohmaterial mit ein paar Eingriffen Dramen von gesellschaftlicher Relevanz zu konstruieren. Im Frauentausch wird der Grundkonflikt dadurch gesetzt, dass die Frauen jeweils genau in die Familiensituation kommen, die sie zunächst als ihren Alptraum beschreiben. "Das Schlimmste wären für mich acht Kinder, vom Säugling bis zur Pubertät, auf engstem Raum und noch sieben Katzen dazu", hört man zum Beispiel "Luxusmama Sybille" sagen, nur um sie Minuten später genau dort landen zu sehen. Gegensätzliche Lebensentwürfe will man miteinander konfrontieren und kündigt das jeweils an als "Flippig" trifft "bodenständig", "liberal" auf "konservativ" und "pingelig" auf "superschlampig". Diese griffigen Ankündigungen entpuppen sich jedoch als irreführend harmlose Etikettierungen für diejenigen Konflikte, die in den Sendungen dann tatsächlich zu Tage treten.

Was zum Beispiel als Coole Finanzbeamtin trifft überzeugte Katholikin beworben wurde, stellte sich in Wahrheit als das Aufeinandertreffen von eingefleischter Ausländerfeindin und schwarzer Migrantenfamilie heraus. Sie habe hier ja voll die "Arschkarte" gezogen, hört man "Manuela" sagen, als sie sich das erste Mal in der Wohnung von "Pierre" und "Thertulienne", den Katholiken aus Kamerun, umsieht. Während der zehn Tage modifiziert sich ihr Weltbild nicht wirklich, obwohl sie sich mit der Tochter des Hauses ganz gut versteht. Ihr tiefes Reinigungsbedürfnis lebt sie schließlich darin aus, den ihrer Meinung nach "total versifften" Teppichboden ihrer Tauschwohnung rauszureißen, was ihr der Tauschehemann als schweren Übergriff ankreidet. RTL2 treibt es mit dem Menschenexperiment so weit, wie wir das haben wollen: Die schwarze Familie bekommt nach den zehn glimpflich verlaufenden Tagen auf Video vorgeführt, was "Manuela" über Ausländer im Allgemeinen so meint. Und wird wiederum selbst dabei gefilmt, wie ihnen die Gesichter ob dieser freimütigen Bekenntnisse erstarren. Mittlerweile in der Rolle des letzten wahren Sozialarbeiters der Republik beraumt der Sender Termine für Versöhnungsgespräche an. Das Ergebnis ist ein genialisches Miniporträt jenes ganz alltäglichen Rassismus, der sich so hartnäckig hält, weil er so flexibel aussetzbar ist. "Euch habe ich natürlich nicht gemeint!" verteidigt sich "Manuela" gegenüber ihrer Tauschfamilie.

Grobmaschig werfen die Initiatoren ihre Netze nach den althergebrachten Gegensätzen von arm und reich, Land und Stadt, viele oder wenige Kinder aus. Was sie einfangen sind jedoch genau die Konflikte, die die soziale Realität der Bundesrepublik bestimmen. In einer der spannendsten Folgen trafen mit "Gül" und "Janine" die "weltoffene" muslimisch-türkische Familie auf Vertreter des deutschen "white trash", sie arbeitet im Swingerclub und er im Sex-Shop. Aus dem geplanten Drama um moralische Freizügigkeit wurde unversehens eines um Verantwortlichkeit und erwachsenes Verhalten. Die türkische Kleinfamilie hatte den Swingern diesbezüglich viel zu erzählen. "Ihr habt Kinder!" wurde den Hedonisten wieder und wieder vorgehalten und sehr schnell kam hinter deren freizügiger Fassade die pure trostlose Haltlosigkeit und innere Verwahrlosung hervor. Selten wohl hat RTL2 die eigene Zielgruppe so vorgeführt und demontiert. Wieder mit optimistisch gesinntem Sozialarbeiter-Blick verbuchte man am Schluss der Folge die Trennung von "Janine", die endlich zugab, schon lange nicht mehr zum Swingerclub zu wollen, und "Robert", der ihr vorwarf, gegenüber der eifrigen "Gül" die schlechtere Hausfrau zu sein.

Das versöhnliche Ende gehört zum Konzept. Routiniert sprechen die Beteiligten davon, wie viel ihnen der Austausch gebracht habe. Wenn auch zwischendurch die eine Frau über den Zustand des Haushalts der anderen gern die Nase rümpft - "Also wie´s hier aussieht ..." - triumphiert schließlich die Hausfrauensolidarität: Actionmutti Anke tut was für den Zusammenhalt der Patchworkfamily von Sybille und die wiederum bringt Ankes Kindern bei, dass sie mehr im Haushalt helfen sollen. Wie politisch doch das Private ist, denkt sich der Zuschauer; kein Zweifel, Frauentausch ist die eigentliche 70er-Jahre Show.

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